Beten als „mit Gott reden“, ist oft nicht leicht, denn Gott antwortet ja nicht so, wie wir miteinander sprechen. Manchmal findet man auch nicht die richtigen Worte. Menschliche Partnerschaft kann als Vergleich ein umfassenderes Verstehen und eine lebensnahe Praxis eröffnen.
Partnerschaftlich beten
Text: Peter Hundertmark – Photo: StockSnap/pixelio.com
Eine große Mehrheit der Menschen – auch in Deutschland – gibt bei Umfragen an, zu beten. Meist wird nicht weiter gefragt, was sie darunter verstehen, so dass diese Antworten recht formal bleiben. Versucht man jedoch einen gemeinsamen Nenner zu finden, so heißt Beten über all die verschiedenen Religionen, Konfessionen und Traditionen hinweg, dass der Mensch mit Gott in Kontakt tritt.
Was immerhin erstaunlich ist, ist Gott doch nicht Teil dieser raumzeitlichen Wirklichkeit. Gott verstehen wir gemeinhin als eine Wirklichkeit, die über die Welt hinaus geht, die komplexer ist als der Mensch, mehr Dimensionen umfasst, als wir erfassen können.
Um überhaupt etwas aussagen zu können, sind wir deshalb auf Vergleiche und Analogien angewiesen. Dabei ist immer zu bedenken, dass eine Analogie eine Ähnlichkeit bei gleichzeitig größerer Unähnlichkeit aussagt. Wenn wir also von Gott in menschlichen Kategorien reden, dann müssen wir dabei uns bewusst bleiben, dass wir damit ein symbolische Sprache benutzen, die die Wirklichkeit Gottes für uns andeutet, aber nicht erfassen kann. Die Wirklichkeit Gottes wird dann in einem zweiten Schritt auf der Basis der grundlegenden Analogien aus ihrer Wirkung beschrieben. Gott selbst ist nicht Teil der Welt, aber er ist tätig und hinterlässt Spuren in der Welt. Menschen machen Erfahrungen, die sie überschreiten, und die sie über die Bilder, Symbole und Analogien ihrer religiösen Tradition mit Gott in Verbindung bringen. Beide, die Analogien und die Spuren, bilden den Rahmen für das Beten.
Wenn wir also Gott als eine Wirklichkeit verstehen die komplexer als der Mensch ist, „über“ ihm steht, dann macht es Sinn, als zentrale Kategorie für den Kontakt zu Gott nicht eine Analogie zu wählen, die aus den Mensch-Tier- oder Mensch-Ding-Beziehungen entnommen sind, sondern das Beste zu wählen, dessen der Mensch fähig ist. Sie wird kulturell ganz unterschiedlich ausgestaltet, aber es gibt einen breiten Konsens, dass umfassende, verlässliche, liebende Partnerschaft noch über die grandiosen geistigen und technischen Leistungen hinaus das Großartigste und dabei zu gleich das Gemeinsamste ist, dessen der Mensch fähig ist. Damit eignet sich liebende Partnerschaft mehr als jeder andere Vergleich als Grundanalogie für den Kontakt auch mit Gott und damit für das Beten.
Da Gott aber eine Wirklichkeit ist, die vom Menschen nicht aus dessen Kräften selbst erreichbar ist, denn diese sind immer den raumzeitlichen Begrenzungen unterworfen, kann diese Analogie nur zum Tragen kommen, wenn sie von Gott her ermöglicht wird. Dies geschieht, nach christlicher Überzeugung durch freie Entscheidung Gottes, wird durch die Offenbarungen durch Gesetz und Propheten vorbereitet und durch die Menschwerdung Christi abschließend ins Werk gesetzt. Gott erzeugt sich auf diese Weise eine ihm bleibend, auch nach dem irdischen Tod Jesu innerlich verbundene Menschlichkeit und schafft so die eine starke Voraussetzung für menschlich-analoge Rede von und zu ihm.
