Mitwirken, zugehörig sein, sich beteiligen… sind Grundbedürfnisse von Menschen. Indem sie sich an etwas beteiligen, das größer ist, als sie selbst, gewinnen sie für sich Lebenssinn, einen Platz in ihrer Welt, Würde. Gott beteiligt sie am Größten: an seinem Werk.

 

Teilhabe an Gottes Wirken

Text: Peter Hundertmark – Photo: ulleo/pixabay.com

Über Beteiligung wird in der katholischen Kirche seit fünfzig Jahren gestritten – seit das 2. Vatikanische Konzil die Wandlung der Kirche in die Gemeinschaft des ganzen pilgernden Gottesvolkes angestoßen hat: Wer darf was? Wer entscheidet was? Wer ist wann wo zu hören? Synodales Prinzip und hierarchische Ordnung… Diese Fragen sind für das praktische Leben der Kirche eminent wichtig, aber dahinter verschwinden leicht die grundsätzlicheren spirituellen Fragen: Beteiligung woran eigentlich? Und wozu?

Die Antwort ergibt sich aus dem Selbstverständnis von Kirche: Kirche ist Kirche Gottes. Gott selbst ist der Herr. Er gibt Kirche ihre Richtung. Er beauftragt sie… sich an seiner Arbeit zu beteiligen. Gottes Arbeit? Eine ungewohnte Formulierung, die auf den Punkt bringt, dass Gott aktiv und in jedem Moment tätig ist. Er ist am Werk. Er engagiert sich. Die Theolog/innen sprechen davon, dass Gott sich selbst einen Auftrag gegeben hat. Sie nennen es im Anschluss an biblischen Sprachgebrauch „Sendung“. Gott hat sich selbst eine Sendung für die Welt gegeben. Diese Sendung wird in Jesus Christus konkret, leiblich, anfassbar, sichtbar, eindeutig. Jesus ist der Gesandte. Gerade das Johannesevangelium umkreist diese Bestimmung Jesu in vielen Texten: „Ich bin…“

Durch Jesus und seine Verkündigung haben die Christinnen und Christen erfahren, welche Sendung sich Gott gegeben hat. „Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (Joh 1,18) Jesus schließt dabei nahtlos an das Alte Testament und die Glaubenserfahrung seines Volkes an. „Den Armen die frohe Botschaft bringen, den Gefangenen Freiheit, den Kranken Heilung, den Überschuldeten Schuldenerlass…“ (Lk 4,18 f nach Jes 61). Es geht um Rettung, um Friede und Gerechtigkeit – und immer wieder um Freiheit. Gott stellt sich von Anfang an als Befreier vor. „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten befreit hat.“ (Dtn 5,6) Gottes Sendung zielt auf Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit ihm, mit Gott selbst. Da wir heute, anders als die Menschen der Bibel, mit der Bedrohung unserer natürlichen Umwelt konfrontiert sind, sehen wir auch die Bewahrung der Schöpfung, nachhaltige Entwicklung, Verteilungsgerechtigkeit über die Generationen hinweg… in der gleichen Linie der Selbstsendung Gottes. Das ist Gottes Arbeit. Für Freiheit, Mündigkeit, Leben, Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit, Friede ist er dauernd und immer tätig. Das ist sein Werk, seine Sendung, für die er sich seit Anbeginn der Welt engagiert.

Im Johannesevangelium bringt es Jesus dann auf den Punkt. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Die Sendung, die Gott sich selbst gegeben hat, ist die Sendung, für die Jesus steht. Diese Sendung ist auch die Sendung aller, die an Jesus Christus glauben. Immer wenn Christinnen und Christen zusammenkommen, treffen sie sich in und unter dieser Sendung. Wo immer Christen leben, leben sie aus dieser Sendung. Die Beteiligung an der Sendung Gottes ist ihr Wesen, ihre Würde und ihr Auftrag: Heilung, Freiheit, Mündigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Leben, Gerechtigkeit, Friede.

