Ein Wirken und damit eine Erfahrbarkeit Gott anzunehmen, ist die entscheidende Voraussetzung jeglicher Spiritualität. Aber wie lässt sich heute theologisch verantwortlich von einem Wirken sprechen – ernst im Umgang mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild und ohne in eine banal-peinliche Unmittelbarkeitsbehauptung abzugleiten?

Wirkt Gott – wirklich?

Text: Peter Hundertmark – Photo: markus53/pixabay.com

Was für Menschen der Bibel völlig klar und einfach war, ist seit langem zum denkerischen Problem geworden. Wirkt Gott in dieser Welt? Wie kann man sich das vorstellen? Wie kann man die Idee eines Wirkens Gottes mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild übereinbringen?

Der Ausgangspunkt des Problems lässt sich beispielsweise mit dem Energieerhaltungssatz der Grundlagenphysik beschreiben: Im Universum geht keine Energie – und das ist gleichbedeutend auch mit Masse – verloren und kommt auch keine hinzu. Eine physikalische Wirkung einer außerweltlichen Kraft ist schlicht nicht möglich. Damit scheinen sich für ein Wirken Gottes nur noch zwei Lösungen anzubieten, die dem glaubenden Menschen beide nicht genügen können. Entweder Gott wirkt, dann weil er Teil dieser Welt ist. Gott ist dann ein anderes Wort für komplexe innerweltliche Entwicklungsprozesse. Freiheit und Personalität Gottes haben sich damit erledigt. Oder Gott ist von der Welt verschieden, dann kann er keinen materialen Einfluss nehmen. Ein Wille Gottes, Gebet, Gotteserfahrung… sind dann traditionelle Bezeichnungen für ein rein innerpsychisches Geschehen.

Kein Ding und kein Gott an sich

Auf der Suche nach einem Ausweg, der beide Lösungen untergreift, lohnt es, Einsichten aus Philosophie und Kognitionswissenschaften heranzuziehen. Seit Immanuel Kant ist es weitgehend Konsens, dass wir Menschen nie Zugang zu einem „Ding an sich“ haben. Was wir wahrnehmen, bis in den Bereich der Welt der Dinge hinein, ist immer ein Konstrukt aus „Etwas“, das uns entzogen ist, aber einen Impuls setzt, und einer kulturell vermittelten Deutung. Es ist immer ein „Ding für mich“. Alle unsere Welterfahrung ist ein schwebendes „Zwischen“, das zwischen zwei uns letztlich nicht zugänglichen, aber interagierenden Größen entsteht: dem „Etwas“ und dem „Ich“. Wobei auch das „Ich“ nicht nur sich selbst entzogen ist, sondern auch wiederum ein Produkt aus „Etwas“ in mir und meiner kulturellen Umwelt mit ihren prägenden Deutungsmustern ist.

Diese Fähigkeit ein „Zwischen“ schaffen zu können, zeichnet den Menschen aus. Das „Zwischen“ ist dabei keineswegs einfach nur eine Interpretation, sondern ein eigener Wirklichkeitsbereich der Intersubjektivität, jenseits von „Etwas“ und „Ich“. Diese intersubjektive Wirklichkeit des „Zwischen“ ist auch keine Projektion des denkenden Ich, sondern vielmehr der kollektive Lebens-, Erfahrungs- und Deutungsraum, der menschliches Erleben und Verhalten erst möglich macht. Es besteht aus primär aus Worten. Bilder, Töne und andere Sinneserfahrungen, sind notwendig über Worte in dieses intersubjektive Gewebe eingebunden.

Es gibt für uns Menschen keine andere Welt – und es gibt für uns keinen anderen Gott – als in diesem komplexen „Zwischen“ benannt und ausgedrückt. Was Gott und Welt und Ich in sich sind, wird uns immer unbekannt bleiben. Das „Zwischen“ ist dieses gemeinsame, die Jahrtausende und Kontinente überspannende, kulturelle Konstrukt, das uns Menschen ermöglicht, über die reine Unmittelbarkeit hinaus, Sinn zu erleben und zusammen zu wirken. Jeder und jedem Einzelnen ist es vorgegeben, wenn er/sie es auch ständig mitgestaltet und verändert. Das „Zwischen“ erschafft einen Raum der Verständigung und der Wirksamkeit. Es ist hochwirksam, denn es setzt, was es sagt.

