Seelsorge kennt ganz unterschiedliche Gesprächsformen: Krankenseelsorge, geistliche Begleitung, Notfallseelsorge, Kasualgespräche, Schulseelsorge… durch Haupt- und Ehrenamtliche. Jede Form hat ihre eigenen Regeln und Herausforderungen. Manchmal entstehen seelsorgliche Gespräche auch spontan am Rande anderer (pastoraler) Tätigkeiten – und „erste Hilfe“ ist gefragt.

Erste Hilfe – durch Seelsorge

Text: Peter Hundertmark – Photo: AlexDe/pixabay.com

Nicht selten entstehen seelsorgliche Gespräche aus ganz anderen Situationen und Kontexten heraus: am Rande von Veranstaltungen oder privaten Feiern, bei Begegnungen auf der Straße oder nach Gottesdiensten, bei organisatorische Besprechungen und Teamsitzungen, bei Kasualien… Seelsorger*innen müssen dann sehr rasch umschalten und in neu angepasster Weise auf ihre Gesprächspartner*innen reagieren. Oft entstehen solche ungeplanten Gespräche durch einen hohen inneren (Leidens-)Druck der Gesprächspartner*innen. Anders als zum Beispiel vereinbarte und regelmäßige geistliche Begleitung ist Seelsorge dann aufgerufen, rasch – manchmal stehen nur wenige Minuten zur Verfügung – „erste Hilfe“ zu leisten.

Erfahrene Seelsorgerinnen und Seelsorger haben schon viele schwierige Gespräche geführt, in denen dramatische Situationen angesprochen wurden, tiefe Emotionen ausgedrückt wurden, intensiver Beistand gefragt war. Sie haben Strategien erlernt und erprobt, die ihr Zuhören für ihre Gesprächspartner*innen hilfreich werden lässt. Sie wissen aber auch, wie leicht sie von Gesprächen überrollt werden, die eben noch nicht abzusehen waren und in denen dann unmittelbar heftige Ansagen gemacht werden. Die folgenden Hinweise verstehen sich deshalb als „Auffrischungen“ für erworbene Fähigkeiten.

Hilfreiche Klärungen gleich zu Gesprächsbeginn

Jeder Kontext erfordert ein etwas anderes Gesprächsverhalten. Deshalb ist es wichtig, in den allerersten Minuten des Gesprächs einen Eindruck davon zu bekommen, was für ein Gespräch wohl dran sein könnte: Informationsbedarf, praktische Fragen der Organisation, Beschwerde, Seelsorge… – wohl wissend, dass sich das im Gesprächsverlauf auch rasch ändern kann. Der Anfang ist jedoch immer gleich:

Wann immer Seelsorge gefragt sein könnte, geht es darum, eine Situation zu schaffen, in der der Zuhören und Anteilnehmen wirklich möglich sin. Das kann eine Verlagerung des Gesprächsorts nötig machen oder eine Terminvereinbarung. Manchmal ist das jedoch weder möglich, noch angebracht. Dann ist zumindest zu klären, wie viel Zeit maximal zur Verfügung steht. Fünf konzentrierte Minuten können hilfreicher sein, als ein Stunde, in der der*die Seelsorgende innerlich ständig auf die Uhr schaut, weil er*sie längst woanders sein müsste.

Meist wird von Seelsorgenden Diskretion selbstverständlich erwartet. Dennoch kann es gut sein, zu Beginn des Gesprächs knapp auf das Seelsorgegeheimnis hinzuweisen.

Hinweise für verschiedene seelsorgliche Herausforderungen

Wenn im Folgenden seelsorgliche Herausforderungen beschrieben werden und Interventionsmöglichkeiten vorgeschlagen werden, dann soll dabei nicht der Eindruck entstehen, dass ein wirkliches Gespräch immer einer Kategorie zuzuordnen wäre oder zwangsläufig die ganze Zeit im gleichen Anliegen verbleiben würde. Die Übergänge sind oft rasch und fließend und das eigenen Gesprächsverhalten muss jeweils flexibel angepasst werden. So kann ein Gespräch vielleicht mit „Abladen“ beginnen, dann „Stabilisierung“ verlangen, für eine Zeit in die Klärung von Sachfragen gleiten und wieder bei einem Stabilisierungsbedarf enden.

