In der Pandemie musste Geistliche Begleitung über lange Strecken auf digitale Medien – meist auf Videokonferenzen – ausweichen. Siri Fuhrmann und Esther Göbel reflektieren auf Chancen, Grenzen und besondere Bedingungen, wenn Begleiterin und Gesprächspartner nicht physisch im gleichen Raum sitzen.

Geistliche Begleitung – digital

Text: Esther Göbel und Siri Fuhrmann – Photo: geralt/pixabay.com

Besonderheiten digitaler Begleitung

Digitale Begleitungen hat es auch schon vor den Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie gegeben, wenn auch in geringerer Zahl und Verbreitung. Es wird von manchen Begleiteten als hilfreich empfunden, wenn sich die Gesprächspartner:innen zwischendurch und / oder zu Beginn auch mal im präsentischen Setting treffen. Es kann Begleiteten aber auch völlig gleichgültig sein und die Arbeitsbeziehung nicht wesentlich beeinflussen. Dann sollte sich auch der/die Begleiter:in auf diese Weise der Begleitung einlassen können. Unseres Erachtens hängt es davon ab, wie firm und affin beide Gesprächspartner:innen im technischen Umgang mit Videotelefonie und Messenger-Diensten sind.

Die meisten Rahmenbedingungen sind im digitalen Raum dieselben wie im analogen oder mindestens direkt übertragbar. Dennoch gibt es in Videokonferenzen auch besonders zu berücksichtigende Aspekte.

Wahrnehmung

Aufgrund der technischen Voraussetzungen fehlen in digitalen Begegnungen für die sinnliche Wahrnehmung des Gegenübers drei Sinneseindrücke: das Riechen, das Schmecken und das Tasten. Wobei anzumerken ist, dass diese drei Sinne auch im präsentischen Zusammenhang mindestens unüblich, wenn nicht sogar unangemessen sind, oder im Fall des Riechens nur unbewusst, wenn auch maßgeblich, eine Rolle spielen. Anders gesagt: in der digitalen Begegnung konzentriert sich die Wahrnehmung ausschließlich auf das Sehen und das Hören. Die Begegnung über den Bildschirm überbrückt Entfernungen und rückt zugleich einen Menschen sehr nah an unser Wahrnehmungsfeld heran. So wird unsere Aufmerksamkeit anders gebunden, als säße man beispielsweise in einem Besprechungszimmer auf zwei Stühlen. Digitale Medien verstärken und beschneiden zugleich unsere Sinne.[i]

Grenzen des Bildschirms

„[Es gilt] zu beachten, dass in rein informativen Kommunikationssituationen jene partielle Selbstmitteilung häufig unproblematisch ist und die Technik der digitalen Mediatisierung hier ihren größten Nutzen entfalten kann. Die unterhaltenden, verbindenden und erfüllenden Vorzüge der medialen Welt sind diesbezüglich mehr als zu begrüßen. Problematisch wird es hingegen, wenn die überwiegende Mehrheit menschlichen Lebens in die Wirklichkeit der digitalen Mediatisierung verlagert wird, wie dies in Ansätzen aktuell in der Arbeits- und Lebenssituation der Covid-19-Pandemie zu beobachten ist. Gerade hier wird deutlich, dass in existentiellen Kommunikationssituationen, die zum Beispiel Trauer, Schmerz oder Unsicherheit beinhalten, körperliche Leiblichkeit als Konstitutionsbedingung von Authentizität entscheidend ist, um diesen menschlichen Dimensionen adäquat und mit der gesamten menschlichen Erfahrungspotentialität zu begegnen. Somit ist körperlich-leibliche Authentizität der entscheidende Schlüsselbegriff für die Orientierung und Gestaltung der Herausforderungen und Chancen digitaler Technologien. Denn nur wer weiß, wo er steht, kann von dort aus ohne Angst voranschreiten.“[ii]

