Hochreligiöse junge Menschen aller Konfessionen finden oft ihren religiösen Zugang über Lobpreislieder. Diese Prägung gilt es in der Begleitung junger Menschen positiv aufzunehmen. Im Dialog geschieht es, dass dieser primäre Zugang sich in den größeren Reichtum christlicher Spiritualität hin öffnet.

Die “Generation Lobpreis” geistlich begleiten

Text: Paul Metzlaff – Photo: stocksnap/pixabay.com

Die Fragestellung

Die XV. Weltbischofssynode zum Thema „Die Jugend, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ legte den Fokus der Jugendpastoral auf die geistliche Begleitung junger Menschen, so dass sie in ihrem Menschsein, Christsein und in ihrer je eigenen Berufung wachsen können. Dieser für die Weltkirche wesentliche Impuls wird hier auf die Frage der geistlichen Begleitung junger Menschen der sogenannten „Generation Lobpreis“ angewandt.

Die Fragestellung lautet: Wie kann ein junger Mensch begleitet werden und ganzheitlich wachsen, …

  • … dessen grundlegende Spiritualität „Lobpreis“ ist?
  • … der von einem Lobpreisevent kommt?
  • … der in einer Gruppierung, Bewegung, Gemeinschaft beheimatet ist, in der Lobpreis einen
    wesentlichen Raum einnimmt?

Die Untersuchung beginnt mit einer kurzen Skizze, was unter Lobpreis verstanden wird, spürt theologischen Aussagen in Lobpreisliedern nach und entwirft abschließend einen Horizont für die geistliche Einzelbegleitung.

Was ist Lobpreis?

Es ist angebracht, sich auch unter dem Gesichtspunkt der geistlichen Begleitung mit dem Phänomen des Lobpreises zu befassen, da diese Form unter jungen Menschen unterschiedlicher Konfessionen eine größer werdende Bedeutung gewinnt. Die „Empirica Jugendstudie 2018: Die Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche“ [1] befragte hochreligiöse junge Menschen u.a. danach, was ihnen in ihrem Glaubensleben besonders wichtig erscheint und diesen stärkt. Dabei gaben 64% der Befragten die Lobpreismusik als wichtigstes Element an, der mit 56,6% das persönliche Gebet und auf Platz 3 das „Bibellesen“ (42,7%) folgen. Auf der Social-Media-Plattform „YouTube“ erzeugen Lobpreislieder weltweit eine hohe Resonanz: der Titel „10.000 reasons “ von Matt Redman erreicht 245 Millionen Aufrufe, „Oceans“ (Where feet may fail) von Hillsong 144 Millionen, „Der Herr segne dich“ (Cover „The Blessing“) des Gebetshauses Augsburg feat. Markus Fackler und Veronika Lohmer 3,4 Millionen, „Herr, ich komme zu dir von Albert Frey 1,5 Millionen und „Dir nah zu sein“ von Markus&Joy Fackler aus dem Jahr 2021 307.000 Aufrufe [2]. Die schiere Präsenz von Lobpreis in der heutigen christlichen Kultur und in der Frömmigkeit junger hochreligiöser Menschen provoziert die Frage, was dieses Phänomen auszeichnet.

Lobpreis als Lebens- und Musikstil

Lobpreis ist zuvorderst ein Lebensstil, der – gegründet auf der Gottesbeziehung des Einzelnen – seine Ausrichtung auf ein Leben zur Ehre Gottes findet. Diese Lebenskultur ist durch eine Auf-hin-Bewegung gekennzeichnet und von der Sehnsucht getragen, von Gott selbst gehört zu

werden: „Das ist einer, der Dich hört, der Dich versteht, und der Mittel und Wege finden kann, Dich zu erreichen und Dir zu antworten“[3]. Diese Lebensrichtung findet ihren prioritären aber nicht alleinigen Ausdruck in der Suche nach Schönheit in den Künsten, unter denen wiederum die Musik einen vorzüglichen Platz einnimmt.