  1. Stabilisierung

Typisch dafür ist, dass Menschen – manchmal sehr spontan und wie „mit der Tür ins Haus“ – sehr starke Emotionen ins Wort bringen oder auch unmittelbar davon „überrollt“ werden.

Achten sie darauf, dass dann die Passagen, in denen ihr/e Gesprächspartner/in spricht, relativ kurz sind und sie sich regelmäßig mit Interventionen zwischenschalten. In einer ersten Erzählphase nehmen sie die Emotionen auf und „spiegeln“ sie zurück. „Ich nehme wahr, dass Sie … sind. Stimmt diese Wahrnehmung?“ Achtung: „spiegeln“ heißt nicht „Papagei spielen“. Schließen sie mit eigenen Worten an und signalisieren sie so, dass sie zu verstehen versuchen und so gut wie möglich beim anderen sind.

Wenn der erste Rededruck ein wenig nachlässt,  beginnen Sie, das Gespräch etwas aktiver zu steuern. Sorgen Sie nun durch gezielte Verständnisfragen immer wieder für Struktur, Klarheit und „Erdung“.
Ziel ist es, der/dem Gesprächspartner/in zu helfen, sich zum eigenen Erleben in Distanz setzen zu können und in eine erste Reflexion zu kommen. Dazu helfen Interventionen wie: „Dieses Erleben… (konkret das Gehörte aufnehmen) ist im Moment sehr im Vordergrund. Aber das ist ja nicht alles, was sie ausmacht. Gibt es auch noch ganz andere Erlebnisse/Empfindungen in diesen Tagen?“ Oder: „Wie wirkt sich das konkret aus, was sie beschreiben? Möchten sie mal ein Beispiel machen?“

Mit die beste Hilfe, um wieder „Boden unter die Füße zu bekommen“, sind Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. Wo immer etwas auftaucht, was der/die Gesprächspartner/in gut bewältigt hat, etwas im angesprochenen Kontext selbst leisten konnte… wird das herausgegriffen und positiv verstärkt. Sie können auch aktiv danach fragen. Dann wird ein Bogen geschlagen: „Sie haben Erfahrungen, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen können. Sie haben schon eine Menge geleistet und bewältigt. Möchten Sie etwas davon erzählen? Ich bin sicher, dass Ihnen das auch jetzt helfen wird, mit der Situation fertig zu werden.“

In der dritten Phase werden sie noch aktiver. Ressourcen aktivieren: „Was war bisher Ihre Strategie, um mit solchen Situationen fertig zu werden? Was brauchen Sie jetzt – und wie könnten Sie es bekommen?“ Hilfreich sind auch Fragen nach dem sozialen Netz: „Wer oder was gibt Ihnen Kraft? In wessen Gesellschaft fühlen Sie sich wohl? Wem könnten Sie sich mit diesem Erleben noch anvertrauen?“ Es geht auch darum, Ermutigung zu geben: „Nach allem, was Sie mir bisher erzählt haben, traue ich Ihnen das zu! Sie haben mehr Kraft, als Sie im Moment vielleicht sehen können.“  Versuchen Sie, eine Zukunftsperspektive zu eröffnen.

Abschluss des Gespräch: Fragen nach praktischer Unterstützung, Netzwerken, Sozialkontakten, stabilisierenden Faktoren im Umfeld. Geben Sie Hinweise auf andere Gesprächsmöglichkeiten. Wenn es Ihre Situation möglich macht, bieten Sie sich auch selbst für weitere Gespräche an.