Wenn die Bibel auf ihrer ersten Seite davon erzählt, dass Gott spricht und dadurch die Schöpfung entsteht, wenn der Johannes-Prolog dichtet: „Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“, dann ist damit nebenbei diese Wirklichkeit und Wirksamkeit des Wortes angedeutet. Mit dem Eintritt ins Anthopozän ist das intersubjektive „Zwischen“, das Menschen durch ihr Weltverstehen geschaffen haben, zur größten und alles entscheidenden Kraftquelle für die Zukunft unseres Planeten geworden. Seine Wirkung übersteigt die Naturgesetze.

Das lässt sich theologisch zwanglos an ganz traditionelle Aussagen über Gott anschließen. Wer Gott in sich ist, ist uns nicht zugänglich. „Er wohnt in unzugänglichem Licht…“ Wir ahnen nur etwas über den Gott für uns, der sich offenbart hat, der also etwas über sich in dieses Geschehen einer Bedeutungskonstruktion hinein gegeben hat. Von der anderen, menschlichen Seite, gehen die kulturellen Prägungen in diese Konstruktion mit ein. Ein Erleben, das davon frei wäre, kann es nicht geben. Jede Wirklichkeit, auch jede Wirklichkeit Gottes, ist gedeutete Wirklichkeit. Deshalb unterscheidet sich beispielsweise christliche Gotteserfahrung auch von sufistischer Mystik – und niemand kann sagen, ob sie den gleichen Offenbarungsimpuls Gottes verarbeiten. Oder europäisch-christliche Gotteserfahrung von afrikanisch-christlicher Gotteserfahrung… Die Gotteserfahrung von Frauen und Männern… Die Wahrheit über Gott liegt in diesem symphonischen „Zwischen“ eines aus Milliarden Beiträgen entstandenen kulturellen Wortgewebes. Sie lässt sich nicht vereinfachen, ohne dass Gott verfehlt wird.

Glaube und Gödel

Ob es aber Gotteserfahrung, gar einen Willen Gottes, letztlich ob es Gott tatsächlich gibt, ist eine Frage des Glaubens. Gott ist kein „Etwas“ dieser Welt. Aber ist er/sie/es dennoch eine Instanz, die Impulse in unsere menschliche Wirklichkeitsverarbeitung senden kann? Trägt er zu diesem intersubjektiven „Zwischen“ bei? Hier ist nur ein Sprung möglich. Weder die Behauptung, noch die Bestreitung lassen sich beweisen. Dass Gott ist, es also ein überweltliches „Etwas“ gibt, das mit der Welt und dem „Ich“ interagiert, ist der eine nicht belegbare Satz, biblisch der „Schlussstein“, an dem alles weitere hängt. Dieser Glaubensakt entspricht dem unbeweisbaren Axiom, den der Mathematiker und Logiker Kurt Gödel mit seinem „Ersten Unvollständigkeitssatz“ für alle Denksysteme als notwendig nachweisen konnte.

Geht man jedoch davon aus, dass Gott ist, so ist dennoch jede Gotteserfahrung, jedes Wirken Gottes in die Welt ein Geschehen, in das notwendig beide Seiten eingehen: meine Deutung im Rahmen meiner Kultur und ein stimulierender Impuls, der von „Außen“ kommend auf mich einwirkt – was immer dieses „Außen“ sein mag. Es gibt für Menschen nur Gott in der Welt, ausschließlich Gott, der sich durch eine Beziehung zu unserer Welt offenbart. Ob es Gott vor der Welt und unabhängig von ihr gibt, ist eine interessante philosophische Spekulation, die sich aus interessegeleiteten Projektionen speist, aber nicht zu wirklichkeitsrelevanten Einsichten führen kann. Die Bibel beginnt damit, dass Gott erschafft. Er ist erst als Schöpfer. Anders ist er für Menschen nicht zu denken.