Der Musikstil „Lobpreis“ ist zumeist angelehnt an moderne Pop-Songs, bedient sich eingänglicher Texte und oft einfacher Melodien und Harmonien und ist leiblich, d.h. sowohl durch Emotionalität als auch durch den Einbezug des Körpers (erhobene Hände, Tanz, etc.) gekennzeichnet. Die Lobpreismusik – die Stile reichen hierbei von getragenen Hymnen bis hin zu House-Beats – soll die persönliche und gemeinschaftliche Ausrichtung auf Gott erleichtern und unterstützen.Mutet das Beten im Lobpreis in seiner Gestaltung sehr dynamisch an, kann es doch von verschiedenen Formen getragen sein, wie z.B. „Worship with the Word“ und „Harp and Bowl“, die an der Hl. Schrift Maß nehmen. „Worship with the Word“ vertieft einen oder mehrere Verse der Hl. Schrift, indem sie musikalisch-meditierend umspielt und mit ihnen gebetet wird und sie so immer mehr zu einem eigenen und persönlichen Lobpreis Gottes werden. „Harp and Bowl“ bezieht sich in seiner Namensgebung auf die Anbetung der 24 Ältesten mit Harfen und Räucherwerk vor dem Thron Gottes (Offb 5,8). Es bezeichnet eine Struktur des Lobpreises, die eine Stunde in einzelne Zeitabschnitte und den Wechsel der Sängerinnen und Sänger durch geprägte Formeln strukturiert. Der Dynamik wird durch diese Gliederungen Form verliehen, sodass auch Dauerhaftigkeit des Lobpreises entstehen kann.

Lobpreis des Einzelnen und in der Öffentlichkeit

Der Lobpreis als Musik kann nochmals unterschieden werden in den Lobpreis des Einzelnen und in den Lobpreis in der Öffentlichkeit. Unter Erstgenannten subsumiere ich den Lobpreis im persönlichen Gebet junger Menschen und den Lobpreis in Haus- und Gebetskreisen, wobei sowohl bekannte Lobpreislieder gesungen als auch einzelne Bibelstellen singend betrachtet (Worship with the Word) oder freie Gebete musikalisch gestaltet werden können. Dem Zweitgenannten lassen sich der Lobpreis als Musik in der Hl. Messe (z.B. in der Firmvorbereitung), Lobpreiskonzerte (normales Konzert nur mit Lobpreissongs), Lobpreisabende (Gebetsabende/ Anbetung mit dem Liedgut aus dem Lobpreis) und den „Einsatz“ von Lobpreislieder auf kirchlichen Veranstaltungen zuordnen.

Theologische Aussagen in Lobpreisliedern

Lobpreislieder transportieren theologische Aussagen zu jungen Menschen, die sie sich zumeist nicht rational-intellektuell, sondern existentiell-betend aneignen. Die geistliche Begleitung wird deshalb um den wesentlichen theologischen Gehalt wissen müssen, um die geistliche Prägung junger Menschen der Generation „Lobpreis“ verstehen zu können. Hier werden vier theologische Horizonte skizziert: Die Nähe von Geschöpf und Schöpfer, der Fokus auf der Beziehung des Ich zu Gott, das Gottesbild eines Gottes als „Liebender Vater“ sowie die Verwendung der Heiligen Schrift in Lobpreisliedern.

Nähe von Geschöpf und Schöpfer

Zur Darstellung der in Lobpreisliedern proklamierten Nähe zwischen Schöpfer und Geschöpf sei ein Vergleich der Texte des Lobpreisliedes „Dir nah zu sein“ (Markus&Joy Fackler) mit einem Klassiker des Neuen Geistlichen Liedgutes „Weite Räume meinen Füßen“ (Eugen Eckert / Alejandro Veciana) geführt.

„Dir nah zu sein“ (Markus&Joy Fackler)
Füll unser Lob – Komm wie du bist – Herr wir kommen zu Dir – Halten nichts zurück – Füll unser Lob und halt nichts zurück – Unsre Herzen jubeln Dir zu – Unsre Kron unsre Zierde bist du – Dir nur allein Herr gehört unser Lob
Herr wir lieben Dich – Mehr als alles andere Wir lieben Dich – Heben unsre Herzen auf Wir lieben Dich -Dir nah zu sein ist unser Glück – Herr wir danken Dir […]

„Weite Räume meinen Füßen“ (Eugen Eckert / Alejandro Veciana)
Weite Räume meinen Füßen, – Horizonte tun sich auf. – Zwischen Wagemut und Ängsten, -nimmt das Leben seinen Lauf. – Schritt ins Offne, Ort zum Atmen, – hinter uns die Sklaverei. – Mit dem Risiko des Irrtums, – machst du Gott uns Menschen frei. – Da sind Quellen, sind Ressourcen, – da ist Platz für Phantasie. – Zwischen Chancen und Gefahren, – Perspektiven wie noch nie.