1.1. Sonderfall: Traumatisierung

    Wenn sich in der ersten Phase des Gesprächs zeigt, dass die Person etwas erlebt hat, was ihre Verarbeitungsmöglichkeiten momentan übersteigt, dann gilt besondere Vorsicht. Lassen Sie möglichst nicht zu, dass die/der Gesprächspartner/in in ein Wiedererleben der Situation gerät. Sie müssen auch nicht wissen, was genau passiert ist. Details sind überhaupt nicht notwendig, damit Sie jetzt Verständnis für diesen Menschen in seiner Situation haben können.

    Bei einer Traumatisierung können Sie mit einem Gespräch keine wesentliche Besserung erreichen. Es ist nur „erste Hilfe“, damit das Leben erstmal weitergehen und der/die Gesprächspartner/in ins Handeln kommen kann. Lenken sie das Gespräch deshalb sehr viel deutlicher. Lassen Sie nur kurze Redepassagen zu. Unterbrechen Sie. Im Zweifelsfall ist es besser, Sie kommen ein wenig unfreundlich rüber, aber der/die Gesprächspartner/in wird vor den eigenen, jetzt nicht verarbeitbaren Emotionen und möglichen Retraumatisierungen geschützt.

    Ziel ist es, dass Ihr*e Gesprächspartner*in möglichst in eine Distanz zum Erlebten kommt. Dazu hilft alles, was den/die Gesprächspartner/in ins „Jetzt“ bringt – denn jetzt ist dieses schreckliche Erleben nicht da. Es ist Erinnerung. Es ist Vergangenheit, schlimme Vergangenheit, aber Vergangenheit. Helfen kann auch: „Wie geht es ihnen im Moment? Wie fühlt sich das jetzt an, dass sie so etwas (offen lassen!) erleben mussten? Wie geht es jetzt, wo wir darüber sprechen?“

    Fragen Sie nach dem sozialen Umfeld. Weiß jemand davon? Wem könnte sich ihr/e Gesprächspartner/in noch anvertrauen? Wie könnte er/sie sich in Sicherheit bringen, wenn die Bilder/Emotionen zu heftig werden?

    In die nun hoffentlich entstandene Lücke zwischen dem schrechlichen, aber früher Erlebten und dem Jetzt schlagen Sie konkrete Hilfen vor. Erstansprechpartner/in ist immer der/die Hausärzt/in. Aber es gibt auch Trauma-Ambulanzen… Wenn Sie nicht sofort Ideen haben, kündigen Sie an, sich zu informieren und geben Sie einen nahen Zeitpunkt an, wann Sie sich melden.

    Überziehen Sie die angegebene Zeit nicht. Traumatisierten zuzuhören kostet sehr viel Kraft. Fassen Sie aber abschließend das Gespräch zusammen und markieren Sie, was nach Ihrem Eindruck in diesem (Kurz-)Gespräch erreicht werden konnte. Fragen Sie nach, ob die nächste Zeit bewältigt werden kann. Wenn nicht, was äußerst selten ist, dringen Sie darauf, dass der/die Gesprächspartner/in den Notruf benutzt.

    2. „Abladen“

    Typisch für ein Gespräch, bei dem der/die Gesprächspartner/in „nur mal abladen“, klagen, jammern… will, ist es, dass mehrere Erzählungen in rascher assoziativer Abfolge aneinander gereiht werden. Ihr/e Gesprächspartner/in geht auch meist nicht auf ihre Interventionen ein, sondern kehrt unmittelbar in den eigenen Gesprächsfluss zurück.

    Abladen ist legitim und ein Bedürfnis, dass alle Menschen immer wieder haben. Es erfordert aber nur ein – zeitlich begrenztes – Ohr. Menschen, die vor allem abladen wollen, wollen in diesem Moment nicht unbedingt an sich arbeiten, etwas klären, eine neue Perspektive entwickeln… Sie wollen sich entlasten. Auch dafür ist Seelsorge da!