Für jeden Menschen gibt es nur seinen, für mich gibt es unhintergehbar nur „meinen Gott“, der Ausdruck und personale Aneignung „unseres Gottes“ ist.  „Mein Gott“, mein Gottesbild, meine Gotteserfahrung, eine mögliche Wirkung Gottes in mein Leben hinein, ist zwangsläufig das Ergebnis eines dialogischen Geschehens. Zugänglich ist weder das „Außen“, noch mein „Innen“. Beobachtet und benannt werden kann – wie bei jedem dialogischen Geschehen zwischen Menschen oder zwischen Menschen und Dingen – nur das „Zwischen“. Es gibt ein Wirken Gottes nur „für mich“ oder besser „für uns“ in der Glaubensgemeinschaft. Ein objektives Geschehen – dass es wirklich ein „Außen“ Gottes gibt – muss ich glaubend voraussetzen, kann es aber nicht erreichen. Die Projektionsvermutung, wie sie kürzlich der Historiker Yuval Harari in seine Buch „Homo Deus“ wiederholt hat, kann nicht entkräftet, aber auch nicht belegt werden.

Die Wirkmacht des dialogischen “Zwischen”

Dabei darf nicht übersehen werden, dass das intersubjektive „Zwischen“, das Religionen ausmacht und mit dem sie Gott und sein Wirken benennen, eine wirkmächtige Realität ist. Weil Menschen gemeinsam glauben, handeln sie anders. Der Impuls, den sie in ihrer dialogischen Gotteserfahrung aufnehmen und den sie in ein geteiltes „Zwischen“ integriert haben, wirkt und verändert die Welt. Weltanschauungen – nicht nur, aber auch die Religionen – sind die mächtigsten Energien, die wir Menschen kennen. Gott wirkt, weil – biblisch gesprochen – „sein Name“ alles, das ganze intersubjektive Geflecht des kulturellen „Zwischen“ zu verändern vermag. Kein Gottesbild ist harmlos, keine geteilte Gotteserfahrung vernachlässigbar, denn sie können positive, wie negative Konsequenzen für Millionen von Menschen und für das gemeinsame Haus Erde haben. Als Beispiel für die mögliche verheerende Wirkung sollen der Halbsatz aus der Genesis: „… sie sollen über die Erde herrschen“ und „Die Juden aber schrien, kreuzige ihn…“ aus der Johannes-Passion genügen.

Diese Sicht auf das „Zwischen“ der Gotteserfahrung erlaubt es, sowohl die Freiheit und Personalität Gottes, wie die Freiheit des Menschen aufrecht zu erhalten. Gottes Wirken ist kein Übergriff, keine Prädestination, keine Schablone, der der Mensch sich anpassen muss. Es ist kein „rohes“ Geschehen, das in sich greifbar wäre. Gottes Wirken schwingt immer in diesem „Zwischen“, in das Impulse beider Partner/innen – Mensch bzw. Glaubensgemeinschaft und Gott – eingegangen sind, ohne dass sich ihr jeweiliger Beitrag isolieren ließe. Die Frage, ob etwas ganz Gott kommt oder nur aus mir und meiner seelischen Verfasstheit heraus, ist sinnlos. Gotteserfahrung ist unableitbares Dialoggeschehen. Sie existiert nur im „Zwischen“.

Was das Wirken Gottes ist und was es bedeutet, kann folglich nur der entschlüsseln, der die Erfahrung macht – und er/sie kann es nur im Rahmen seiner/ihrer kulturell-religiösen Deutemuster und Glaubensgemeinschaft. Folglich können zwei Menschen in der gleichen Situation zu zwei stimmigen und mit Gott vereinbaren Antworten auf die Frage nach dem Willen und Wirken Gottes kommen. Gott und Mensch verbinden sich notwendig in jedem Augenblick zu einem je „Neuen“, einem einmaligen „Zwischen“. Biblische Bildworte sprechen vom „eingehauchten Geist“ und von der „Liebe Gottes die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“. Gottes Wirken ist kein Ding an sich. Sein Wille zwingt nicht. Sein Weg ist immer „sein-mein-unser“ Weg.

Wunder – des Glaubens liebstes Kind?

Wie sind dann Wunder zu verstehen, diese faszinierenden Ereignisse, die unsere Alltagsrationalität übersteigen? So sind beispielsweise Heilungen, die sich nicht medizinisch schlüssig erklären lassen, zwar nicht häufig, aber dennoch breit über alle Kulturen hinweg dokumentiert. Ist das also ein Wirken Gottes? Die Antwort ist weder ja noch nein. Nein: denn Gott hintergeht die Gesetzmäßigkeiten der Welt nicht. „Gott liebt alles, was ist, und verabscheut nichts von allem, was er gemacht hat…“ dichtet das Buch der Weisheit. Gott respektiert die Welt. Der Energieerhaltungssatz gilt. Spontanheilungen sind eine mögliche innerweltliche Variante eines Krankheitsverlaufs. Eine Spontanheilung kann einfach nichts bedeuten. Ja: denn jede Heilung, medizinisch bewirkt oder medizinisch unerklärlich, kann ein Geschehen des Glaubens sein.