Krisenhafte Gespräche fordern eine sensible Wahrnehmung der Situation und eine entsprechende Reaktion der Begleitperson. Wenn der/die Begleitete beispielsweise zu weinen beginnt, kann im digitalen Setting kein Taschentuch als Geste des Tröstens gereicht werden. Für solche im Analogen oft non-verbalen Gesten braucht es im Digitalen eine entsprechende Verbalisierung. Möglich wäre in diesem Fall eine Frage wie: „Hast du ein Taschentuch da? Möchtest du dir kurz eins holen?”
Nonverbale leibhaft ko-präsente Kommunikation ist nicht selbstverständlich digital zu übertragen. Schaut der/die Begleitete z.B. häufig an der Kamera vorbei oder aus dem Fenster, kann man als Begleitperson nicht gut einschätzen, ob vielleicht der direkte Blickkontakt als unangenehm empfunden wird, weil über Schamhaftes gesprochen wird oder vielleicht vor dem Fenster etwas anderes die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Um Irritation oder Fehlinterpretation zu vermeiden, ist eine Lösung, Wahrnehmung bzw. Gedanken stärker zu verbalisieren und dem/der Anderen zur Verfügung zu stellen.

Sicherheit im digitalen Raum

Geistliche Begleitung stellt die Beziehung des/der Begleiteten mit Gott in den Mittelpunkt und verspricht einen sensiblen Umgang mit der (Glaubens-)Geschichte des/der Begleiteten. Dem dient die Begegnung der beiden Gesprächspartner:innen. Folglich muss diese in einem geschützten Rahmen stattfinden. Der/die Begleitete muss also auch unter digitalen Bedingungen die Sicherheit haben, dass nur er/sie im Fokus steht und dass niemand außer der Begleitperson Zugang zu dem Gespräch hat. Diese Verabredung, dass das Gespräch nur zwischen diesen beiden Menschen stattfindet, muss auch für die Begleitperson gelten.

Es wird immer üblicher, dass Handys als Voice-Memory genutzt werden, um später Wichtiges nachhören zu können. Als Teil der Privatsphäre ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine Partei Aufnahmen vom Gespräch macht, ohne das Einverständnis der anderen erhalten zu haben.

Das Seelsorgegeheimnis ist im digitalen Kontext möglicherweise komplexer zu bewerten, da es von Voraussetzungen lebt, die nur partiell durchschaut und eingeordnet werden können. Dies nötigt beiden Parteien ein grundsätzliches Vertrauen in die gegenseitige Einhaltung der Verabredung ab sowie eine grundlegend befürwortende Haltung zur Nutzung digitaler Kommunikationstechnik.

Insbesondere in Zeiten der Pandemie mit Kontakt- / Versammlungsverbot sticht häufig die Pragmatik die Datensicherheit. Die Gefahr von Missbrauch der Datensicherheit ist nicht fassbar, der Nutzen von digitalen Formaten für die Fortführung geistlicher Begleitung schon. Aus Datenschutzgründen schließen sich derzeit Gespräche über WhatsApp und Facebook aus. Skype steht als Microsoft-Komponente ebenso im Verdacht, Sicherheitslücken aufzuweisen. Im kirchlichen Raum scheinen sich momentan Zoom, Big Blue Button, WebEx und Jitsi meet durchzusetzen, wobei es sich hier um eine subjektive Einschätzung und nicht um das Ergebnis einer grundständigen Erhebung handelt. Fragen des Datenschutzes werden in den deutschen Diözesen unterschiedlich beantwortet. Eine Debatte über den „Primat des Datenschutzes“ vor pastoralen Fragen ist dringend nötig, da bisher nicht geklärt ist, in welchem Verhältnis der zweifellos wichtige Datenschutz zu ebenso wichtig zu nehmenden pastoralen Erfordernissen steht. Eine bisher weitgehend praktizierte rigorose Verbotskultur ist weder hilfreich noch angemessen. Die kirchlichen Fachdienste der Geistlichen Begleitung könnten hier von medizinischen und psychotherapeutischen Diensten lernen, die schon länger mit digitalen Optionen arbeiten. Die Frage des Datenschutzes hat die Qualität des Beichtgeheimnisses, für dessen Sicherung die Expertise vieler Fachleute herangezogen wurde und wird. Die Frageperspektive sollte weniger lauten: Darf es im kirchlichen Dienst videobasierte Geistliche Begleitung bei diesem oder jenem Anbieter geben, sondern: wie finden und finanzieren wir als kirchliche Institution die Entwicklung sicherer Plattformen, um unsere Standards der Schweigepflicht, der Schutzkonzepte und der Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Seelsorgegespräch zu garantieren?