    Lassen sie die Gesprächspassagen laufen. Streuen Sie ab und an ein Aufmerksamkeitssignal ein. „Hm“, „ach“, „wirklich“, „war das so?“ genügt oft völlig. Greifen Sie gelegentlich die Emotionen auf. Achten Sie dabei darauf, dass sie deutlich schwächere Worte benutzen als ihr/e Gesprächspartner/in. Also: „traurig“ statt „verzweifelt“, „es schmerzt“ statt „es bringt mich fast um“, „ärgerlich“ statt „zornig“.

    Weisen Sie rechtzeitig darauf hin, wenn die Gesprächszeit bald zu Ende geht. Fragen Sie nach, wie es ihrer/m Gesprächspartner/in jetzt geht. Schließen Sie, indem Sie wertschätzend ihren Eindruck formulieren, was mit der/dem Gesprächspartner/in los ist. Bsp: „Ihnen ist schon über mitgespielt worden“. In aller Regel bieten Sie von sich aus kein weiteres Gespräch an.

    Nach einem solchen Gespräch geht es der/dem Gesprächspartner/in normalerweise besser. Er/sie ist entlastet. Ihnen aber geht es schlechter, denn Sie haben die Last „rübergeschoben“ bekommen. Öffnen Sie das Fenster, gehen Sie ein paar Schritte auf und ab, schildern Sie einem/r Kolleg/in kurz und in distanzierter Zusammenfassung, was sie gerade erlebt haben… Rufen Sie sich in Erinnerung, dass Sie gerade Emotionen empfinden, die nicht zu Ihnen gehören, sondern die Sie übernommen haben. Versuchen Sie diese wieder von sich abzustreifen.

    2.2. Sonderfall: Schwellenthema

    Manche Menschen, die erst lange „abgeladen“ haben, präsentieren in der letzten Minute das „eigentliche“ Thema. Signalisieren Sie, dass Sie verstanden haben, dass darüber mal dringend gesprochen werden müsste, aber beenden Sie das Gespräch dennoch wie vorgesehen. Wenn ihr/e Gesprächspartner/in da wirklich drangehen will, muss er/sie ein weiteres Gespräch suchen.

    Diese markierten, aber nicht bearbeiteten Themen hinterlassen in Ihnen in der Regel heftige Emotionen, Sorge, Ärger… Aber Sie können nichts tun. Ihr/e Gesprächspartner/in hat es – meist unbewusst – so inszeniert, dass er/sie zwar das Thema platziert, aber eine Bearbeitung verhindert hat. Das ist ihr/sein gutes Recht. Niemand muss sich mit den eigenen Problemen auseinander setzen. Aber Sie müssen es zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht.

    Nutzen Sie die Hinweise im vorherigen Abschnitt, um die übernommenen Emotionen wieder abzustreifen.

    3. Ärger

    Es gibt durchaus immer wieder gute Gründe, über Kirche und ihrer Vertreter, die Weltlage, die „da oben“… zornig zu sein. Vielleicht muss dieser Zorn einfach mal raus. Auch dafür ist Seelsorge da. Wenn Sie es also mit einer/m Gesprächspartner/in zu tun haben, die/der „Dampf ablassen“ will oder muss, ist die wichtigste Grundregel, dass Sie es nicht persönlich nehmen. Sie bekommen es zwar gesagt, manchmal auch „um die Ohren gehauen“, aber Sie sind nicht unbedingt selbst gemeint.

    Ärger ist ansteckend. Vielleicht können Sie den Ärger gut nachvollziehen. Das dürfen und sollen sie auch zeigen.

    Vielleicht ärgern Sie sich aber über ihre/n Gesprächspartner/in, der Sie so heftig angeht. Dann vermeiden Sie so gut es geht, aus dem eigenem Ärger heraus zu reagieren. Um ruhig und sachlich bleiben zu können, hilft es oft, „verlangsamt“ zu reagieren. Sie signalisieren mit einem „hm“, dass Sie jetzt sprechen möchten, atmen dann aber erst einmal lange aus und wieder ein. Dieser winzige Moment genügt oft, dass der Ärger, der jetzt in Ihnen ist, wieder beherrschbar ist.