Das Neue Testament offenbart diese Ermöglichung einer Beziehung nach menschlichen Kategorien an unzähligen Stellen, zum Beispiel wenn Jesus Gott für die Glaubenden als „euer Vater“ einführt, oder mit dem Wort „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde“ (Joh 15,15), zentral aber mit der Gabe des Heiligen Geistes. Die Christinnen und Christen sind im Verständnis des Neuen Testamentes diejenigen, die den gleichen Geist, das gleiche Lebens- und Verstehensprinzip in sich tragen, wie Jesus selbst: „Wir haben den Geist Christi.“ (1Kor 2,16). „Durch Christus haben wir beide [Juden und Heiden] in dem einen Geist Zugang zum Vater.“ (Eph 2,17).
Beten dürfen wir also in analoger Weise als Geschehen liebender und verlässlicher, umfassender Partnerschaft zwischen Gott und Mensch verstehen. Menschlich können wir Partnerschaft jedoch nur durch Kommunikation leben und gestalten. Kommunikation: Gespräch, sich mitteilen, sich selbst ausdrücken, auch hören, wahrnehmen, Ansehen geben, annehmen und aushandeln, sich einig werden, miteinander planen, gemeinsam träumen, sich gegenseitig in Sorge und Trauer tragen… ist damit auch der Kern des Betens in der Partnerschaft zwischen Gott und Mensch. Oder wie es Ignatius von Loyola im Exerzitienbuch fasst: „Die Mitteilung von beiden Teilen her, indem der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem was er hat oder kann, und als Gegenstück dazu der Geliebte dem Liebenden, derart, dass wenn der eine Wissen oder Ehren oder Reichtümer besitzt, es dem gibt, der es nicht hat, und so teilt immer einer dem anderen mit.“ (EB 231)
Kommunikation in einer Partnerschaft spielt jedoch auf vielen Mitteilungskanälen. Formulierte Sprache ist davon nur ein, sogar ein eher kleiner Teil, eine mögliche Ausdrucksform. Geruch, Mimik, Gesten, Blick und Tonfall, die die Sprache begleiten, tragen noch einmal eigene Bedeutungen und werden auch verstanden. Der/die andere nimmt sie nicht selten als authentischer und damit wichtiger war, als das gesprochene Wort. Partnerschaft lebt aber auch von den materiellen Symbolen, den Geschenken, den Ringen, dem gemeinsam angeschafften Einrichtungsgegenstand, den Blumen zu einem Gedenktag der Partnerschaft. Kulturelle Produktionen wie Texte, Briefe, Bilder, Musik, Tanz, Photos… tragen wesentliche Bedeutung, kondensieren die gemeinsame Erinnerung und werden so Teil der geteilten Lebenserzählung. Vor allem aber sind menschliche Partner/innen auch in der Lage, Verbindung zu halten, ohne dass ein konkreter Kontakt gerade möglich ist. Sie spüren es, wenn der/die andere an ihn/sie denkt, sie fühlen einander, auch wenn sie getrennt sind, manchmal über den Tod eines Partners hinaus. Der Partner ist innerlich präsent im anderen. Man weiß umeinander und kann aus diesem Wissen heraus sogar im Sinne gemeinsamer Haltung handeln.
In einer tiefen Partnerschaft können Menschen nicht nicht kommunizieren. Selbst wenn zwei sich länger anschweigen, gehen Botschaften hin und her, weiß sie intuitiv, worüber er brütet und er ahnt, was sie bewegt. Es bleibt vielleicht ungesagt und damit noch offener für ganz unterschiedliche Deutungen, auch Missverständnisse, aber es bleibt nicht verborgen.
Wenn wir also Beten als Geschehen der Partnerschaft zwischen Gott und Mensch verstehen, als eine Kommunikation zwischen zwei, die den gleichen Geist haben, also innerlich zutiefst verbunden sind, so ergibt sich unwillkürlich, dass auch zwischen Gott und Mensch es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren. Ständig teilen wir uns durch unsere Körperreaktionen mit. Die unzähligen Gedanken, die uns beschäftigen, der ständige Fluss der Empfindungen und Stimmungen, der durch unser Herz zieht, die Art, wie wir unser Leben meistern und gestalten, alles teilt uns mit und wird liebend, vertraut und Vertrauen bewahrend wahrgenommen. Und umgekehrt sendet Gott auf allen erdenklichen Kanälen, gibt uns Atem und Freude, Trost und Innerlichkeit, bewegt uns durch Träume und innere Bilder, ruft uns an durch Situationen, in die wir geraten, umstellt uns mit Zeichen der Zeit, von denen er hofft, dass wir sie liebend deuten. Jede gelingende Partnerschaft ist vierundzwanzig Stunden am Tag lebendig, auch die Gott-Mensch-Partnerschaft.
