Die Taufliturgie spricht jedem Täufling zu, dass er Anteil hat an Christus, der Priester ist, König und Prophet. Damit sind wohl keine Berufe gemeint. Aber wie können Menschen in säkularen Berufen, mit Familie… ihr geistliches Priester-Sein, König-Sein, Prophet-Sein leben?
Aus der Taufe Priester, König und Prophet…
Beitrag von Dr. Peter Hundertmark – Photo: Pexels/pixabay.com
König/in
Geschätzte 2,2 Milliarden Königinnen und Könige – und nirgends ein Untertan. Ebenso viele Prophetinnen und Propheten. Priesterinnen und Priester machen 100% in den christlichen Kirchen aus. Das kann so nicht gemeint sein, sagt der gesunde Menschenverstand. Doch, erwidert der Theologe und hat ein Problem. Denn beides stimmt: Das Christentum kennt nur einen Priester, König und Propheten – Jesus, den Gesalbten Gottes (Christus). Zugleich werden alle Getauften in der gleichen Weise gesalbt und nehmen so Teil an der Würde und am Auftrag Christi – Priester zu sein, König und Prophet.
Könige scheinen wenig mit dem Leben aus dem Evangelium zu tun zu haben. Die Bedeutung wird sichtbarer, wenn das griechische Wort hinter dem deutschen „Reich Gottes“ zu klingen kommt. Im Neuen Testament ist von der Basileia die Rede, von der Königsherrschaft Gottes. Jesus greift dabei auf Jesaja zurück. Die Königsherrschaft Gottes ist da, wo ein friedvolles, gerechtes Miteinander der Menschen und der Natur gelingt. “Dann wohnt der Wolf beim Lamm … Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn…“ (Jes 11, 6-9) Dann leben die Menschen und die ganze Schöpfung nach der Vision Gottes. So entsprechen sie seinem Willen und finden gelingendes Leben „in Fülle“ (Joh 10,10). Diese Königsherrschaft Gottes kündigt Jesus an. Seine Jünger bekennen ihn nach der Auferstehung als den König dieser Königsherrschaft. Dieser Königsherrschaft sind die Christen in ihrem Königtum unbedingt verpflichtet. „Euch aber muss es zuerst um Gottes Königsherrschaft und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. (Mt 6, 33)
Bei dem Wort „König“ klingen Aspekte von Macht, von Herrschaft und Verantwortung an. Die Könige Israels haben, zumindest theoretisch, den dritten Aspekt immer in den Vordergrund gerückt. Wenn vom Königtum der Getauften die Rede ist, geht es zuerst um Verantwortung. Sie sind mit Christus mitverantwortlich für die Königsherrschaft Gottes. Sie stehen in der Verantwortung für ihre Welt – für ihr gesellschaftliches Umfeld, aber auch für die Umwelt. Artenschutz, Klimawandel, gerechte Verteilung der Lasten wie der Ressourcen unter den Völkern, ein Leben in Würde, Gerechtigkeit und Freiheit für alle Menschen, sind aktuelle Themen ihres geistlichen Königtums. Auch die „kleineren“ Dinge, zu denen jede und jeder direkt etwas beitragen kann, sind Ausdruck dieses Königtums: Gefangene und Kranke besuchen, Hungernde nähren, Obdachlose und Fremde aufnehmen… (Mt 25).
Zum „König“ gesalbt zu sein, bedeutet nicht Herr über andere zu sein, denn es gibt in der Königsherrschaft Gottes keine Untertanen. Aber die Christen sind Herrin und Herr im eigenen Leben, auch im eigenen geistlichen Leben. Niemand hat über die getaufte und gesalbte Christin, den Christen, zu verfügen. Das wäre ein geistlicher Missbrauch, der die Grundlagen des Glaubens zerstört. Umgekehrt ist die Verantwortung für das eigene (geistliche) Leben aber auch nicht delegierbar.