    Nehmen Sie die Aussagen ihres/r Gesprächspartner/in auf, aber steigen Sie nicht inhaltlich ein und vermeiden sie jedes Streitgespräch: „Ich verstehe, dass Sie das richtig ärgert.“ „In ihrer Situation ist es verständlich…“ Ärger ist wie eine Art innerer Überdruck. Wenn er gesagt werden darf, entweicht der Druck relativ schnell. Während dieser ersten Phase müssen Sie nicht viel tun, außer sich selbst emotional in Distanz zu halten.

    Sie spüren, wenn sich das Gespräch verändert, weil jetzt der Ärger ausgedrückt und damit erstmal verraucht ist. Dann beginnt ein anderer Gesprächstyp. Eventuell müssen Sie nun einen weiteren Gesprächstermin anbieten, weil nicht mehr genügend Zeit ist, in eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Situation einzusteigen.

    3.1. Sonderfall: Angriff

    Manchmal passiert es, dass Sie stellvertretend für Kirche, „die da…“ oder wen auch immer persönlich angegriffen werden. Auch hier gilt, dass Sie sich diesen Angriff vom Hals halten dürfen und sollen. Aber jetzt ist es dran, es auch auszusprechen. „Ich verstehe ihren Ärger, aber Sie werden verstehen, dass ich da eigentlich die falsche Adresse bin. Ich kann mir Ihren Ärger jetzt gerne anhören und wenn Sie möchten, an die zuständigen Stellen weitergeben, aber ich bitte Sie zu beachten, dass nicht ich der/die Verursacher/in, die Kirche, „die da oben“… bin.

    Sie müssen sich auch nicht alles anhören. Wenn es Ihre Grenze überschreitet, dann unterbrechen Sie Ihre/n Gesprächspartner/in, weisen Sie darauf hin, dass Sie gerade nicht mehr in der Lage sind, seelsorglich, wohlwollend und konzentriert zuzuhören und beenden Sie das Gespräch. Wichtig ist, dass Sie ausdrücken, dass nicht ihr/e Gesprächspartner/in das Problem ist, sondern, dass Sie an ihre Grenzen gekommen sind.

    4. Sich selbst klar werden

    Menschen suchen das Gespräch, wenn sie sich über ihr eigenes Empfinden, die Zusammenhänge, die Bedeutung für das eigene Leben nicht alleine klar werden. Oder wenn sie alleine keine Zukunftsperspektive entwickeln, nicht ins Handeln kommen können.

    Nun gilt fast die umgekehrte Regel, wie bei der Stabilisierung. Es geht darum, aus den Geschichten, aus der Information, aus der Sachebene… in die Ebene der Emotionen zu kommen. Diese Menschen empfinden natürlich, aber sie finden manchmal noch keine richtigen Worte dafür und können sich deshalb auch nicht für sie zufriedenstellend zum eigenen Empfinden verhalten. Fragen Sie also sehr häufig nach, wie es sich anfühlt. Bieten Sie Vokabeln für das an, was sie an Emotionen wahrgenommen haben. Nutzen Sie ihr eigenes Empfinden. Sie entdecken in sich die Empfindungen, die der/die andere gerade bei sich nicht wahrnehmen kann.   

    Wenn Sie Worte für die Emotionen anbieten, können Sie nichts falsch machen, solange Sie wirklich etwas anbieten und nicht festlegen. Wenn Sie sagen: „Sie sind traurig!“ werden sie wahrscheinlich Widerspruch ernten. Wenn Sie aber sagen: „Auf mich wirken sie traurig… oder wie würden sie es beschreiben?“ werden Sie wahrscheinlich eine Differenzierung und genauere Selbstbeschreibung ermöglichen. Sie können auch zwei verschiedene Emotionen anbieten: „Wie ist es für sie? Würden sie es eher als Schmerz oder eher als Angst beschreiben?“

    In dieser Gesprächsform bieten Sie nach Möglichkeit emotionale Vokabeln an, die etwas stärker sind, als das was Sie wahrnehmen oder von ihrem/r Gesprächspartner/in schon eingebracht wird. Also „Wut“, wo eigentlich nur „Ärger“ zu spüren ist. Das hilft ihren Gesprächspartnern die eigenen Empfindungen abzuschätzen und einzuordnen. Keine Sorge, wenn ihr/e Gesprächspartner/in Sie korrigiert. Das bedeutet nicht, dass Sie etwas falsch gemacht haben. Sie haben genau das bewirkt, was jetzt dran ist.