Dabei kommuniziert Gott eben nicht direkt, da er nicht Teil dieser Welt ist, sondern über die Wirkungen, die er auslöst. Er teilt sich immer „im anderen seiner“ mit, indem er materielle, emotionale, verstandesmäßige Reaktionen provoziert, offenbart er sich und gibt sich selbst. Einer ihm selbst entsprechenden, göttlichen Mitteilungsform könnten wir Menschen nicht antworten, denn dann wären wir nicht mehr in dieser begrenzten Welt. Vielleicht ist es das, wovon die biblische Autoren sprechen, wenn sie von der Vollendung bei Gott schreiben: dass wir dann mit Gott auch ihm gemäß und ohne Vermittlung über die immer mehrdeutigen Vermittlungen kommunizieren und die hier begonnene Partnerschaft dann zu ihrer ganzen Wirklichkeit kommt. „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1 Joh 3,2) Sehen, fühlen, sprechen, hören, tasten, riechen… wie er ist und für uns sein will.
Alles also, was ich tue, denke, fühle, träume, erlebe… sendet Botschaften über mich, ist Teil des Beziehungsgeschehens zu Gott hin und kann zugleich auch Ausdruck der Selbstoffenbarung Gottes sein. Was ich ausdrücklich formuliere, ist daran nur ein winziger Teil, dem aber besondere Bedeutung zukommt, weil ich mich bewusst und willentlich dazu verhalte. Und wieder kann die Analogie menschlicher Partnerschaft helfen, das Beten zu verstehen: Wenn zwei in einer Partnerschaft länger nicht miteinander reden, wachsen zwangsläufig die Missverständnisse, die Vorbehalte und Fehlurteile an. Die beiden entwickeln sich auseinander, auch wenn sie weiter auf ganz vielen Kanälen kommunizieren. Denn nur das ausgesprochene Wort deutet die vielen nonverbalen Mitteilungen, gibt ihnen einen Verstehenshorizont und schafft ein mehr an Eindeutigkeit. Der gleiche Gesichtsausdruck kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Erst wenn ich mich sprachlich dazu verhalte, hat der/die Partner/in die Chance richtiger zu verstehen, was mit mir ist. Durch das ausgesprochene Wort setzen wir unser Leben und unser Uns-selbst-mitteilen in ein bestimmtes Licht, geben wir unserem Leben ein Deutung, erzählen wir uns so, dass der andere diese Erzählung aufnehmen und daran anschließen kann. Durch das gesprochene und gehörte Wort wird die gemeinsame Lebenserzählung gewoben.
Die Sakramententheologie stellt uns dafür ein weiteres Verstehensinstrument zur Verfügung. Ein Sakrament, ein Geschehen zwischen Gott und Mensch, entsteht, indem ein deutendes Wort und ein materielles Zeichen zusammen kommen – Brot, Wein und Einsetzungswort; Wasser und Taufformel… Durch das Wort wird eine neue Wirklichkeit geschaffen, das Zeichen gewandelt. Das Versprechen in der Hochzeit wandelt die Beziehung in allen ihren Aspekten und zu allen Zeiten in eine sakramentale Partnerschaft, in die eine dem anderen und der eine der anderen Christus gegenwärtig sein lässt – ob sie davon sprechen oder nicht. Analog auf das Beten angewandt heißt das: In gleicher Weise vereindeutigt und wandelt der sprachliche Ausdruck das Gesamtgeschehen des Betens und schafft so je neu die Gott-Mensch-Begegnung, in der es zugleich schon immer gründet.