Partizipation und Ausschluss

Die Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten von Teilhabe. Körperliche Einschränkungen durch Behinderung oder physische Entfernung ermöglicht der Bildschirm die Teilnahme an Veranstaltungen an sonst unerreichbaren Orten.
Digitale Geistliche Begleitung erfordert entsprechende technische Geräte, Zugangswege und mediale Bildung. Insofern muss auch das Thema der Teilhabegerechtigkeit kritisch bedacht werden. Den großartigen Möglichkeiten der Partizipation steht zugleich auch die Gefahr der Exklusion aufgrund von Defiziten in Ausstattung, Zugang und Kompetenz gegenüber.

„Ethisch haben wir zu fragen, was den Menschen dient, das Recht auf Selbstbestimmung stärkt und Teilhabe ermöglicht, nach ökologischer Verträglichkeit und Nachhaltigkeit, aber auch Transparenz und Gerechtigkeit.“[iii]

Ökologische und ökonomische Argumente

Durch digitale Begleitung entfällt ein mitunter langer Anfahrtsweg. Es werden große Distanzen überbrückt und im Gespräch vielleicht sogar Kontinente miteinander verbunden, Reisekosten fallen als Faktor nicht mehr ins Gewicht. Auch wird es möglich, z.B. in Krisensituationen kurzfristiger zu reagieren, als es in einem analogen Treffen mit größerem Planungsvorlauf möglich wäre. 

Erholungszeiten

Die Schonung zeitlicher, ökonomischer und ökologischer Ressourcen fordert die eigenverantwortliche innere Vorbereitung aller Teilnehmer:innen heraus: Wenn im analogen Setting eine längere Auto- oder Bahnfahrt die Möglichkeit geboten hat, sich zu sortieren und Gesprächsthemen zu sondieren, kann ein längerer Spaziergang vorweg Vergleichbares schaffen. Auch im Anschluss an eine Begleitung sollten beide im eigenen Interesse für Psychohygiene sorgen und einen guten inneren Abschluss nach dem Ende des Gesprächs finden.

Digitales Arbeiten führt bisweilen zu einer Verdichtung des Arbeitens. Durch entfallende Wege steht die persönliche Nachbereitung in Gefahr im nächsten Arbeitsschritt aufzugehen und nicht ausreichend gesichert zu werden. Es sollte individuell gut geprüft werden, welches Maß an Begleitungen pro Tag angemessen ist. Das gilt immer, sowohl im analogen wie auch im digitalen Bereich, hinsichtlich der computergestützten Begleitung sollten aber auch die spezifischen Belastungen eingerechnet werden. Denn tatsächlich kann die Begleitung am Computer körperliche und mentale Ermüdungserscheinungen mit sich bringen, von denen vor allem erstere unbeachtet bleiben. Die physische Erschöpfung wird nicht so leicht wahrgenommen, weil man im relativ Still-Sitzen vordergründig nur wenig Energie aufwendet. Die Position vor dem Bildschirm provoziert eine starre Haltung, die jedoch für den Körper durchaus eine Anstrengung bedeutet. Wir bewegen uns weniger, weil wir nicht aus dem Rahmen und Blickfeld fallen wollen. Die Augen konzentrieren sich über längere Zeit auf einen wenig entfernten Punkt und ein relativ unbewegliches Gegenüber auf dem Bildschirm. Auch das Leuchten des Bildschirms strengt die Augen in einem besonderen Maße an. 