    Im letzten Drittel des Gesprächs leiten Sie behutsam über: „Wie geht es Ihnen jetzt, nachdem wir das gemeinsam angeschaut haben?“ Sie helfen damit ihrer/m Gesprächspartner/in Schlüsse und Nutzen aus dem Gesprächsverlauf zu ziehen. Dann fällt es meist auch leicht, den nächsten Schritt in Blick zu nehmen. „Was ist jetzt für sie dran? Was könnte Ihnen gut tun? Welche Schritte wollen Sie angehen?“

    Dass das Gespräch „gelungen“ ist, spüren Sie daran, dass es beiden, Ihnen selbst und ihrer/m Gesprächspartner/in „besser“ geht. Das Gespräch hinterlässt ein leichtes Gefühl. Sie haben nicht Energie gegeben, sondern Sie beide haben durch die gemeinsame Achtsamkeit Energie gewonnen. Manchmal können Sie diesen Eindruck abschließend auch formulieren.

    5. Spirituelle, theologische Themen

    Alle Sachthemen, auch spirituelle oder theologische Themen sind immer sekundär zum Erleben. Das heißt, solche Themen können in jedem der zuvor besprochenen Gespräche eine Rolle spielen. Die Gesprächsregeln bestimmen sich also von der emotionalen Situation.

    Manchmal werden (religiöse oder andere Sach-)Themen angesprochen, um eine emotionale Belastung zu „rationalisieren“. Sie spüren das. Das Energieniveau sinkt ab. Man hat das Gefühl, noch länger so weiterreden zu können, aber der Nutzen ist nicht so eindeutig. Lassen Sie sich möglichst nicht von der interessanten theologische Fragestellung einfangen. Ein spontanes Seelsorgegespräch ist nicht der Ort, so etwas in Ruhe auszudiskutieren. In diesem Fall steigen Sie möglichst schnell aus der Sachthematik wieder aus und versuchen Sie, Ihre/n Gesprächspartner/in auf seine aktuelle Situation und mögliche Notlage zu fokussieren. Helfen können Fragen wie: „Was bedeutet das für Sie ganz konkret? Was verändert sich dadurch für Sie in dieser Situation?“

    Manchmal wird ein vertrauliches Gespräch auch genutzt, um eigene theologische Überlegungen oder spirituelle Erfahrungen, gerade dann, wenn sie sich aktuell verändern, „probe“ zu sprechen. Sie spüren auch das. Die Aussagen werden in den Raum gestellt und gleich mit Worten oder durch den Tonfall halb wieder zurückgenommen. Nehmen Sie also die Formulierungen auf, bestätigen Sie, stellen Sie in einen Kontext, oder vermitteln Sie, dass man das durchaus auch so sehen kann. Ermutigen Sie, dass ihr/e Gesprächspartner/in selbst weiter Worte für ihr/sein religiöses Erleben und Denken sucht. Ziel ist jetzt nicht, so etwas wie Rechtgläubigkeit zu erreichen, was immer das auch genau sein sollte. Seelsorge ist kein Katechismus-Unterricht. Sie müssen deshalb auch kein/e Expert/in sein. Es geht vielmehr darum, dass Ihr/e Gesprächspartner/in sich traut, sich selbst ein Urteil zu bilden und Sprache für das zu finden, was ihn/sie innerlich bewegt.

