Eine Christus-Begegnung in einem dramatischen Lebensschicksal voll unbändiger Lebenslust… Ein Kind, so bedroht und Christus so ähnlich… Ein Gleichnis der Verheißung, die auf alle Getauften gelegt ist: in diesem Leben und über das Leben hinaus Christus ähnlich zu werden.

 

 

Intensiv gelebt

Text: Norbert Nichell – Photo: Alexas_Photos\pixabay.com

Als er kam, eroberte er „im Sturm“ die Herzen aller, die ihm begegneten. Schon von weitem rief er jede und jeden bei ihrem Namen. In seinem Blick war eine Freude, die (noch) etwas vom Paradies hatte. Seine Chance, es zu schaffen, war fast nicht vorhanden – zu vieles sprach dagegen. So stand sein Leben von Anfang an „auf Messers Schneide“ – im wahrsten Sinn des Wortes: „Ich weiß nicht, ob wir ihn durchbringen werden“, sagte ein erfahrener Mann angesichts der Gefahr, der er ausgesetzt war.

Er hatte keine Chance – und nutzte sie im Sinne von Bert Brechts Ausspruch „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat bereits vorher verloren“: in der auf ein ganzes mögliches Menschenleben gesehenen „kurzen Zeit“ von 1 ½ Jahren berührte er die Herzen unzähliger Menschen. Er lebte sein Leben immer im Moment und intensiv – bis zum letzten Augen-Blick, zweckfrei, in purer Freude. Auch wenn er auf vieles, was mit ihm geschah, keinen Einfluss hatte: seine Freiheit, selbst zu entscheiden, wann immer sie sich ihm bot, genoss er in vollen Zügen. Schleichend braute sich über ihm das Unheil zusammen, das sich mit keiner Macht dieser Welt mehr aufhalten ließ – allen klugen Experimenten und intensiven Versuchen zum Trotz.

Er selbst ahnte, was mit ihm passieren würde – und das genügte ihm, denn er erhielt die Zu-Wendung, die er zum Leben brauchte, von den Menschen, die ihn umgaben. Und er gab diese Freude und Liebe um ein Vielfaches zurück – so sehr, dass andere Kinder und deren Geschwister eigens zu ihm kamen und seine Nähe suchten.

Und als für ihn das unabwendbare Ende näherkam, gab er seinen engsten Begleiterinnen und Vertrauten sein ganz persönliches Vermächtnis – verbunden mit einem Kuss – mit: „Ich liebe Euch!“

Wie er gelebt hatte, so ging er, als es ganz still war in seiner Umgebung, am frühen Morgen des wöchentlichen Auferstehungstages in die Ewigkeit, begleitet von seinen Eltern, die den langen Weg in großer Sorge und Geduld durch alle „Hochs und Tiefs“  mitgegangen waren…

Ich spreche nicht von Jesus, sondern einem 7-jährigen Jungen in der Kinderonkologie unserer Universitätsmedizin, den ich in dieser Zeit begleiten durfte – und habe diese verblüffenden Parallelen vor Augen, wenn ich in diesen Tagen auf Jesus schaue: die überschwängliche Freude, mit der ihn die Menschen in Jerusalem begrüßt haben, seinen konsequenten Weg der Liebe und des intensiven Lebens, den er sich bis zum letzten Atemzug treu geblieben ist und der den unumkehrbaren Weg des Leidens mit einschloss, in vollkommenem Vertrauen in die Liebe seines Vaters und das Leben, das stärker ist als der Tod.

Beide waren auf ihre Weise erfüllt mit dieser „frohen Botschaft“ und ließen sie erlebbar werden für alle, die ihnen begegnet sind. Sie haben sie „einfach gelebt“, ohne Kompromisse, intensiv und bis zum Schluss, ohne sich von den Widerwärtigkeiten und Hindernissen des Lebens irritieren zu lassen: im Akzeptieren der eigenen Situation und im Wählen der „Lebens-Seite“. Und alle staunten über das, was und wie viele(s) er in dieser kurzen Zeit bewegt hatte und konnten nur dankbar feststellen: „So etwas haben wir noch nicht erlebt.“

 

Reflexion

Dieser 7-jährige Jungen lässt das Wort Jesu vom „Werden wie die Kinder“ (Mt 18,3) neu aufleuchten und füllt es ganz unmittelbar, indem er sorglos über das, was morgen sein kann, ganz und gar im Hier und Jetzt lebt. Er weiß intuitiv, dass der (im wahrsten Sinn des Wortes) „Augen-Blick der Begegnung“ der größte Schatz ist, der ihm geschenkt werden kann (vgl. Mt 6,19-34). Ein bleibender Schatz, der durch nichts und niemand genommen werden kann, – auch nicht durch eine lebensbedrohliche Krankheit, für die es deshalb keine Not-Wendigkeit gibt, dass über sie ausgesprochen wird. Diese Botschaft führt zu einem Lachen und einer selbstverständlichen Lebensfreude, deren herausragendes Zeugnis strahlende Augen sind, die so zu einem „Stück Himmel“ werden können. Als „Du“ werden diese Momente zu einem „Sakrament des Augen-Blicks“, in dem mir Christus aufleuchtet, der mich zu meiner Sehnsucht nach intensivem Leben führt und mich einlädt, – wie diese Kind – auf der „Lebens-Seite“ zu bleiben. 

Alle zunehmend-sichtbare Begrenzung bleibt „außen vor“, denn sie hat keine Macht über das Vertrauen des Herzens und die gelebte Beziehung. Selbst Schmerzen und körperliche Einschränkung können diese Erfahrung nicht zerstören, weil die erlebte Geborgenheit sich immer wieder neu ereignet und geschenkt wird.So hat sich mit der Annahme seiner Situation vom ersten Moment an sein Leben – wie auch das der Menschen, die ihm begegnet sind – verändert. Rück-Blickend so sehr, dass diese Erfahrung „wie eine unbekannte Seite“ und noch nie da gewesen, sich groß machen und alle in ihren Bann ziehen konnte: nicht trotz, sondern gerade wegen  und während des eigenen Krankheitswegs.

Grundlage allen Erlebens war die Erfahrung von „Freiheitsmomenten“, deren Intention kein Ergebnis oder gar Ziel war, das zu erreichen gewesen wäre, sondern das „zweckfreie Sich-Begegnen“ (hier in der konkreten Form des Spielens), das bereits seinen Wert „in sich“ hatte und durch den beide Seiten eine verbindende und wohltuende Nähe erfahren, die den anderen annimmt, wie er ist. Hier lassen sich die Dimensionen von „Hingabe“ erfahren, die auch unsere Christusbegegnung prägen. Im Einüben in eine innere Gelassenheit und Zuversicht, die diese Begegnung bewirkt, gehen beide Beteiligten verändert aus dieser Begegnung, für deren Erleben es im letzten keine Worte (mehr) braucht. 

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