Digitale Begegnung benötigt also Sorgfalt im Umgang mit den eigenen Kräften. Selbstfürsorge kann geübt werden durch den Weg in die Natur, durch körperliche Bewegung, Offline-Kreativität, Meditation, Blick in die Ferne schweifen lassen und anders mehr. 

Unserer Erfahrung nach wird in digitalen Settings weniger offiziell Pause gemacht, weil manches quasi nebenbei erledigt werden kann. Solche Nebenbei-Pausen bringen keine wirkliche Erholung. Es erscheint uns sinnvoll, nach einer gewissen Zeit das Energielevel der Beteiligten zu prüfen und eine Unterbrechung des Gesprächs zu verabreden. Manchmal führt eine solche Rast dann zum Kernanliegen des Gesprächs. 

Verhaltensregeln – Code of Ethics

Geistliche Begleitung im digitalen Raum erleben wir meist intensiver und / oder anstrengender. Dafür gibt es verschiedene Indizien: Man sitzt einander durch den Bildschirm direkt und näher als analog üblich gegenüber und nimmt je nach Einstellung und Abstand zur Kamera viele Regungen deutlicher und unmittelbarer wahr. Die Unmittelbarkeit entlässt die Gesprächspartner nicht aus ihren Emotionen und gibt weniger Gelegenheit sie zu verbergen. Auch Pausen, die zu einem geistlichen Gespräch dazu gehören, lassen sich im direkten Vis-à-vis-Kontakt häufig schlechter aushalten. Es stellt sich mitunter nicht nur in Geistlichen Begleitungen, sondern auch in Videokonferenzen ein gewisser Reaktionsdruck ein.

Men­schen, die (noch) keinen selbstverständlichen Umgang mit Medien im Alltag pflegen, werden das digitale Setting möglicherweise als „unnatürlich“ empfinden. Hier kann es helfen, darüber ins Gespräch zu kommen, wenn beide einen Eindruck vom Szenario gewonnen haben.

Digital Natives und digital Affinen dagegen merkt man kaum einen Unterschied an. Sie sind vertraut damit, ihr Leben mittels digitaler Mittel zu zeigen und zu teilen. Insofern empfinden sie die Arbeit an der Gottesbeziehung und die Reflexion des Glaubens im Netz als einen konsequenten Schritt.

Digitale Begleitung fordert erhöhte Selbstverantwortung des / der Begleiteten in Bezug auf Raumgestaltung, Atmosphäre und Privatsphäre, die im analogen Setting oft vom Begleiter / der Begleiterin übernommen wird.

Raumhygiene

Für beide Gesprächspartner gilt es, Sorge für Ruhe im Raum zu tragen. D.h. Geräusche von außen möglichst zu minimieren. Genauso wie im analogen Raum stört das unvermutete Eintreten Dritter. Dafür sorgen beide Teilnehmer:innen dort, wo sie sitzen, und ein verschlüsseltes Programm, das nur den Gesprächspartner:innen Zutritt zum digitalen Raum eröffnet. Je nach Umfeld kann es sehr hilfreich sein, wenn alle Beteiligten mit Kopfhörern arbeiten. Außerdem sollten alle Programme, die nicht gebraucht werden, auf dem jeweiligen Gerät geschlossen werden. Das dient nicht nur der Geräuschvermeidung, sondern hilft auch der Selbstdisziplinierung, nicht doch noch mal verstohlen nach den neuesten Mails zu schauen. 

Privatsphäre

Digitale Kommunikationswege gefährden die Privatsphäre, weil der geschützte private Raum leicht in die Öffentlichkeit gerät, wenn er nicht durch entsprechende Maßnahmen geschützt wird.