Dabei ist zu beachten, dass die Christen nicht als Einzelne zu Königen gesalbt werden. Ihr Königtum ist Anteil am geistlichen Königtum Christi – und es ist ein Anteil, den sie gemeinsam haben. Erst als „gemeinsames Königtum“ – als Kirche, wird es fruchtbar. Auch die Verantwortung jeder Christin und jedes Christen für Kirche ist nicht delegierbar. Gemeinsam bewahren die Christen Kirche als Raum, in dem sie ihre Berufung leben, aber auch als Ort der Freiheit, der sie in ihrem Königtum über das eigene Leben stärkt und respektiert. Durch ihr gemeinsames Königtum leben Christen Kirche zudem als starkes Instrument, um ihrer Verantwortung für die Königsherrschaft nach zu kommen. Da taucht dann auch der bisher vernachlässigte Aspekt der „königlichen“ Macht auf. Ein Drittel der Menschheit hat es durchaus mit in der Hand, ob diese Welt ein Ort der wachsenden Königsherrschaft Gottes ist.
Prophet/in
Ganz aus der alltäglichen Praxis der Kirche ausgewandert scheint das Wort „Prophet“ zu sein. Propheten, sind das nicht die wort- und zeichengewaltigen Prediger des Alten Testamentes mit einem Sonderwissen über die Zukunft? „Ich bin doch kein Prophet“, sagen wir, um auszudrücken, dass wir etwas nicht wissen können. Ich bin kein Prophet – „doch!“ sagt die Taufe, jede Christin, jeder Christ ist dazu mit Chrisam gesalbt. Ein Blick in die Heilige Schrift: „Wenn ich aber mit dir rede, werde ich deinen Mund öffnen. Dann sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr.“ (Ez 3,27) Ein Prophet, eine Prophetin ist zuerst der- oder diejenige, die auf Gottes Wort hinhört, die lauscht, achtsam ist, ausgerichtet ist auf Gott, der sich mitteilt. Modern würden wir sagen, ein Prophet ist ein Spiritueller, ein Gottsucher.
Der Christ, die Christin ist jedoch nicht Endstation der Mitteilung Gottes, empfängt nicht für sich selbst. Wie die Brunnenschale geben sie, was sich in ihnen gesammelt hat: Erfahrung mit Gottes Zuwendung, Erfahrungen mit tastender Suche und atemlosem Horchen, mit Verlust und gefunden werden. Propheten reden von dem, was sie empfangen haben. Sie sagen es in eigenen Worten und mit den Möglichkeiten ihrer Zeit, aber sie sagen Worte Gottes für ihre Mitmenschen. Damit das aber nicht banal ist, hilfloses Gutmenschentum und völlig losgelöst von ernstzunehmenden Lösungen, gehört zum Prophetentum der klare Blick für die Bedingungen und Zusammenhänge. Propheten sehen, verstehen und wissen aus ihrer Erfahrung mit Gott zu deuten, was um sie herum geschieht. Die „Zeichen der Zeit“ lesen, nennt es das letzte Konzil. Das macht sie nicht beliebt, aber ihr Prophetentum ist nicht beliebig. Es ist auf sie gelegt. Sie müssen reden. Sie müssen Missstände anprangern. Sie müssen den Finger in die Wunde legen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Einzelne dabei immer wieder irrt, liegt nahe 100%. Auch das Prophetentum der Christinnen und Christen kann nur gemeinsam ausgeübt werden – es ist gemeinsames Prophetentum. Die eigene Meinung – in säkularen, wie in spirituellen Dingen – ist dabei so wenig delegierbar, wie die eigene Erfahrung. Aber erst im Konzert der Meinungen und Erfahrungen schwingt sich das Leitmotiv des prophetischen Wortes aus der Vielstimmigkeit auf. Die Basis des gemeinsamen Prophetentums ist deshalb der offene Dialog, der Austausch auf Augenhöhe, das Glaubensgespräch unter Glaubensgeschwistern. Dieser Dialog umfasst dabei virtuell alle lebenden Christinnen und Christen. Aber der Dialog der Prophetinnen und Propheten greift auch über die Zeiten zurück bis in die Anfänge des Volkes Israel, zurück in die Zeit der Apostel, zurück in die zweitausend Jahre Glaubensgespräch und Verkündigung in der Kirche. Was alle gemeinsam glauben, darin aber kann das Gottesvolk nicht irren. Der Glaubenssinn der Christinnen und Christen bezieht sich nicht nur auf theologische Überzeugungen, sondern auch auf ihr prophetisches Wort in die Gesellschaft hinein. Wenn Christinnen und Christen überall und immer dafür einstehen, dass jedes menschliche Leben, jede Frau und jeder Mann, Würde und Wert von Gott her hat, dann können sie darin nicht irren, auch wenn ihnen dieses prophetische Wort nicht selten übel angekreidet wird. Das Schicksal der Propheten ist keineswegs nur Vergangenheit.