Das Lied „Weite Räume…“ enthält, wie „Dir nah zu sein“, eine direkte Ansprache an Gott als „Du“. Beide unterscheiden sich dabei in der zum Ausdruck gebrachten Nähe, die letzteres durch Termini wie „Nähe“, „Zierde“, „Liebe“ und „Kron“ bis zur emotionalen Intimität der Gottesbeziehung steigert. Damit wird einer mystischen Dimension der Kirche Sprache verliehen, die in den traditionellen sogenannten Großkirchen in den letzten Jahrzehnten eher in den Hintergrund getreten ist. Eine Stärke der Lobpreislieder liegt darin, jene Dimension wieder zu entdecken und konkret ins Wort zu heben.

Die Beziehung des Ich zu Gott ist im Fokus
Die zweite Aussage betrifft eine Spezifizierung der ersten: Lobpreislieder fokussieren eine Beziehung des „Ich“ zu Gott, was durch eine Kontrastierung von „10.000 Reasons“ (Matt Redman) mit dem Lobpreislied schlechthin, dem Te Deum („Großer Gott, wir loben dich),gezeigt werden kann.

„10.000 Reasons“ (Matt Redman)
Komm und lobe den Herrn – Meine Seele, sing, – Bete den König an! – Sing wie niemals zuvor – Nur für Ihn und bete den König an! – Du liebst so sehr und vergibst geduldig, Schenkst Gnade, Trost und Barmherzigkeit. – Von deiner Güte will ich immer singen – Zehntausend Gründe gibst du mir dafür!

Großer Gott, wir loben dich
Großer Gott, wir loben dich – Herr, wir preisen deine Stärke. – Vor dir neigt die Erde sich – und bewundert deine Werke. – Wie du warst vor aller Zeit, – so bleibst du in Ewigkeit. – Du, des Vaters ewger Sohn, – hast die Menschheit angenommen, – Bist vom hohen Himmelsthron – zu uns auf die Welt gekommen, – Hast uns Gottes Gnad gebracht, – von der Sünd uns frei gemacht.

In beiden Liedern findet sich eine enge Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf, wobei sie im Te Deum sprachlich und theologisch geformter und ausgereifter zum Ausdruck gebracht wird. Der Unterschied zwischen ihnen liegt darin, dass „10.000 reasons“ in der 1. Person Singular und das Te Deum in der 1. Person Plural formuliert. Eine Stärke von heutigen Lobpreisliedern besteht in der persönlichen Ansprache und persönlichem Einbezogensein des Einzelnen: Jesus vergibt mir, umarmt mich und ich lobe ihn. Selten werden in heutigen Lobpreisliedern kollektive Größen zum Ausdruck gebracht wie der Leib Christi, das Reich Gottes oder die Kirche. Das Wir steht selten im Fokus, was mit der heutigen individualisierten Kultur korrespondiert, die der amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama als „expressiven Individualismus“[4] bezeichnet.

Gott steht als liebender Vater im Mittelpunkt

Das in Lobpreisliedern zum Ausdruck gebrachte Gottesbild stellt Gott als „Liebenden Vater“ in den Mittelpunkt und korrespondiert damit mit demjenigen von hochreligiösen jungen Menschen, wie die Empirica Jugendstudie herausgestellt hat. Die dort Befragten gaben den folgenden Aussagen die prozentual angegebene Zustimmung: Gott liebt mich bedingungslos (97%), vor Gott bleiben meine Sünden nicht verborgen (96%), Gott hat Jesus gesandt, um mich zu erlösen (95%) und Gott bestraft meine Verfehlungen (11%).

