Die Unterscheidung der Geister, wie von Ignatius von Loyola entwickelt wurde, wird hier für pastorale Beratungssituationen und Entscheidungen umgesetzt. Zur Verfügung steht damit ein Verfahren, das in Sitzungen von Gremien und Teams integriert werden kann. Es erfordert keine besonderen Vorkenntnisse.
Beratung durch geistliche Unterscheidung
Text: Peter Hundertmark – Photo: geralt/pixabay.com
Im pastoralen Alltag sind ständig Entscheidungen zu treffen: Wer steht wann dem Gottesdienst vor? Wie gestalten wir die Zusammenkunft des Caritas-Kreises? Worauf kommt es an, wenn die Erstkommunionvorbereitung neu überdacht werden muss? Wer sind unsere Adressaten? Wie wollen wir als Gemeinde am Ort präsent sein? Solche Entscheidungen lassen sich in drei Kategorien systematisieren. Es gibt operative Entscheidungen für das Tagesgeschäft. Sie beziehen sich auf konkrete Ereignisse. Davon sind strategisch-konzeptionelle Entscheidungen zu unterscheiden. Sie thematisieren die mittelfristige Ausrichtung eines Arbeitsbereiches. Umfasst werden diese beiden ersten Kategorien von der Ebene der Vision oder des Horizontes. Jetzt geht es darum, die Ausrichtung der Pastoral zu bedenken, die Außenbeziehungen und das Selbstverständnis der Gemeinde, letztlich ihr Profil zu schärfen.
Häufig gehen solche Entscheidungsthemen in den Arbeitsplänen der Einzelnen, der Teams und Gremien durcheinander. Um Beratung effizient gestalten zu können, hat es sich jedoch bewährt die Kategorien zu trennen und entweder den Fokus auf die operative, auf die strategische oder die visionäre Ebene zu legen. Das folgende, durch spirituelle Verfahren unterstützte Beratungskonzept eignet sich dann insbesondere für Entscheidungen der strategisch-konzeptionellen Ebene.
Zuerst ist dann zu klären, wer die Verantwortung für den Bereich tragen soll, der zur Beratung ansteht. Hier ist für klare Verhältnisse zu sorgen. Er/sie muss auch wirklich entscheidungsbefähigt sein. Verantwortung bedeutet Verantwortung – und nicht einen Auftrag, in den ein anderer, Ranghöherer, wenn er/sie Bedarf sieht, hineinregieren kann. Es handelt sich um ein spirituell unterstütztes Verfahren handelt, das heißt es wird versucht, den Geist Gottes als aktiven Part in die Beratung einzubeziehen. Jede Unklarheit in der Zuständigkeit relativierte das Wirken des Geistes.
Der/die Verantwortliche erarbeitet sich sodann im Vorfeld der Beratung ausreichende Sachkenntnis über den betreffenden Bereich. Er/sie versucht möglichst alle Betroffenen in Blick zu nehmen, informiert sich über Erfahrungen in anderen Gemeinden, stellt die vorhandenen Ressourcen zusammen und wägt mögliche Auswirkungen ab.
Für das Beratungsverfahren sollten wenigstens zwei oder besser zweieinhalb Stunden (abhängig von der Vorarbeit) angesetzt werden. Es kann also in einer halbwegs normalen Sitzungslänge nur eine strategische Entscheidung getroffen werden.
Für die Sitzung muss eine Person benannt werden, die diesmal die Rolle des/der Spiritual/in wahrnimmt. Er/sie darf sich während dieser ganzen Beratung nicht inhaltlich äußern. Der/die Spiritual/in öffnet die Beratungsgruppe immer wieder auf das Wirken Gottes hin, gestaltet den Impuls zu Beginn und moderiert die Schrittfolge. Spiritual/in und Verantwortliche/r können in keinem Fall identisch sein, da es sonst zu einer Rollenkonfusion käme und eventuell spirituelle Impulse genutzt würden, um Ergebnisse zu beeinflussen. Ideal ist es, wenn der/die Spiritual/in im betreffenden Thema wenig eigene Interessen hat.