Alles was geschieht, kann für einen Menschen ein „Wunder“ sein. Nicht weil es unerklärlich wäre oder weil es sein Verstehen übersteigt, sondern weil es für ihn/sie Ausdruck des Heilshandelns Gottes ist. Und zwar nicht als äußerliche Deutung, sondern als Wirklichkeit im „Zwischen“ Gottes und des Mensch – etwas, was aus dem Dialog Gottes mit diesem Menschen hervorgeht. Ein Dritter mag es ganz anders empfinden und deuten. Das tut dem wirklich und wirkmächtig erlebten Heilshandeln Gottes keinen Abbruch.

Beider Einfluss – Gottes und des Menschen – lässt sich dabei nicht voneinander trennen. Jesus sagt: „Dein Glaube hat Dich geheilt.“ Andere Menschen heilt ihr Glaube nicht. Deshalb lässt sich der Satz Jesu auch nicht umdrehen: „Wenn du nicht geheilt wirst, glaubst du nicht (genug)“ ist eine Frechheit und kein theologischer Satz. Das Zusammenwirken von Gott und Mensch im spontanen Geschehen lässt sich nicht kausal aufgliedern, im Labor wiederholen und damit auch nicht naturwissenschaftlich, heißt evidenzbasiert plausibilisieren. Hält der Glaube eines Menschen und einer Glaubensgemeinschaft Heilung jedoch für möglich, kann sie als Wunder und Wirken Gottes geschehen.

Theologisch lässt sich das wiederum an der klassischen Lehre vom Wirken Gottes durch die Zweitursachen anschließen. Auch wenn Gott als die erste Ursache alles Guten angenommen wird, handelt er, so die scholastische Theologie, nie in einem innerweltlichen Sinn kausal. Er „nutzt“ innerweltliche und nur innerweltliche Prozesse, um zu erreichen, was er will. Wie dieses Nutzen vor sich geht, ist uns wiederum entzogen. Wir deuten es nur glaubend aus den „Spuren“, aus den Ereignissen, die wir beobachten. „An den Früchten sollt ihr sie erkennen…“ Ein Weg ist das schon beschriebene dialogische Geschehen zwischen Gott und Mensch. Gott verfolgt seine Ziele, in dem „Zwischen“ ihm und dem Menschen eine Erfahrung und eine Motivation entstehen, so dass der Mensch in der Richtung der Intention Gottes zu handeln sucht.

Gottes Dialog mit den Dingen

Vielleicht – Glaubende haben zu allen Zeiten daran festgehalten – gibt es aber auch so etwas wie einen Dialog Gottes mit den Dingen und den Naturgesetzen. Es entstünden in diesem Dialog dann komplexe, transkausale materielle Prozesse. Es entstünde ein vorsprachliches und damit dem Menschen nicht zugängliches „Zwischen“, das nur analog zu unserer Erfahrung mit einem Wirken Gottes in uns gedacht und postuliert werden kann. Aber auch wenn es einen solchen menschenunabhängigen Dialog Gottes und der Dinge gibt, gibt es ihn für uns wiederum nur im intersubjektiven „Zwischen“ des Glaubens gedeutet. Es handelt sich dann um das Ergebnis eines dreifachen Dialogs: zwischen Gott und den Dingen, zwischen mir/uns und Gott, zwischen mir/uns und den Dingen. Nur in dieser dreifachen dialogischen Aneignung  – nichts liegt rein und zwingend vor! – sind also auch dingliche, naturgesetzliche Entwicklungen benennbar, die der Intention Gottes entsprechen, die also für die Glaubenden Wirken Gottes sind. Biblisch: „Wie der Regen die Erde tränkt und zum Keimen und Sprossen bringt, so bewirkt das Wort Gottes, was er will, und kehrt nicht leer zu ihm zurück.“