Das Gottesbild des „Liebenden Vaters“ zeigt sich beispielsweise in „Herr, ich komme zu dir“ (Albert Frey): „Herr, ich komme zu Dir, Und ich steh’ vor Dir, so wie ich bin Alles was mich bewegt lege ich vor Dich hin. Herr, ich komme zu Dir, Und ich schütte mein Herz bei Dir aus. Was mich hindert ganz bei Dir zu sein räume aus! Meine Sorgen sind Dir nicht verborgen, Du wirst sorgen für mich. Voll Vertrauen will ich auf Dich schauen. Herr, ich baue auf Dich! Gib mir ein neues ungeteiltes Herz. Lege ein neues Lied in meinen Mund. Fülle mich neu mit Deinem Geist, Denn Du bewirkst ein Lob in mir“.

Biblischer Hintergrund von Lobpreisliedern

Viele Lobpreislieder stehen auf einem biblischen Hintergrund und rezipieren die Heilige Schrift oft wörtlich, wie anhand des Liedes „Ocean“ (Hillsong) offengelegt werden kann, das die Begegnung zwischen Jesus und Petrus auf dem See (Mt 14, 22-33) aufgreift und ins Leben junger Menschen transponiert.

„Oceans“ (Hillsong)
You call me out upon the waters – The great unknown – where feet may fail – And there I find You in the mystery – In oceans deep my faith will stand

I will call upon Your Name – And keep my eyes above the waves – When oceans rise – My soul will rest in Your embrace – For I am Yours and You are mine

Bridge: Spirit lead me – where my trust is without borders – Let me walk upon the waters Wherever You would call me […]

Mt 14, 28b -31
28b Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! 29 Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. 30 Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! 31 Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Der biblische Text, dass Petrus das sturmdurchzogene Wasser betritt, und sich von Jesus retten lässt, wird unmittelbar ins Heute übertragen. Passend findet sich der Überstieg des Liedes vom biblischen Text ins Heute junger Menschen in der „Bridge“. Das Lied rezipiert den biblischen Text also unmittelbar und bezieht die Stürme im Leben junger Menschen ein, ermutigt sie zum Wagnis des Herausgehens und Aufbrechens und legt ihnen nahe, sich wie Petrus von Christus retten und aus den tiefen Wassern herausziehen zu lassen. Das Lobpreislied kann damit vielleicht sogar zu einer gesungenen Schriftbetrachtung für junge Menschen werden und belebt damit eine Frömmigkeitsform wieder – wie auch das Bibelteilen – die im allgemeinen Bewusstsein der Gläubigen keinen Platz hat, sondern eher in Exerzitien zu finden ist.

Beobachtungen

Lobpreislieder weisen in ihrem Fokus auf die Gottesbeziehung, die Emotionalität, die Ich-Bezogenheit und den biblischen Bezug zahlreiche wertvolle Merkmale einer heutigen Frömmigkeitsform für junge Menschen auf. Wird diese Form jedoch verabsolutiert und rein für sich allein genommen, ergeben sich Gefahren für das geistliche Leben und damit das Wachstum in der je eigenen Berufung.

Die hohe Emotionalität und Intimität kann zu einem Weggerissenwerden in der Fülle werden und das Getragensein in der Gruppe kippen hin zur dionysischen Ekstase, die die apollinische Form nicht mehr kennt. Die starke Betonung der Emotion, des Erlebens, des Rhythmus und der Bewegung können nicht nur vor dem Inhalt stehen, sondern zum eigentlichen Zweck werden, der den Sinn verhüllt. Gerade bei englisch-sprachigen Lobpreisliedern stellt sich hinsichtlich jüngerer Menschen die Frage, ob sie überhaupt verstehen, was sie singen, oder es ein reines Hineinbegeben in eine doch dem eigenen Selbst Fremde Dynamik ist.