Jede:r an der Begleitung Beteiligte ist verantwortlich für den Schutz der eigenen Privatsphäre und hat für sich und für sein Gegenüber Sorge zu tragen, dass niemand Drittes im Zimmer oder auf mediengestützte Weise Kenntnis von dem Gespräch gewinnt. Auch haben sich alle Beteiligten zu fragen, wieviel Kenntnis dem digitalen Gegenüber vom privaten Umfeld gewährt werden soll.

Es ist ein Austausch über die jeweiligen Grenzen nötig, da die Grenzen dessen, was erlaubt und angemessen ist, möglicherweise unterschiedlich eng gezogen werden. Was als zu nah oder zu intim gilt, welche Bereiche privat bleiben und nicht gezeigt werden sollen, ist höchst subjektiv. Es gilt, eine persönliche Haltung zu finden, was ich von mir im digitalen Raum preisgeben möchte. Dies bedarf jedoch einer fundierten Medienkompetenz und einer beständigen Reflexion und Überprüfung.
Es ist Aufgabe des/der Geistlichen Begleiter:in, den Rahmen zu halten, Irritationen zu vermeiden und Diskrepanzen zu dem, was einer Begleitbeziehung angemessen ist, zu thematisieren. 

„Hoffice“

„Durch Corona ist ein Design-Experiment entstanden: nämlich die Integration des Büros in das Zuhause. Inzwischen lassen sich Home und Office nicht mehr voneinander trennen …, so dass ein hybrider, verschmolzener Lebensstil entstand, den ich Hoffice nenne.“[iv]

Der private (Wohn-)Raum wird für die Begleitperson zum öffentlichen (Büro-)Raum. Es ist also aus professioneller Perspektive zu bedenken, welchen Ausschnitt des “Hoffice” man dem/der Begleiteten in der digitalen “Kachel” zu sehen gibt. Für die Perspektive des/der Begleiteten kann ggf. ein reflektierender Hinweis auf den Bildausschnitt nötig sein, um nicht zu viel vom privaten Raum preiszugeben.
Da ggf. digitale Begleitung auch aus einem “echten” Büroraum heraus erfolgen kann, ist hier zwischen “privatem” und “persönlichem” Raum zu unterscheiden. Dies gilt auch für den/die Begleitete, sofern er/sie nicht zu Hause, sondern in einem öffentlichen Raum vor dem Bildschirm sitzt. Auch in der Öffentlichkeit einer DB Lounge oder eines Großraumbüros nimmt man einen persönlichen Raum ein. Dieser persönliche Raum sollte dann bestenfalls so gestaltet sein, dass er einen ausreichenden Grad an „Privatsphäre“ hergibt.

Die (vermeintliche) Sicherheit des digitalen, privaten und/oder persönlichen Raumes kann darüber hinaus auch die Hemmschwelle von Gesprächsinhalten gefährlich senken. Da die Fremdheit des analogen Raumes entfällt, neigen Begleitete bisweilen dazu, mehr zu sagen, als sie es im analogen / öffentlichen Raum sonst tun würden. Es ist Aufgabe des/der Geistlichen Begleiter:in, den / die Begleitete vor zu großer Offenheit zu schützen und das Bewusstsein für potentielle Versuchungen / Gefährdungen wach zu halten.

Manche Dinge, aus denen im analogen Raum einer Geistlichen Begleitung zuweilen eine große Sache gemacht wird („Gibt es etwas zu trinken? Wie ist der Raum vorbereitet (Kerze, Hl. Schrift, bebildert etc.)? Welche Sitzmöglichkeiten gibt es?) regeln sich im digitalen Raum auf leichte Weise: Wer etwas zu trinken vor den Bildschirm mitbringt, kann etwas trinken; wer es mag und wem es hilft, kann den eigenen Sitzplatz dekorieren und ausgestalten; wer keinen Eindruck von seinem tatsächlichen Aufenthaltsort geben möchte, kann sich bei den meisten Programmen und Apps einen virtuellen Bildschirmhintergrund geben. Dagegen spricht allerdings, dass es durchaus hilfreich sein kann, das Gegenüber räumlich einordnen zu können (und nicht als Sternschnuppe mit Orion-Himmel oder neben einer Palme auf den Bahamas). Die meisten Programme bieten die Option an, den Hintergrund weich zu zeichnen. So bleibt man als Gesprächspartner:in „räumlich lokalisierbar“ und schützt gleichzeitig die eigene Privatsphäre.