Der geistliche Impuls sollte immer ein Element aus der Heiligen Schrift – in der Regel eignet sich einer der Lesungstexte des Tages – enthalten. Dazu eine Zeit der Stille, um sich auf den Text und die aktive Gegenwart Gottes jetzt hier im Raum einzulassen, und eine Einladung zum freien Gebet in persönlichen Anliegen und für die folgende Beratung. Ein Lied, ein Psalm oder ein anderes formuliertes Gebet können hinzutreten. Insgesamt sollte der Impuls aber knapp gehalten werden und eine Viertelstunde nie überschreiten.
Dann benennt der/die Verantwortliche für die beratende Gruppe das Thema und erläutert die Sachzusammenhänge, die damit gegeben sind. Die beratende Gruppe fragt so lange nach, bis alle das Gefühl haben, Bedingungen und mögliche Folgen verstanden zu haben. Dabei ist durch den/die Spiritual/in darauf zu achten, dass keine Debatte entsteht. Bei komplexen Fragestellungen bietet es sich an, die Informationen zu visualisieren, so dass alle Beratenden sie die ganze Zeit über vor Augen haben.
Nun formuliert der/die Verantwortliche möglichst konkret die Frage, über die er/die beraten werden will. Die Frage wird visualisiert. Noch einmal hat die beratende Gruppe die Möglichkeit Informationen zu erfragen, die sie für braucht, um diese Frage zu bearbeiten. Die Gruppe kann jedoch auch die Frage befragen. Nach dieser Runde wird der/die Verantwortliche gebeten, die Frage noch einmal neu zu formulieren. Dabei wird die Fragestellung in der Regel präziser, klarer eingegrenzter und beantwortbarer. Es folgt ein weiterer Durchgang durch das gleiche Verfahren. Erst wenn der/die Verantwortliche und die beratende Gruppe zur Überzeugung gekommen sind, nun die richtige Frage vor sich zu haben, folgt der nächste Schritt.
Unter der Leitung des/der Verantwortlichen entwickelt die Gruppe in einem kreativen Schritt nun mögliche gute Handlungsalternativen bzw. passt vorbereitete Alternativen auf die präzisierte Fragestellung an. Der/die Verantwortliche ist dabei gefragt, durch seine/ihre Feldkompetenz die Alternativen einzuschätzen. Eventuell sind erste Ideen wieder zu verwerfen, wenn sie nicht eindeutig gut, das heißt ethisch vertretbar, mit den vorhandenen Ressourcen durchführbar und für alle Betroffenen zumutbar sind. Manchmal müssen einzelne Handlungsvorschläge auch zu stimmigen Konzepten zusammenkombiniert werden. Letztendlich müssen jedoch wenigstens drei gute und gegeneinander abgegrenzte, profilierte Handlungsalternativen vorliegen. Das kann sich eine Weile hinziehen. Auch hier wird nicht debattiert.
Wenn dann provisorisch die Alternativen da sind, besteht die Möglichkeit, dass der/die Verantwortliche die Frage noch einmal präzisiert oder verändert. Manchmal kommt erst jetzt die wirkliche Frage zum Vorschein. Wenn die Alternativen zu der neuen Frage nicht mehr passen, müssen drei neue gute Alternativen formuliert werden. Abschließend überprüfen noch einmal alle, ob sie sie Frage und die Alternativen richtig verstanden haben.
Der/die Spiritual/in ruft nun in Erinnerung, dass die beratende Gruppe zusammengekommen ist, um nach dem Willen Gottes für die konkrete Situation zu fragen. Nicht was den Mitgliedern am besten realisierbar erscheint, ihren Bedürfnissen mehr entspricht, zu ihren Überzeugungen passt, ist die gesuchte Lösung. Vielmehr geht es darum, in einer sorgsamen Unterscheidung der Geister so gut als möglich zu erspüren, welchen Weg der Geist Gottes diese Gemeinde eher führen will. Dabei bleibt immer eine Unsicherheit. Auch geistliche Unterscheidung kann irren. Aber das, was sie gemeinsam als eher den Willen Gottes für die heutige Situation erkannt haben, verpflichten sich alle, auch umzusetzen.