Die Fokussierung auf das Ich kann in einen religiösen Leistungsdruck münden, die die Erlösung allein am Ich und dessen eigener Fähigkeit, sich in den Lobpreis einzubringen, abhängig macht. Dies wäre letztlich die Versuchung des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard, der alle Erlösung in den vom Menschen verantworteten Glaubensakt verlegt und ihn damit in eine nie einholbare Dimension – und damit Dramatik – versetzte. Romano Guardini schlussfolgerte in seiner Interpretation Kierkegaards, die auf die Lebenssituation vieler junger Menschen angewandt werden könnte: „Wir spüren den Akt, die Intensität, die – logisch gewiss anfechtbare, aber für Sicht und Gefühl deutliche – Angestrengtheit dieses ganz dynamisch gefassten Seins, Wirklichseins, das stets von der Gefahr bedroht ist, zu ermatten und ins Nichts abzusinken, die grimmige Entschlossenheit dieses ins Metaphysische reichenden Willens, seinen buchstäblichen Kampf ums Dasein gegen das aus jedem Geschaffenen aufdrohende Nichts“ [5]. Obwohl in Lobpreisliedern kollektive Größen fehlen, ist er in vielen Fällen ein Gemeinschaftsereignis und von starken Gemeinschaften getragen. Diese können – und müssen(!) – einen Ausgleich für die Fokussierung auf das Ich darstellen und damit dem Einzelnen Halt geben.

Wenn das Ich im Fokus steht kann zu recht auch gefragt werden, wo die Anderen in dieser Frömmigkeitsform bleiben. Papst Franziskus stellt in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Christus vivit“ die entscheidende Frage der Berufungspastoral in Hinblick auf die Anderen: „Deshalb möchte ich an die entscheidende Frage erinnern: Oft im Leben verlieren wir Zeit, uns zu fragen: ‚Aber, wer bin ich?‘ Aber du kannst dich fragen, wer du bist, und das ganze Leben mit der Suche verbringen, wer du bist. Aber frage dich: ‚Für wen bin ich da?‘ Du bist für Gott da, ohne Zweifel. Aber er hat gewollt, dass du auch für die anderen da bist, und hat viele Qualitäten, Neigungen, Gaben und Charismen in dich hineingelegt, die nicht für dich sind, sondern für die anderen“ [6].

Das Gottesbild des Liebenden Vaters kann dann einseitig werden, wenn Gott für junge Menschen nur noch zu einem Garanten und Lieferanten für Wärme und Intimität verkommt. Besteht hierin nicht die Gefahr einer Reduzierung Gottes auf das für den Menschen im Innen erlebbare? Hat er sich nicht aber auch als der ganz Andere, der Fordernde, der Trinitarische, … offenbart, der dem menschlichen Zugriff, Begriff und der menschlichen Emotion per definitionem entzogen ist? Abschließend sei auf die Gefahr hingewiesen, dass sich Jugendgruppierungen, die durch die Frömmigkeitsform des Lobpreises einen hohen Zulauf von jungen Menschen erhalten, als einzelne elitäre Gruppierung missverstehen könnten und Lobpreis zur alleinigen heute passenden Frömmigkeitsform erheben könnten. Wie gezeigt worden ist, ist die Lobpreisspiritualität eine heute wichtige, doch bedarf sie notwendig der Ergänzungen im kat-holon, wie sie auch die geistliche Begleitung repräsentiert.

Geistliche Begleitung: Notwendige Ergänzungen

Der Primat der Erfahrung, der Beziehung und des Ich im Lobpreis kann für die Christusbeziehung und damit auch das Berufungswachstum junger Menschen förderlich sein, doch genügt es für sich allein nicht aus, wie die skizzierten Gefahren gezeigt haben. Die Prozessphilosophie des englischen Philosophen Alfred North Whiteheads geht davon aus, dass sich eine konkrete lebendige Einheit, die er „actual entity“ nennt, in einem Prozess konstituiert, in dem nach einer Phase der bloßen Aufnahme von äußeren Eindrücken eine Verknüpfung dieser Wahrnehmung mit bereits gemachten erfolgt. In dieser „Ergänzungsphase“ wird das neu Aufgenommene in ein Geflecht von Beziehungen eingebunden, wodurch die Erfahrung intensiviert wird. Die letzte Phase beschließt das nun gewordene neue Ereignis und macht es damit zu einem möglichen Erfahrungspunkt für sich nach ihm konstituierende Ereignisse[7].