Zur Überprüfung hilft der Blick in die Eigenansicht, die mir die Fremdansicht des Gegenübers bietet, um ggf. Störungen wie Gegenlicht oder unruhige Bilder im Hintergrund zu reduzieren. Man kann in allen Programmen verschiedene Ansichten einstellen, bei manchen Programmen kann man die Eigenansicht auch wegklicken.

Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob die eigene Ansicht im Gespräch hilft oder ob sie eher stört. Denn das ist vermutlich das Unähnlichste verglichen mit einem anlogen Gespräch: sich in der Zuwendung zu einer anderen Person selbst anzusehen. In geistlicher Hinsicht mag das passieren, dass man sich im Anderen wiedererkennt, zunächst wendet man sich ja aber vor allem dem Anderen zu und ist offen für ihn oder sie, und nicht gewahr dessen, wie man selbst gerade wirkt (munter oder müde, ungekämmt, geschminkt, mit hängenden Lidern oder genervtem Blick…).

Prävention

Für die Prävention von missbräuchlichen Verhaltensweisen seitens des/der Begleitenden gelten unter digitalen wie analogen Rahmenbedingungen grundsätzlich die gleichen Richtlinien und der entsprechende Verhaltenskodex für Geistliche Begleiter:innen.[v]

Geistlicher Missbrauch liegt vor, wenn Menschen spirituelle Freiheit verwehrt wird und / oder religiös Zwang und Gewalt ausgeübt werden und wenn sich Begleiter: innen anmaßen, den Willen Gottes für die Begleiteten zu kennen. Darüber hinaus gilt es, sich insbesondere in Gruppensituationen der technischen „Macht des Hosts“ bewusst zu sein, die es erlaubt, Teilnehmende stumm zu schalten, den Chat zu sperren, Personen zum digitalen Raum (nicht) zuzulassen, den Chat zu speichern oder das Meeting aufzunehmen etc. Diese Funktionen können hilfreich sein, sollten jedoch nicht selbstherrlich genutzt werden. Leitung und (Geistliche) Begleitung haben Schnittflächen, sind aber keinesfalls identisch. In der Rolle des Hosts fallen jedoch oft Funktionen wie Einladung zum Treffen, Organisation, Gesprächsleitung, technischer Support etc. zusammen, die noch mehr als im analogen Raum eine Macht- und Herrschaftsfülle gegenüber den Teilnehmenden darstellen und deshalb gut reflektiert sein sollten. Diese Leitungsfunktion in ein gutes Verhältnis zur Rolle der Geistlichen Begleitung zu setzen, ist eine Herausforderung, die aber selbstverständlich auch im analogen Raum besteht.

Für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Missbrauch im Raum der Kirche kann der digitale Raum und damit die körperlicher Distanz den Vorteil eines „safe spaces“ bedeuten. Gleichwohl finden sexuell konnotierte Grenzverletzungen und übergriffiges Verhalten natürlich auch im Netz statt. Dementsprechend gelten hier ebenso wie im analogen Raum die entsprechenden Präventions- und Schutzmaßnahmen bzw. grenzsensibles Verhalten seitens der Begleitung.

Methodische Hinweise

Viele aus der analogen Begleitung bekannte Methoden und erprobte Techniken zur Unterstützung des Geistlichen Begleitprozesses lassen sich auch in digitalen Kontexten anwenden. Immer ist die Frage zu stellen, ob und inwiefern die Methode im Dienst des Anliegens steht und wie sie ins Digitale übersetzt werden kann.