Beten gelingt also dann am besten, wenn ich zu Gott über mich so spreche, wie es mir entspricht. Ausdrückliches, in Sprache gehobenes Beten macht mich Gott gegenüber klar und gibt mir die Möglichkeit, mich ihm so zu erzählen, dass er daran anknüpfen kann. Ob ich dafür traditionelle Sprachbilder benutze, in denen ich mich wiederfinde, oder ganz aus der Fülle des Herzens heraus aktuell formuliere, ist dabei zweitrangig. Oft wird es eine Mischung aus beidem sein. Wichtig ist, dass das, was ich sage, mich sagt. Oder dass das, was wir Glaubenden gemeinsam – zum Beispiel in der Liturgie – sagen, mich und mein Anliegen mit sagt, in dem es mir einen Raum der Mitteilung eröffnet, in den ich einschwingen und in dem ich mich finden kann. So wie kein menschliches Paar alle Worteder Liebe neu erfindet, greift auch das Beten sinnvoll auf die Erfahrungen und die Worte zurück, die andere zuvor schon geformt haben – um ihnen dann ihren ganz eigenen Klang, die persönliche Wendung zu geben und darüber hinaus einen Sprach-Raum zu eröffnen, der ganz neu und ganz mein eigen ist.
Menschliche Partnerschaft wird jedoch schräg und löst sich relativ schnell auf, wenn nur eine/r spricht und der/die andere nur hört. Auf das Beten übertragen, ist auch der sprachliche Selbstausdruck des Menschen auf Gott hin, nur die eine Seite des Dialogs. Zutexten ist keine Kommunikation – auch im Beten nicht. Keine Beziehung bleibt bestehen, wenn der eine immer nur gibt und der andere immer nur nimmt. Was aber könnte Gott mir um meinetwillen geben wollen? Was könnte er mir sagen wollen? Wie sieht er mich? Es lohnt sich zu fragen, zu achten, zu spüren – und dann zu unterscheiden, denn Gott drückt sich „im anderen seiner“, in unseren menschlichen Kategorien aus und die Wirkungen seiner Mitteilung sind nie eindeutig, erfordern immer Unterscheidung und Deutung.
Die Heilige Schrift, diese große Erzählung der Erfahrungen der Jüdinnen und Juden, wie der ersten Christinnen und Christen mit Gott, aber auch die geistliche Tradition, die Erfahrungsberichte der Glaubenden aller Zeiten, die Deutungen, die sie ihren Erfahrungen gegeben haben… all das gibt uns heute Verstehenshilfen an die Hand, um Gottes aktuelle Mitteilungen an uns persönlich, entschlüsseln und von anderen Phänomenen unterscheiden zu können. So setzt christliches Beten eine sorgsame Aneignung der biblischen und spirituellen Bilder und Geschichten voraus. Je besser ich die Schrift und die geistliche Tradition kenne, desto leichter hat Gott es, von mir richtig gedeutet zu werden. Die innerliche Mitteilung Gottes in mir und für mich wird sakramental-reale Wirklichkeit, in dem ich sie in das geoffenbarte Wort Gottes stelle. Wieder ist es das gleiche Geschehen – Präsenz und Wort kommen zusammen und formen erst gemeinsam die Selbstmitteilung Gottes.
So wie ich also eine immer wachsende Kenntnis und Aneignung des geoffenbarten Wortes Gottes benötige, um seinen Anteil am Dialog deuten zu können, so brauche ich auch eine stets zu verfeinernde Wahrnehmung seiner Wirkungen in mir. Je besser ich mich selbst kenne, je genauer ich mein Erleben, die „Regungen und Bewegung der Seele“ in mir, mein Körperempfinden, meine Träume und inneren Bilder nennen kann, desto mehr bin ich auf Empfang für die Selbstmitteilung Gottes. Je mehr ich auch mich mit meiner Biographie, mit meinem So-geworden-sein auseinander setze, die Geschehnisse einhole, deute und aneigne, desto mehr Spuren Gottes kann ich wahrnehmen, desto leichter sehe ich die Linien und die Dynamik seiner Gegenwart für mich. Die Anstrengung, sich selbst zu kennen, gehört damit ebenfalls zum Beten, wie auch die Anstrengung, das geoffenbarte Wort Gottes zu kennen. Beten ist eben Dialog und Partnerschaft: Hören, wahrnehmen und deuten, und natürlich reden, aber eben nicht nur reden.