Priester/in
Das Schicksal der Propheten ist das Schicksal Jesu. Er gab sein Leben für sein prophetisches Wort. Diese Hingabe an Gott und für seine Menschenschwestern und –brüder ist ein wesentliches Element des Priestertums Christi. Er ist Gabe und Geber zugleich. Er gibt nicht etwas von sich, sondern sich selbst. Er behält er nichts für sich zurück. Und genau so ist er der Heiland, der Retter des Menschengeschlechts, so schafft er Versöhnung. Sein Leben ist Gottesdienst – ob er heilt, oder predigt, oder isst, oder ausruht, oder Gastfreundschaft genießt, oder in der Auseinandersetzung steht, oder betet, oder als Zimmermann arbeitet, oder eine Hochzeit besucht. Alles in ihm ist ausgerichtet auf Gott und seinen Dienst an den Menschen und der Schöpfung.
Die Ausrichtung auf Gott und die Hingabe an die Menschen stehen auch im Zentrum des Priestertums der Christinnen und Christen. Die Priesterinnen und Priester des gemeinsamen Priestertums sind Mittler und Werkzeug zwischen Gott und seiner Sendung, die er sich für seine Welt gegeben hat: Befreiung, Vergebung und Versöhnung, Heil(ig)ung, Verbindung mit Gott und untereinander, Leben in Fülle für alle. Auf der einen Seite ist jede und jeder Hausgenosse Gottes, Vertraute und Vertrauter Gottes, mit freiem Zugang und familiärem Umgang (Eph 2,19). Sie sind Frauen und Männer Gottes. Auf der anderen Seite sind sie eine Gabe Gottes an die Welt, stehen sie in der Sendung und im Auftrag Christi. Ihr Priestertum leben sie als Hingabe an die Menschengeschwister und die geschundene Schöpfung und treten so in die Lebensgabe des einen Hohenpriesters Jesus Christus (Hebr 5,8-10) ein.
Vor Schmerz und Scheitern fürchten sie sich wie alle Menschen. Wie alle möchten sie gut und sicher leben. Aber sie wissen um den Weg der Erlösung, den Weg des Gottesknechtes, den Weg der Passion. Die Priesterinnen und Priester des gemeinsamen Priestertums leben mit Passion – in beiden Bedeutungen des Wortes. Die Passion Gottes zu leben, ist ihr Priestertum. Sie leben priesterlich, ob sie „wachen oder schlafen“ (1 Thess 5,10), ob sie im Büro arbeiten oder auf den Feldern, ob sie essen, beten, lachen, Kinder erziehen, Sport treiben, pflegen, Besuche machen, spielen – ob sie religiöse Vokabeln benutzen oder nicht. Aber indem sie aus ihrer Taufe leben, leben sie Wandlung, geben sie ihren Körper für die leibliche Gegenwart Christi, leben sie eucharistisch, sind sie Eucharistie. Und wieder ist es ihnen gemeinsam anvertraut. Nur gemeinsam sind sie Leib Christi. Vom Einzelnen so etwas zu behaupten, wäre ein Fall für die Psychiatrie. Der Leib Christi ist gemeinschaftlich. Deshalb schaffen die Christen Gemeinschaften, Vereine, Gemeinden, Orden… leben sie Freundschaft mit dem Herrn und untereinander.