    Manchmal geht es auch darum, sich des eigenen spirituellen Erlebens zu vergewissern: Durch die Reaktion des Gegenübers wird das Eigene klarer. Was wir „innerlich“ erleben, wird in anderer Weise wirklich, wenn wir es aussprechen und mitteilen. Sie greifen jetzt die Aussagen auf und „spiegeln“ sie mit ihren eigenen Worten zurück. Dabei darf durchaus mitklingen, wie sie selbst in einem ähnlichen Bereich Erfahrungen machen oder wie Sie ihren Glauben ins Wort zu bringen versuchen. Es entsteht ein geistlicher Austausch, wo beide geben und beide empfangen. Beide erleben sich durch ein solches Gespräch im Glauben gestärkt und angeregt.  

    6. Psychische Belastungen

    Nicht wenige Menschen müssen mit psychischen Belastungen leben. Diese durchziehen unweigerlich alle Gesprächssituationen. Sie können jetzt Ihrer/m Gesprächspartner/in etwas ganz Wertvolles geben: geduldig zuhören. Zu erleben, dass ein anderer Mensch wirklich wissen will, wie es mir geht, ist eine sehr kostbare Erfahrung. Sie müssen nichts relativieren, nichts erklären, nichts bewerten. Und natürlich können Sie in einem kurzen Gespräch nichts lösen oder heil machen.

    Zwei innere Einstellungen können Ihnen helfen: Der Mensch, der mit mir spricht, lebt schon länger mit dieser Belastung. Er/sie hat gelernt, irgendwie damit umzugehen und weiterzuleben. Er/sie ist „Profi“ für seine/ihre Belastung. Und: Alle die Gefühle, die sich in Ihnen einstellen, das Mitleid, die Ohnmacht, die Sorge, die Verwirrung… sind abgeleitete Empfindungen. Sie erleben sie, weil Ihnen diese/r Gesprächspartner/in zu Herzen geht, nicht weil es Ihnen selbst so geht. Eine Erzählung auszuhalten und abgeleitete Gefühle zu spüren, ist aber leichter, als selbst in der Haut zu stecken.

    Leichter haben Sie es und Ihrer/m Gesprächspartner/in sind Sie hilfreicher, wenn Sie selbst sich nicht in die Atmosphäre und den Tonfall der Belastung hineinziehen lassen. Wenn also ihr/e Gesprächspartner/in ganz leise spricht, verhaucht, immer wieder weint, nützt es ihm/ihr nichts, wenn Sie es ihm/ihr nachtun. Bleiben Sie bei möglichst bei Ihrer normalen Stimme – lieber ein wenig „fester“ und bestimmter, als sie es sonst wären. Oder wenn ihr/e Gesprächspartner/in alle halbe Sätze von himmelhochjauchzend nach zutodebetrübt wechselt, dann bleiben Sie möglichst in ihrer eigenen Stimmungslage und „mit beiden Beinen fest auf dem Boden“ der Realität. Das ist ziemlich schwierig. Vielleicht gelingt es, wenn nicht, machen Sie sich bitte keine Vorwürfe. Sie sind kein/e Therapeut/in und müssen es auch nicht sein.

    Menschen mit psychischen Belastungen zuzuhören „geht unter die Haut“. Sie brauchen nach so einem Gespräch unbedingt eine Pause – möglichst mit etwas Bewegung, am besten an der frischen Luft.

    Manchmal hilft es, das Gehörte in einem kurzen Gebet an Gott „abzugeben“. Wann immer Sie die Möglichkeit haben, erzählen Sie einem/r Kolleg/in kurz von dem Gespräch und bitten Sie sie um eine Rückmeldung und Einschätzung. Die eigene Familie ist nicht als Blitzableiter für belastende Gespräche geeignet! Sie spüren an Ihrer inneren Verfassung, wann Sie wieder in der Lage sind, andere Aufgaben anzugehen.