Die christliche Lehre von der Inkarnation Gottes stützt solche Vorstellungen, denn sie weist durch eine sprachliche Kleinigkeit weit über das Gotteswirken im Menschenhandeln hinaus. Gott ist Mensch geworden, aber die biblischen Texte und in ihrer Folge die Glaubensbekenntnisse gehen sprechen von der „Fleischwerdung“ Gottes. „Fleisch“ ist hier als Symbolbegriff für die vergängliche Materie zu verstehen. Gott wird also nicht nur Mensch, sondern dabei wird er natürlich auch Materie. Die menschliche Selbstbewusstheit ist wird nicht als die einzige Ausdrucksmöglichkeit Gottes gedacht und erfahren. Die Materie, das ist theologisch eine Konsequenz aus dem Menschwerdungsgeschehen, setzt der Selbstoffenbarung Gottes keine Grenze. „Du, Herr, bist der Einzige. Du hast den Himmel geschaffen und den Himmel der Himmel und sein ganzes Heer, die Erde und alles, was auf ihr ist, die Meere und alles, was darin lebt. Ihnen allen gibst du das Leben. Das Heer des Himmels betet dich an.“

Gott zeigt sich auch hier – wie immer –  im „anderen seiner“: Gottes Geist wirkt im materiellen Geschehen. Manche Einsicht der theoretischen Physik lässt so eine transkausale „Wirkung“ eines Geistgeschehens auf die Materie durchaus als denkmögliche Hypothese zu. Gregory Bateson hat solche Phänomene in „Mind and Nature“ zusammengestellt. Die alltagsrational postulierte Grenze zwischen Materie und Geist könnte ebenso wenig existieren, wie die Trennung zwischen „Seele“ und Körper des Menschen. Ob es jedoch Gott ist, der wirkt? Es bleibt ein Glaubensgeschehen.

Wenn Hildegard von Bingen von der Grünkraft Gottes in den Pflanzen – und symbolisch erweitert – in allen Geschöpfen spricht, benennt sie in ihrer mittelalterlich-christlichen Deutewelt solch ein Wirken Gottes. Natürlich lässt sich diese „Grünkraft“ auch genauso schlüssig als Zusammenwirken von Chlorophyll, Sonnenlicht und Co2 beschreiben. Wenn Gottes Wollen und Wirken aber das Leben auf der Erde ist, dann ist es schlüssig zu glauben, dass er durch die Photosynthese als Grünkraft wirkt.

Skepsis bitte!

Ist folglich alles, was geschieht, als Wirken Gottes anzusehen? Manche theologischen Theoriebildungen, die die Allmacht Gottes sehr hoch einschätzen, scheinen in diese Richtung zu weisen. Allerdings zieht das massive theologisch-spirituelle Schwierigkeiten, bis hin zur existentiellen Theodizeefrage, nach sich. Was aber ist ein Wirken Gottes – und was nicht? Die Frage lässt sich nur im Kontext der Glaubensgemeinschaft und ihres geteilten „Zwischen“ beantworten. Darin werden  Offenbarungsdeutungen traditert, die für den Gottglauben der Christinnen und Christen fundamental sind. Gott zeigte sich – so der Glaubenskonsens – als Gott des Lebens, der Liebe, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Versöhnung und Erlösung. Etwas anderes, schon gar das Gegenteil, ist von ihm nicht zu erwarten. Wenn also die beobachtbaren Effekte, die Spuren „zwischen“ Gott, Mensch und Dingen, in diese Richtung zeigen, so lässt sich das rückwirkend im Glauben als Wirken Gottes identifizieren. Was mehr der Liebe dient, in die Freiheit führt, gerecht ist… kann als Ausdruck des Wirkens Gottes verstanden werden. Umgekehrt, was Leben zerstört, Menschen unfrei macht, ausbeuterisch ist und Zweitracht sät, ist nicht Wirken Gottes – so wie wir es in der biblischen Tradition deuten. Und wieder: es ist nicht nur Deutung. Für Christinnen und Christen ist Zerstörung kein Wirken Gottes.