Beginn und Abschluss ritualisieren

Es kann sich als hilfreich erweisen, den digitalen Treffen eine gemeinsam verabredete Struktur zu geben. Bewusst gehaltene gemeinsame Stille kann zu einem wichtigen Gestaltungselement werden. Sie ermöglicht eine ausdrückliche Unterscheidung des Treffens von anderen Arbeitsschritten, die zuvor und danach am Computer gemacht worden sind bzw. gemacht werden. Auch eine bewusste Wahrnehmung und Verortung des eigenen Körpers kann eine solche Unterscheidung begünstigen.

Stille hilft, gemeinsam zu hören, wie und worin sich Gottes Gegenwart im Leben des/der Begleiteten zeigen möchte. Am Ende kann Stille der Sammlung helfen und verdeutlichen, welcher Gedanke in den Alltag übertragen werden will.

Visualisieren

Geistliche Begleitung vollzieht sich in einem asymmetrischen Beziehungsverhältnis. Wenn Texte zur Grundlage der Begleitung gemacht werden oder wenn ein bestimmtes Gebet den Abschluss bilden soll und es sich um ein nicht beiden bekanntes Grundgebet handelt, ist die Visualisierung des Textes durch Bildschirm-Teilen eine wichtige Form von Teilhabe und Teilgabe. 

Auch Strukturaufstellungsarbeit ist sowohl online über ein digitales Whiteboard möglich als auch getrennt im analogen Raum über eine Flipchart, die im Hintergrund sichtbar ist und z.B. zur Darstellung von Beziehungen einbezogen werden kann. Nicht immer ist es unbedingt nötig, dass die Begleitperson Aufstellungen oder Zeichnungen des/der Begleiteten sieht.

Insgesamt stellt sich in der Anwendung von Methoden die Frage nach dem Ziel. Mit der Fokussierung auf das zu erreichende Ziel lassen sich analoge Methoden mit etwas kreativer Anpassung oft leicht übertragen.

Körperübungen

Da der Computer und die ganze nötige Technik eher die intellektuellen Fähigkeiten fordert, kann es zur Aufgabe der Begleiter:in gehören, sich zur Anwält:in des Leibes zu machen, z.B. Körperwahrnehmungen anzubieten oder nachzufragen, wo im Körper Emotionen spürbar werden etc. Aufmerksamkeitsübungen wie Bodyscan, Rückbindung von Gefühlen an den Leib, Focussing-Methoden etc. können gut auch im digitalen Setting verbal angeleitet werden. Selbst Methoden wie der „fremde Blick/ Stuhl-Arbeit“ können über den Bildschirm angeleitet werden, ohne im selben Raum unbedingt anwesend sein zu müssen. Unter Umständen kann es für Begleitete sogar hilfreich sein, die Kamera auszuschalten und damit in ihrem Raum gänzlich unbeobachtet zu sein.

Besonderheiten von Gruppenbegleitungen

Geistliche Begleitung in Gruppen lebt von der Fähigkeit der einzelnen Teilnehmer: innen, am Leben anderer Anteil zu nehmen.[vi] Dies gilt in digitalen Treffen umso mehr: Es bedarf eines inneren Mitgehens aller Beteiligten, was durch die Technik zur Hürde werden kann. Wer Anteil gibt, ist kein Protagonist einer Netflix-Serie. Es bedarf einer hohen Aufmerksamkeit aller Gruppenmitglieder, um nicht auf der Unterhaltungsebene zu verbleiben. Die innere Anteilnahme der Gruppenmitglieder vollzieht sich im analogen Rum meist non-verbal über das Anschauen des Sprechenden. Im digitalen Setting schaut man meist auf den Bildschirm, nicht in die Kamera, was bedeutet, dass man sich als Sprecher:in gerade eventuell nicht gesehen / gehört fühlt. Die innere Anteilnahme anderer muss daher einerseits vorausgesetzt und erhofft werden oder kann andererseits durch Bezugnahme verbalisiert werden.