Dieses Prinzip soll hier auch für das Wachstum des geistlichen Lebens und die damit gegebene Aufgabe für die Geistliche Begleitung junger Menschen der „Generation Lobpreis“ zu Grunde gelegt werden, wobei als mögliche „Ergänzungsräume“ gemäß der klassischen Lehre der Transzendentalien die Bereiche des Schönen, des Guten und des Wahren – der Ästhetik, der Ethik und des Intellekts – festgelegt werden. Jede Geistliche Begleitung setzt mit einer wertschätzenden Wahrnehmung dessen ein, was der junge Mensch gerade an diesen Ort und in diese Zeit mitbringt. Am Anfang steht das vorurteilsfreie Zuhören auf das Erleben und Leben im Lobpreis. Gerade wenn Lobpreis nicht der Frömmigkeitsstil des Begleitenden ist, ist die Einübung in die Indifferenz besonders notwendig. Die erste Aufmerksamkeit gilt immer der jeweiligen begleiteten jungen Person, der die eigene Zeit geschenkt und ihr wirklich zugehört wird [8], wie es das Vorbild Christi in der Emmauserzählung zeigt. Er tritt plötzlich zu den zwei Jüngern auf ihrem Weg nach Emmaus hinzu, geht mit ihnen, ermahnt sie nicht, sondern fragt zuerst nach: „Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?“ (Lk 24, 17) Die nächsten Verse sind allein dem Zuhören gewidmet, ehe Jesus darauf antwortet. Das Hören ist ein Grundgesetz jedes geistlichen Prozesses, der große Lobpreis Israels ist das „Höre Israel!“ (Dtn 6,4) und die Benediktsregel beginnt mit den Worten: „Höre, mein Sohn!“ [9]. Es gilt mit „Einfühlungsvermögen“, wie es Papst Franziskus in „Christus vivit“ nennt, hinzuspüren: Was sind die Spuren der Erfahrungen Gottes? Erfährt sie/ er darin Trost und Geborgenheit oder Enge, Überforderung und Überwältigung? „Einfühlendes Zuhören ist schöpferisches Tun“ [10]. Mit William Barry und William Conolly kann festgehalten werden: „Geistliche Begleitung […] konzentriert sich auf das, was geschieht, wenn ein Mensch auf den sich selbst mitteilenden Gott hört und ihm antwortet“ [11].

Der hohen Emotionalität kann als Ergänzung in der geistlichen Begleitung mit dem einfühlsamen Einbringen des Schwarzbrotes begegnet werden. Die ratio als Begegnungsort Gottes, die Tradition der Kirche und des geistlichen Lebens kann ebenso mitgegeben werden, wie die Lektüre der Klassiker oder heutiger Autoren der Theologie und des geistlichen Lebens. Dabei wäre auf eine zu große Konfrontation zu verzichten und Ergänzungen organisch anzubieten. Zeigen sich jedoch beim Begleiteten Anzeichen einer vollkommen ungesunden und rein emotionalisierten Frömmigkeit wäre entsprechend widersprechender zu reagieren.

Der möglichen Versuchung des religiösen Leistungsdrucks im Lobpreis kann mit den gegensätzlichen Polen der Gemeinschaft und Stille begegnet werden. Zeigt sich im Lobpreis eher eine dionysische Fülle und Fokussierung auf das Individuum können eine mehr geformte und stille Gebetsweise eine sinnvolle Ergänzung sein. Zudem kann ein Hinweis auf den Wert der Treue (tägliche Gebetszeit) im Gebet hingewiesen werden, wie bspw. der hl. Ignatius hervorhebt. Peter Köster SJ hebt hervor: „In der geistlichen Begleitung kommt es vor allem darauf an, dem Begleiteten konkrete Hilfen zu geben, wie er Gottes Wirken im eigenen Leben entdecken und wie er mit ihm in einen Dialog kommen kann über alltägliche und bedeutsame Erfahrungen seines Lebens und über zentrale Fragen seiner Gottesbeziehung“ [12]. Eine Gebetszeit bleibt auch dann wertvoll, wenn sie der junge Mensch nichts gefühlt hat, wenn die Gedanken abgeschweift sind, und der Schlaf stärker war als die eigene Aktion.