    6.1. Sonderfall: Suizidgefährdung

    Wenn Suizidgefährdung im Raum steht, hilft nichts besser, als es ausdrücklich anzusprechen. Auch dieses Thema kann besprochen werden. Ihr/e Gesprächspartner/in bekommt so eine Chance, sich zu ihren eigenen Bedrängnissen, Todessehnsüchten, Empfindungen und Überlegungen zu verhalten. Diese Möglichkeit besteht für die allermeisten Menschen, die mit solchen Gedanken umgehen müssen, in ihrem Alltag und mit vertrauten Menschen nicht. Die erste Hilfe, die Sie geben können, ist also über die Suizidgedanken zu reden. Indem Sie das Thema ansprechen, bringen Sie niemanden auf solche Gedanken, der sie vorher nicht hatte.

    Ihnen kann es helfen, dass Sie sich bewusst halten, dass jede/r erwachsene Deutsche ein- oder mehrmals Phasen in seinem/ihrem Leben hat, wo die Idee, nicht mehr leben zu müssen, attraktiv ist. Es ist also zugleich ein ganz und gar nicht alltägliches Thema und ein Thema, das eben doch sehr alltäglich ist. Sie können also darüber sprechen, wie über jedes andere Thema auch.

    Allerdings braucht es gleichzeitig eine besondere Vorsicht. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob jemand denkt, es wäre besser, er/sie wäre nicht mehr da, oder ob jemand konkrete Phantasien oder gar Pläne hat, wie er/sie sein/ihr Leben beendet. Je konkreter die Vorstellungen, desto größer ist die Gefahr für das Leben ihrer/s Gesprächspartner/in. Versuchen Sie in diesem Fall zu klären, ob es ein soziales Umfeld gibt, das von der Gefährdung weiß und schützen kann. Versuchen Sie herauszuhören, ob ihr/e Gesprächspartner/in sich ihrer/seiner selbst noch sicher ist und ob er/sie noch verlässlich zusagen kann, den letzten Schritt nicht zu gehen.

    Wenn Sie sich nicht sicher sind, wie gefährlich die Situation ist, bitten Sie ihre/n Gesprächspartner/in sich umgehend in Sicherheit zu bringen. In der Regel heißt das, sich selbst in ein Krankenhaus zu begeben. Ist er/sie dazu nicht bereit, weisen Sie ihn/sie darauf hin, dass Sie dann verpflichtet sind, die Polizei zu informieren. Das tun Sie dann auch umgehend, selbst dann, wenn ihr/e Gesprächspartner/in das nicht will. Sie sind dazu verpflichtet. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung und im Extremfall sogar strafbar. Das Gebot der Diskretion und auch das Seelsorgegeheimnis müssen an dieser Stelle hinter der Rettung von Leben zurückstehen. Manchmal zeigt sich dann, dass Sie sich zu viele Sorgen gemacht haben. Dafür wird Ihnen niemand einen Vorwurf machen, schon gar nicht die Polizei. Lieber einmal zu oft gehandelt, als einmal nicht reagiert.

    Und danach: Seelsorge für Seelsorgende

    Gehen Sie davon aus, dass Sie oft solche Gespräche zwar gut bewältigen können, anschließend aber vielleicht selbst Gesprächsbedarf haben.

    Vielleicht werden eigene Erfahrungen in Ihnen wach. Vielleicht kommen Erinnerungen an andere Gespräche hoch. Vielleicht drängen sich Ihre eigenen Aggressionen, Ihre Ängste, belastenden Erinnerungen, Nöte und Sorgen… erst nach dem Gespräch in Ihr Bewusstsein. Vielleicht sind sie einfach erschöpft und kaputt. …

    Seelsorgende brauchen Seelsorge. Seelsorge für Sie selbst ist nochmal etwas anderes, als die unmittelbare Psychohygiene nach schwierigen Gesprächen und etwas anderes als Supervision. In Seelsorge und geistlicher Begleitung haben Sie den Schutzraum, über Ihre eigenen Fragen und Belastungen zu sprechen – auch über solche Belastungen, die aus Ihrer seelsorglichen Tätigkeit stammen.

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