Pausen zwischen den Gesprächsbeiträgen können wichtige Funktionen haben: sie geben Raum zum Nachdenken und Reformulieren. Im Begleitgespräch sind die Pausen wichtige Lücken für Gottes Geist, der unter den Beteiligten wirken möchte. 

Es gibt aber auch Pausen, in denen schlicht niemand das Wort ergreift. Diese gefühlt langen Pausen können Langeweile, Unsicherheit, Reaktionsdruck oder Lethargie auslösen. Dann hilft es zum Beispiel, als Leiter:in die erste Person freundlich zum Beitrag aufzufordern, welche dann ihrerseits der nächsten Person das Wort erteilt. Diffuses Schweigen sollte ins Wort gehoben werden, was möglicherweise den nächsten inhaltlichen Schritt ermöglicht.

In freieren Gesprächssituationen / Diskussionen kann das „digitale Melden“ das Moderieren erleichtern, weil man nicht immer alle Gruppenmitglieder auf dem Bildschirm sehen kann und so die Meldung per physischer Hand übersehen werden kann.
Viele Programme stellen Funktionen und Tools zur Verfügung, die in der Arbeit mit Gruppen hilfreich sein können: Abstimmen, Umfragen, Zustimmung / Ablehnung etc.
Mit der Chatfunktion steht die Möglichkeit zum Austausch von Gedanken, Kommentaren oder kurzen “Seitengesprächen” zur Verfügung zwischen allen oder auch als Direktnachricht zwischen einzelnen Teilnehmer:innen.

Für das gemeinsame Beten eignet sich wie im Einzel-Setting die Freigabe von Texten über das Bildschirm-Teilen. Gemeinsames Sprechen von Gebetstexten ist allerdings wegen der Latenz (Verzögerung der Bild-Ton-Übermittlung) schwierig, so dass es gut ist, wenn eine:r stellvertretend für die Gruppe laut spricht, die anderen jedoch „nur“ mit geschlossenem Mikro in ihrem jeweiligen Raum mitsprechen.

Statt eines Nachworts…

… und als Ergänzung geltender Ordnungen für den Dienst der Geistlichen Begleitung:

  • Als Geistliche:r Begleiter:in verhalte ich mich auch im digitalen Raum grenzsensibel.
  • Ich informiere mich über Datenschutzbestimmungen meiner Diözese und eigne mir das notwendige technische Fachwissen an.
  • Ich entwickle eine persönliche Haltung zu den Möglichkeiten und Grenzen im digitalen Raum und kommuniziere sie meinem Gegenüber.
  • Ich kümmere mich um Unterstützung in ethischen und technischen Fragen.
  • Ich nutze den kollegialen Austausch in Intervision und Supervision auch für digitale Fragen.
  • Ich thematisiere bereits im Kontraktgespräch den eigenverantwortlichen Schutz des persönlichen Raumes. 
  • Ich spreche mit dem / der Begleiteten über das für alle Seiten geltende Persönlichkeitsrecht (Recht an Bild und Ton etc.). 
  • In die in regelmäßigen Abständen vorgesehenen Reflexionsgespräche be­­ziehe ich den digitalen Raum mit seinen Möglichkeiten und Grenzen ein.



[i] Crizaldo, 2.

[ii] Ottinger, 404.

[iii] Schrage, 213.

[iv] Oona Horx-Strathern: Hoffice: Mentale Verschmelzung von Zuhause und Arbeit, aufgerufen am 21.12.21https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wohnen/hoffice-mentale-verschmelzung-von-zuhause-und-arbeit/ (abgerufen am 21.12.21)

[v] S. Pastoralkommission der DBK: „…und Jesus ging mit ihnen“ Der kirchliche Dienst der Geistliche Begleitung. In: DBK 39 (2014), 21-24; bzw. die entsprechenden rechtsverbindlichen Standards Geistlicher Begleitung der deutschen Diözesen.

[vi] Vgl. Schaupp, Clemens : Gott im Leben entdecken. Einführung in die geistliche Begleitung Kevelaer 22011, 174.

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