Der/die Spiritual/in visualisiert die Kriterien, die der Unterscheidung der Geister dienen können: Führt diese Handlungsalternative eher zu einem Mehr Leben, Freiheit und Mündigkeit – für alle Betroffenen? Entspricht sie der (visionären) Ausrichtung der Gemeinde und ihrer Identität? Passt sie zu Jesus und seiner Verkündigung? Wahrt sie die Solidarität mit den Leidenden? Fühlt sie sich nach Trost an? Ist eher ein Mehr Glaube, Hoffnung und Liebe zu spüren?
Es folgt eine Zeit der Stille, die die Mitglieder der beratenden Gruppe nutzen, um die Handlungsalternativen mit den Kriterien betend zu bedenken. Diese Stille sollte mindestens zehn, besser zwanzig Minuten dauern. Bei sehr gewichtigen Fragestellungen und im Rahmen eines Klausurtages können auch wesentlich längere Zeiten angesetzt werden. Dann ist es aber gut, wenn für die stille Zeit ein Kirchenraum zur Verfügung steht. Der/die Verantwortliche und der/die Spiritual/in beten in dieser Zeit nicht selbst in den konkreten Anliegen, sondern darum, dass alle Mitglieder vom Geist Gottes leiten lassen und die bessere Alternative sichtbar wird.
An die betende Stille schließt sich ein Anhörkreis an. Der/die Verantwortliche und der/die Spiritual/in beteiligen sich daran nicht. Jede/r teilt der Reihe nach mit, wie er mit der Frage, den Handlungsalternativen und den Kriterien beten konnte und welche Lösung ihm/ihr eher geeignet zu sein scheint. Dabei ist es eine normale Erfahrung, dass jetzt die Optionen deutlich auseinander gehen: Wenn der Geist Gottes mit und für Menschen arbeitet, verbindet er sich zuerst mit den Persönlichkeiten, ihren Erfahrungen, ihren Überzeugungen und Bedürfnissen. Durch diese Verbindung entsteht notwendig eine reiche Diversität.
Es folgt eine zweite Zeit betender Stille, in der die Mitglieder der beratenden Gruppe das Gehörte, die Frage, die Alternativen und die Kriterien ein weiteres Mal erwägen. Auch diese Stille mündet in einen vergleichbaren Anhörkreis. Da es aber der gleiche Geist ist, der in allen arbeitet, führt er erfahrungsgemäß die Beratung in diesem zweiten, spätestens aber in einem dritten Schritt auf einen Konsens hin. Dieser Konsens ist das Gegenteil eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Häufig entwickelt es sich auf ein höchst anspruchsvolle, aber zugleich realisierbare Lösung hin.
Sollte kein Konsens sehr nahe an hundert Prozent Zustimmung entstehen, kann es daran liegen, dass die Frage doch falsch gestellt ist. Dann muss alles wie „auf null gestellt“ werden und von vorne mit einer veränderten Frage begonnen werden, die deutlich auf einer Ebene „tiefer“, umfassender, grundsätzlicher oder radikaler angesiedelt ist. Die Alternativen lassen sich dann meist sehr rasch anpassen. Auch die Beratung geht jetzt erfahrungsgemäß sehr schnell und schon in der ersten Runde ist meist ein Konsens da.
Ein anderer möglicher Fall ist, dass ein oder zwei Personen hartnäckig und offensichtlich aus guten Gründen opponieren. Dann hilft die Frage: Was braucht es für Sie, damit Sie den Konsens mittragen können? Da kommen meist sehr schnell ein, zwei ganz wichtige Rahmenbedingungen zum Vorschein, die das Ergebnis insgesamt verbessern.
Abschließend berichtet der/die Verantwortliche, der/die bisher immer noch geschwiegen hat, was er/sie in der Beratung gehört hat. Je nach Situation formuliert er/sie jetzt direkt die Entscheidung, oder nennt die Elemente, die in seine/ihre Entscheidung eingehen werden. Diese Entscheidung kann, wird sich aber in der Regel aber nicht wesentlich vom Beratungsergebnis unterscheiden.
Der/die Spiritual/in beendet die Beratung mit einer Einladung zu einer kurzen Stille und freiem Gebet: Dank für die Erfahrung und die gefundene Entscheidung, Bitten für die anstehende Umsetzung, Lob für Gottes wohlwollende Gegenwart hier und jetzt.