Christinnen und Christen ist die Beteiligung an Gottes Auftrag dabei keineswegs äußerlich aufgegeben. Ohne Beteiligung an der Sendung Gottes sind sie keine Christen. Sie sind Menschen für andere. Alles andere ist dieser Sendung nachgeordnet. Christinnen und Christen können sich deshalb nie selbstgenügsam zurückziehen. Weder die Sakristei, noch das Kirchengebäude selbst sind ihr eigentlicher Ort. Die Gemeinschaft der Glaubenden, die Gemeinschaft, derer die sich an Gottes Sendung beteiligen, ist notwendig außenorientiert. Ihr Nutzen für die Gesellschaft und die Schöpfung gibt ihr ihre Existenzberechtigung. Das meint es, wenn die Theolog/innen davon sprechen, dass die Kirche selbst ein Sakrament ist. Sie ist Beteiligung – Werkzeug des Wirkens Gottes. Gott bedient sich zu jeder Zeit seiner Kirche, um seinen Auftrag, seine selbstgegebenen Sendung voran zu bringen.

Gott bedient sich aber nicht nur der Christinnen und Christen. Er wirbt bei allen Menschen für seine Sendung. Durch Ethik, durch philosophische Reflexion, durch die Religionen bewegt er Menschen, sich an seiner, an Gottes Sendung zu beteiligen. Sie tun es durch ihr Engagement für mehr Mitmenschlichkeit, für Gerechtigkeit, für Friede… aber auch indem sie Kinder zur Welt bringen, beschützen und zu mündigen Menschen erziehen. Menschen beteiligen sich an Gottes Sendung, indem sie Heilberufe ergreifen, indem Psychotherapeuten versuchen, Menschen innere Freiheit und Beziehungsfähigkeit zurück zu geben, indem Techniker Ideen entwickeln, die das Leben erleichtern,  Bauern Lebensmittel erzeugen, wo immer sie dem Leben, der Freiheit, der Mündigkeit, der Gerechtigkeit und dem Frieden dienen. Christ/innen beteiligen sich auf diese Weise. Nicht-Christ/innen beteiligen sich auf die gleiche Weise. Durch ihre Beteiligung am Guten, durch ihre Beteiligung an der Sendung wachsen sie über sich hinaus, werden sie umfassend und glückend Mensch, nehmen sie ihren besten Platz im Geschehen der Welt ein.

Die Glaubenden sind also keineswegs alleine, wenn sie sich an Gottes Sendung beteiligt. Gott wirbt bei allen Menschen um Beteiligung. Jede und jeder ist gerufen, sich beteiligen. Dieser Ruf Gottes in die Beteiligung an der Sendung ist die Basis, auf der die Glaubenden barrierefrei und ohne Hintergedanken mit allen Menschen guten Willens, mit allen Religionen und Konfessionen zusammenarbeitet.  Nur in einem Aspekt unterscheiden sie sich dann von den anderen: sie stellen ausdrücklich die Verbindung ihres Engagements zur Sendung Gottes her. Sie nennen den Auftraggeber und Herrn, den Ursprung und das Ziel. Sie sehen schon und bezeugen, dass alle Beteiligung an der Sendung Gottes in die Gemeinschaft mit Gott mündet, in die Beteiligung an seinem eigenen Leben. So sind die Glaubenden nicht nur Werkzeug, sie sind auch verstehbares Zeichen für die Sendung Gottes zugunsten der Menschen und der Schöpfung und deren letztes Ziel.

Christinnen und Christen erleben Gott jedoch nicht nur als Auftraggeber und Ziel ihrer Beteiligung. Sie erfahren ihn auch ganz praktisch als Kraft. Das Neue Testament ist voll von Zeugnissen der Kraft Gottes, die von Jesus und die von den Jünger/innen ausgeht: Eine Kraft der Heilung, eine Kraft stärker als die „Dämönen“, eine Kraft stärker als der Tod. Diese Kraft ist spürbar und eindeutig. Sie fließt, wo Gott tätig ist – damals, wie heute. Sie fließt, wo Menschen sich an Gottes Arbeit beteiligen – damals, wie heute. Dann geht es leicht, Türen gehen auf, Menschen weiten die Grenzen ihrer Möglichkeiten, Versöhnung geschieht, Friede wird… Diese Erfahrung von Kraft ist ein Kriterium, ob ein Engagement ganz in der Linie Gottes liegt – ob es wirklich Beteiligung an der Sendung Gottes ist, oder sich aus anderen Quellen – Helfersyndrom, Geltungssucht, innerer oder äußerer Zwang – speist.