Diese Selbstfestlegung des sich offenbarenden Gottes kann jedoch nicht nur rückblickend, analytisch genutzt werden, um Ereignissen den Namen „Wirken Gottes“ und damit eine weitere Wirksamkeit zu geben. Sie kann auch für den Einzelnen in seinen Entscheidungsprozessen handlungsleitend werden. Wenn ich den Willen Gottes suche, also mein Handeln mit seinem Wirkenwollen auf eine Linie zu bringen versuche, so dass Gott dialogisch durch mich „wirkt“, dann schließen sich alle Verhaltensweisen aus, die nicht mit der Offenbarung überein gebracht werden können. Gott ist entschieden – und aus dieser Entschiedenheit heraus kann ich meinen/seinen Weg finden und sein Werk auf meine Weise tun. Es ist mein Handeln und ich muss es verantworten, aber es verweist auf den, der als Erstursache das Gute will und anstrebt. Als theologisches Prinzip lässt sich hier die gleiche Relation ansetzen, wie sie für die Heilige Schrift entwickelt wurde: Gottes Wort im Menschen Wort – oder in diesem Kontext: Gottes Wirken im menschlichen Handeln. Wenn immer also mein Handeln der Gerechtigkeit dient, die Erde schützt, Freiheit schafft… wirkt Gott – unabhängig davon, ob ich das so benenne und empfinde.

Aber Gott ist nicht die einzige Kraft, die auf die Welt und Menschen einwirkt. Was, wie subtil und versteckt auch immer, Ungerechtigkeit schafft, Neid, Hass schürt… ist nicht Wirken Gotttes. Jede behauptete Gotteserfahrung und jedes postulierte Wirken Gottes kann und muss deshalb bezweifelt, geprüft und von anderen Wirkungen unterschieden werden. Sonst kippt Glaube in Aberglaube und Magie.

In der christlichen Tradition ist der Wille und das Wirken Gottes dabei also einerseits eindeutig: Gott hat sich festgelegt. Gesetz, Propheten und Jesus haben ihn offenbart. Gott ist die Kraft, die auf Versöhnung, Friede, Gerechtigkeit, Hoffnung, Heilung, Erlösung, Freiheit, Leben in Fülle… hinwirkt. Gott strebt immer die größere Verwirklichung seines „Reiches“ an. Er ist in allem, was existiert die treibende Dynamik zum Guten, die Kraft, die stets das Gute will und stets das Gute schafft. Andererseits ist der Wille Gottes für den Einzelnen zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb dieser Grunddynamik eben nicht klar und einfach. Wer dies behauptet – schon gar wenn er/sie es für andere Menschen behauptet, sakralisiert missbräuchlich das eigene Wollen zum Willen Gottes, verwechselt abergläubisch die eigenen Interessen mit dem Wirken Gottes, macht sich selbst zum Götzen.

Gott ist Kraft und ist freie Person, die freilassend mit freien menschlichen Personen dialogisch interagiert. Sein Wirken und mein Wirken sind verwoben durch einen freien Aushandlungsprozess. Gott wirkt, in dem ich ihn ernst nehme und mich dadurch verändern lasse. Aber er wirkt in meiner Gestalt, mit meinen Möglichkeiten, durch meine Entscheidungen. Im Gehen entsteht der Weg Gottes unter den Füßen. Ein absoluter, mit meinem Leben unverbundener Wille Gottes, der nur aufgefunden und umgesetzt werden müsste, gibt es nicht und kann es nicht geben. Der im Brustton der Überzeugung vorgebrachte Ausruf: „Gott will es!“ ist meist ein Hinweis für etwas, was sehr weit von Gottes Wollen und Wirken entfernt ist. Es gibt keinen individuellen Plan Gottes für jede und jeden der 7,5 Milliarden Menschen. Gott sei Dank!

Jedes neu sich zeigende, vermutete „Zwischen“ Gottes, der Dinge und des Menschen, muss also kritisch geprüft werden. Nicht jede grüne Ampel, wenn ich es eilig habe, ist Wirken Gottes, genauso wenig wie die schlechte Zensur, wenn ich nicht gelernt habe, eine Strafe Gottes ist. Ohne Zweifel und ohne sorgfältige geistliche Unterscheidung wird der Glaube in seiner dann behaupteten Unmittelbarkeit einfach nur banal und peinlich.

