Spiritualität und Sexualität: Im Christentum schien das nicht zusammen zu passen. Welche Konsequenzen hat es, wenn wir sie als Ganzheit verstehen? Was ist die Chance für die Kirche? Der Text von Monika Eyll-Naton wurde am 25.04.2019 zuerst auf www.katholisch.de veröffentlicht.
Spiritualität und Sexualität als Ganzheit
Text: Monika Eyll-Naton – Photo: janeb13/pixabay.com
Die Kirche ist in eine Krise geraten und muss einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust hinnehmen. Pädophilie, sexueller Missbrauch, geistlicher Missbrauch und Machtmissbrauch kommen überdeutlich ans Licht. Ursachenforschung wird in die ein oder andere Richtung betrieben, aber noch viel zu wenig. Ein wichtiger Grund, der häufig außer Acht gelassen wird, ist der jahrhundertealte kirchliche Dualismus von Spiritualität und Sexualität, bei dem die Spiritualität auf der hellen, der guten, der heiligen Seite stand, und die Sexualität auf der dunklen, der schlechten, der teuflischen Seite. Dass Spiritualität überhöht und Sexualität dämonisiert wurde. Die Aufspaltung unseres Wesens in Heilige und Huren, in Gott und Teufel war in den Hochkulturen des Altertums kein Thema. Das duale Denken kam erst mit den „Religionen“.
Heute weisen wir häufig die Spiritualität den Geweihten zu, die Sexualität dem alltäglichen Menschen. Beide schauen oftmals neidisch auf die anderen. „Ihr habt’s gut, müsst euch nicht mit dem Alltag plagen, könnt euch in die Stille zurückziehen, wann immer ihr es braucht!“ heißt es mit Blick auf die Priester und Ordensmenschen. Und „Ihr habt’s gut, dürft euch an eurer Sexualität erfreuen und sie leben, wann immer ihr Lust habt!“ mit Blick auf die Paare. Dabei gehören Spiritualität und Sexualität zusammen. Sie sind keine Einheit, sollten aber als Ganzheit angestrebt werden. Spiritualität ohne Sexualität wird blass und verführt zur Flucht in die Transzendenz. Sexualität ohne Spiritualität wird leer, verkommt zur Suchtbefriedigung, sieht den Menschen nur noch als Objekt. Lebenslange Aufgabe ist es, „die Kraft des Eros in die Beziehung zu Gott zu integrieren und sich vom Eros zu Gott tragen zu lassen.“ (Anselm Grün – Mystik und Eros – 1993)
Darum ist es dringend notwendig, beides in sich zu integrieren. Denn die Spiritualität und die Sexualität sind das Intimste des Menschen. Sie berühren den Menschen so tief in seiner Seele, dass er oftmals gar nicht davon zu sprechen vermag. Gotteserfahrung kann man kaum in Worte fassen und den Höhepunkt des Geschlechtsaktes, den Orgasmus, kann man auch kaum beschreiben. Beides hebt einen über Grenzen hinweg. Beides hat eine so schöpferische, eine gebärende Kraft. Beides gehört ganz zum Menschsein dazu. Spiritualität und Sexualität gehören zusammen. Denn bei beidem geht es um Verschmelzung im Letzten: Die Verschmelzung mit Gott, der unsere tiefste Sehnsucht erfüllt (Mystik) und das Eins-werden mit dem geliebten Menschen (Liebesmystik). Die Sehnsucht nach dem liebenden Du Gottes und das sich Ausstrecken nach dem Geliebten, der Geliebten.
Wie kann das gehen in einem zölibatären Leben? Wie kann das gehen in einer Partnerschaft? Durch Achtsamkeit in den Handlungen, dass Zärtlichkeit und Geisteskraft sichtbar und spürbar werden. Spirituelle Menschen, die Gott lieben wollen, spüren immer auch ihre sexuellen Kräfte. Doch selbst in einer Partnerschaft können sie nicht immer ausgelebt werden. Es geht also darum, sie nicht zu verneinen, es geht um das Hinaustragen der Liebe in den Dienst an den Menschen. Es geht nicht darum, sie zu erhöhen, denn die Lust ist schöpferisch und gebärend im Kleinen wie im Großen.
In der Kirche hat sich durch die Spaltung, durch die Abspaltung der Sexualität von der Spiritualität, der Verherrlichung der Keuschheit, der Überhöhung Marias als „die reine Magd“ die Sexualität erst recht einen Ausdruck gesucht. Einen macht-vollen Ausdruck. Sie wurde so machtvoll, dass es zu massivem Machtmissbrauch kam. Die missbrauchenden Priester haben in ihrer abgespaltenen Sexualität die Opfer zu Objekten degradiert und so natürlich auch ihre Spiritualität konterkariert, häufig sogar eine Pseudo-Spiritualität eingesetzt, um den Missbrauch durchzusetzen.
Es ist daher ein überfälliger Schritt, die kirchliche Sicht auf die Sexualität neu zu entwickeln. Es gilt der binnenkirchliche Blick, statt die Ursache des Fehlverhaltens zu externalisieren, sie außerhalb zu suchen. Spiritualität und Sexualität beflügeln einander und sind zu integrieren. Frau und Mann sind als gleichberechtigte Geschöpfe Gottes zu sehen, gleichberechtigt in ihrem Können und in ihren Aufgaben.
Sicher müssen sich Strukturen verändern:
Aus dem Pflichtzölibat muss ein freiwilliger Zölibat werden, sodass auch Verheiratete zum Priester geweiht werden können. Schon in dem Moment bekommt die Sexualität einen anderen Stellenwert und kann mit der Spiritualität eine ganzheitliche Kraft werden. Pflichtzölibat zieht häufig eine erzwungene Abspaltung der Sexualität nach sich. In einem freiwilligen Zölibat können die sexuellen Kräfte umgewandelt werden in den Liebesdienst am Nächsten. Verheiratete Priester können der Spiritualität ihre Überhöhung nehmen und sie erden.
Frauen sind zu allen Ämtern zuzulassen, denn ihre gebärende Kraft kann Großes und Neues schöpfen. Dabei geht es nicht um die Frage der Gleichberechtigung, so wichtig sie auch für die Zukunft der Kirche ist. Es geht um die überfällige und notwendige Ergänzung und Erweiterung des bisherigen ausschließlich männlich geprägten Weiheamtes durch die weiblichen Eigenschaften, Sichtweisen und Haltungen. Diese Polarität ist grundgelegt in der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott, durch die Schaffung des Menschen als Mann und als Frau.
Aber vor allem müssen sich das Denken und die Haltung zu Spiritualität, zur Sexualität und zur Geschlechterfrage verändern. Aus Liebe zu Jesus Christus und zu seiner Botschaft, nicht aus einem Machtkalkül heraus.