Allerdings ist es nicht so, dass dann einfach alles gelingt. Die Kraft Gottes ist nicht allein in der Welt am Werk. Auch andere, entgegengesetzte Kräfte der Unfreiheit, des Unfriedens, des Todes wirken. Der Erfolg der Beteiligung an der Sendung Gottes kann durch innere oder äußere Umstände verhindert werden. Aber die Erfahrung von Kraft und Geist ist dennoch eindeutig. Und so wirft es massive Fragen auf, wenn Kirche sich selbst als kraftlos, erschöpft, unattraktiv, im Niedergang, in der Depression erlebt. „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7)

Das Neue Testament, die Liturgie und die ganze Tradition identifizieren diese Erfahrung von Kraft mit der Erfahrung des Heiligen Geistes. Diese Erfahrung macht seit Anbeginn der Kirche den Unterschied. So entscheidet sich in der Apostelgeschichte Petrus – trotz seiner Skepsis, Heiden die Taufe zu spenden, als er erlebt, dass die Kraft des Geistes auf diese Menschen kommt. (Apg 10, 46-48) Taufe, Geist, Kraft, Sendung und Beteiligung sind seither Aspekte, die ein einziges Geschehen ausfalten: Gott nimmt Menschen in sein Werk und sein Leben hinein. Damit steckt er zugleich den Rahmen für Kirche ab. Sie ist Kirche aus Getauften, aus Geistträger/innen, aus Menschen, die aus der Kraft Gottes an seiner Sendung beteiligt sind. „Kirche, das sind Frauen, Männer und der Heilige Geist.“ (Maurice Bellet). Alle Differenzierungen innerhalb des Gottesvolkes dienen diesem ersten Geschehen: Gott beteiligt alle.

So ist Kirche immer Beteiligung: Beteiligung aller Getauften an der Sendung Gottes – und deshalb Beteiligung aller an der Kirche und ihrer Gestalt. Es gibt keine Kirche ohne Beteiligung. Kirche der Beteiligung ist kein Sonderweg, nichts Zusätzliches zu einer schon bestehenden Kirche. Beteiligung ist das Wesen der Kirche – und in keiner Weise verhandelbar. Indem sie Beteiligung lebt, fließt die Kraft Gottes, der Heilige Geist in ihr. Alle Getauften sind also vom ersten Moment an Beteiligte und zu Beteiligende. Sind alle von Gott an seiner Sendung beteiligt, sind auch alle an den Abläufen und an der Verantwortung zu beteiligen. Die Frage der Beteiligung an kirchlichen Entscheidungsprozessen ist somit keineswegs obsolet, sondern umso schärfer zu stellen. Je mehr Kirche sich als Beteiligung organisiert, desto mehr lebt sie in der Sendung Gottes, desto mehr ist sie Kirche.

Um ihre Beteiligung an der Sendung Gottes gemeinsam und effizient zu leben, schaffen Christinnen und Christen soziale Institutionen, Gemeinden, Aktionsbündnisse, Verbände, Caritas… gestalten sie Kirche. Kirche ist eine mögliche Infrastruktur, ein Werkzeug, mit dem die Christinnen und Christen ihre Beteiligung an der Sendung Gottes organisieren. Sie tun es, weil sie von Gott beteiligt werden. Sie tun es nicht, weil irgendein Mensch – der Papst, der Bischof, der Pfarrer… – ihnen einen Auftrag geben müsste. Sie haben einen Auftrag, sie stehen in einer Sendung, sie sind beteiligt.

Es ist jedoch wie mit dem sprichwörtlichen Eisberg: Die sichtbare, organisierte Beteiligung der Christinnen und Christen durch ihre Organisationen, durch die Institution Kirche… ist der kleinere Teil „über Wasser“. Hier muss nachdrücklich über Beteiligung an Abläufen, Entscheidungen und Macht gesprochen werden. Kirche ist Beteiligung und wächst aus Beteiligung. Der weitaus größere Teil der Beteiligung an der Sendung Gottes aber geschieht ganz selbstverständlich, im Nahraum, selbstorganisiert und in Eigenverantwortung. Jede und jeder hat direkt Zugriff. Jede und jeder ist gefragt. Jede und jeder kann Werkzeug sein. Jede Christin und jeder Christ hat das Potential zum „Sakrament“: Werkzeug und Zeichen der Sendung Gottes.

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