Vierfache Aufmerksamkeit macht den Unterschied

Um diesem schwebenden, dialogischen „Zwischen“ des Wirkens Gottes gerecht zu werden – in notwendigem Glaube und ebenso notwendigem Zweifel, hat sich eine vierfache Aufmerksamkeit bewährt. Zuerst auf die materialen Bedingungen und ethischen Implikationen, die geteilten Werte, die Bedarfe der Gesellschaft und des gemeinsamen Hauses Erde. „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“ (Willi Lambert). Dienen die komplexen Prozesse der Dinge und Menschen dem Reich Gottes, dem Reich der Gerechtigkeit und des Friedens? Vollzieht sich jetzt in diesem konkreten Geschehen durch die Zweitursachen, mittels der Naturgesetze und mittels der Gesetzmäßigkeiten menschlichen Zusammenlebens, was Gott seit Anbeginn der Welt will? Welche Zeichen der Zeit werden uns gegeben und wie können wir sie entschlüsseln? Welche Fremdprophetien öffnen uns die Augen für die eigenen blinden Flecken unsers Blicks auf die Wirklichkeit?

Sodann auf die Offenbarung in ihrer ganzen Breite und ihrer „symphonischen Wahrheit“ (Urs von Balthasar), die erst aus dem Zusammenklingen der verschiedenen Traditionsstränge entsteht: Christinnen und Christen, die nach dem Willen Gottes fragen, beziehen die Heilige Schrift mit ein, versuchen sich mehr und mehr in die Nachfolge und Schülerschaft Jesu zu begeben und von Christus her formen zu lassen, sie beten und kultivieren sorgsam und langfristig ihre Beziehung zu Gott. Aus dieser betenden Vertrautheit mit Gott in Jesus Christus heraus wächst ihr persönliches, inneres Offenbarungswissen. So treten sie in den Deutungshorizont ein, der dem Dialoggeschehen zwischen Gott und Mensch Namen und Bedeutung gibt.

Eine Achtsamkeit weiterhin auf die „Regungen und Bewegungen der Seele“ (Ignatius von Loyola) – all die inneren Verarbeitungsmechanismen, mit denen Menschen auf äußere Reize oder innere Prozesse reagieren: der Königsweg sind die Gefühle und Stimmungen, aber auch Tag- und Nachtträume, Intuitionen, Gespür, Körpersensationen („Kloß im Hals“…), Ein- und Durchsichten… können eine wichtige Rolle spielen. Diese Regungen deuten auf meinen Beitrag zum dialogisch entstehenden „Zwischen“ zwischen Gott und mir hin. Jede Begegnung, jede Überlegung, jedes Geschehen – und darin jedes Wirken Gottes – ist von solchen Regungen der Seele begleitet. Diese Regungen stellen sich einfach ein, das heißt sie unterliegen nicht der rationalen oder willentlichen Steuerung. Die Frage ist, ob sie mich in eine Richtung lenken, die mehr dem Reich Gottes, seiner Absicht und Ausrichtung entsprechen. Welcher Regung kann ich trauen, weil sie mich dazu motiviert, so zu handeln, Gott in mir und durch mich zum Guten wirkt? Welche Empfindungen, Überlegungen, inneren Bilder hingegen wollen mich hindern, in meinem Handeln Gott wirken zu lassen, der Leben, Liebe, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung… will? Dabei lohnt es äußerst kritisch mit sich selbst zu sein und unbedingt auch den skeptischen Blick anderer Menschen einzubeziehen.

Zuletzt und ganz zentral bezieht jedes kritische Unterscheiden eines Wirkens Gottes die anderen Christinnen und Christen, die von ihrem Glauben Zeugnis geben und ihre Lebenserfahrung zur Verfügung stellen, ein. Die anderen wissen dabei nicht besser als ich selbst, was für mich Wille und Wirken Gottes ist, aber indem sie mir einen Echoraum bieten, der von der gemeinsamen Gottsuche getragen ist, verstärken sie in mir die Wahrnehmung und gemeinsinnig wächst die Hoffnung, nicht nur den eigenen blinden Flecken und Vorurteilen aufzusitzen.  

Wirkt Gott also wirklich? Vielleicht. Es lohnt, zu unterscheiden. Aber er wirkt jedenfalls dialogisch in und durch die Dinge, die Menschen und mich, durch all die „Zwischen“ – ohne je übergriffig unsere Eigenlogik zu überformen und auch ohne den Energieerhaltungssatz auszuhebeln. Wo er wirkt, wird etwas gut, wird Friede, Gerechtigkeit, Versöhnung, wird Reich Gottes. Oder auch andersherum gesagt: Wo etwas gut wird, dürfen die Glaubenden – andere Menschen dürfen das anders sehen und erklären – von Gottes Wirken ausgehen.

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