Die Lobpreisspiritualität ist eher den kirchlichen Grundvollzügen der Liturgie und Martyria zuzuordnen, sodass die Diakonia eine sinnvolle Ergänzung als anderer Ort der Gottesbegegnung sein kann. Die Jugendsynode 2018 hat in ihrem Schlussdokument diesbezüglich unmissverständlich festgehalten: „Arme, ausgegrenzte junge Menschen, diejenigen, die am meisten leiden, können zum Beginn für die Erneuerung der Gemeinschaft werden. Sie müssen als Empfänger der Evangelisierung erkannt werden, und sie helfen uns dabei, uns von der spirituellen Weltlichkeit zu befreien. Junge Menschen sind oft empfänglich für die Dimension der Diakonie. Viele engagieren sich aktiv ehrenamtlich und finden in ihrem Dienst den Weg zur Begegnung mit dem Herrn. Die Hingabe gegenüber den Geringsten wird so real zu einer Glaubenspraxis, in der man jene „verlustreiche“ Liebe erfährt, die im Mittelpunkt des Evangeliums steht und die die Grundlage allen christlichen Lebens bildet. Die Armen, die Kleinen, die Kranken und alte Menschen sind das Fleisch des leidenden Christus: Aus diesem Grund ist dieses „Sich in den Dienst stellen eine Möglichkeit, dem Herrn zu begegnen, und ein privilegierter Raum für die Erkenntnis des eigenen Rufs“ [13]. Ein konkretes Beispiel könnten die frühen Darstellungen des Martin von Tours sein, auf denen der Bettler stets größer als Martin abgebildet wurde als Symbol dafür, dass es Christus ist, dem Martin hilft und darin begegnet.

Einem eventuell vorfindlichen elitären Habitus eines jungen Menschen, wenn er eine wie auch immer geartete Erfahrung im Lobpreis gemacht hat, kann sanft der Schatz der Kirche gegenübergestellt werden. Die in den unzähligen Schriften der Heiligen konservierten Gotteserfahrungen sowie das tägliche Handeln so vieler bekannter und unbekannter Alltagsheiliger können ein heilsamer, erdender und weitender Kontext für die als einmalig und einzigartig erlebte Erfahrung eines jungen Menschen sein. Diese wird dabei niemals herabgesetzt oder gar negiert, wenn sie der junge Mensch erzählt, es so erlebt zu haben, sondern kontextualisiert in die Größe und Weite der Kirche. Damit erhält der junge Mensch sowohl einen Ort für das eigene als auch eine heilsame Einordnung.

Die wenigen skizzenhaften Bemerkungen sollten zeigen, dass Lobpreis ein wertvoller Frömmigkeitsstil für junge Menschen heute sein kann, und dass geistliche Begleitung jungen Menschen der Generation Lobpreis helfen kann, durch sinnvolle Ergänzungen im geistlichen Leben und so in ihrer Berufung zu wachsen. Das von Papst Franziskus in „Christus vivit“ proklamierte Ziel ist das ganzheitliche Wachstum junger Menschen. Dazu kann geistliche Berufungsbegleitung einen wesentlichen Beitrag leisten.

[1] Faix, Tobias / Künkler, Tobias, Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche. Das Buch zur empirica Jugendstudie 2018, Neukirchen-Vluyn 22019.

[2] Die Klickzahlen auf YouTube wurden am 16. Mai 2022 abgerufen.

[3] Rosa, Hartmut, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, 441.

[4] Fukuyama, Francis, Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg 2/1019, 76.

[5] Guardini, Romano, Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards, in: Hochland 2 (April 1927-September 1927), 17.

[6] Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes. VAS 218 (25. März 2018) Nr. 285.

[7] Vgl. für die komplexe zu Grunde liegende Philosophie: Whitehead, Alfred North, Prozess und Realität. Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt am Main 1987, 385-398.

[8] Vgl. Papst Franziskus, Christus vivit, Nr. 291.

[9] Benediktsregel. Mit der Übersetzung der Salzburger Äbtekonferenz herausgegeben von P. Ulrich Faust OSB, Stuttgart 2011, 1.

[10] Köster, Peter, Geistliche Begleitung. Eine Orientierung für die Praxis, Sankt Ottilien 42018, 21.

[11] Barry, William A. / Conolly, William J., Brennpunkt: Gotteserfahrung im Gebet. Die Praxis der geistlichen Begleitung, Leipzig 1992, 15.

[12] Köster, Geistliche Begleitung, 15.

[13] XV. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode „Die Jugend, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“, Abschlussdokument, Vatikanstadt (27. Oktober 2018), Nr. 137.

Diesen Beitrag teilen: