Beten kann ganz viel sein: Kurz oder lang, ganz spontan oder in vorformulierten Sätzen, Gespräch mit Gott oder stilles Verweilen, biblische Betrachtung oder klagendes Stoßgebet. Bereits im 16. Jahrhundert wurde durch Ignatius von Loyola eine Hilfe für längere Gebetszeiten entwickelt.
Hinweise für Gebetszeiten
Text: Peter Hundertmark – photo: cocoparisienne/pixabay.com
Diese Hinweise haben sich bewährt, da sie zugleich freilassend sind und und doch einen stützenden Rahmengeben. Sie sind jedoch immer als „Geländer“ zu verstehen. Nie sollen sie Selbstzweck werden, nie sich zwischen den/die Betende und die Jetzt-Gegenwart Gottes schieben.
Eine längere und geplante Gebetszeit beginnt damit, dass der/die Betende für sich die Dauer festlegt, die er/sie jetzt für das Gebet einsetzen kann und will. Diese Zeitspanne ist möglichst einzuhalten, sowohl wenn es scheinbar langweilig ist und die zubemessene Zeit sich endlos zu dehnen scheint, als auch wenn „es gerade so lebendig ist und übersprudelt“.
I.) Der/die Betende macht sich bewusst, dass Gott gegenwärtig ist und stimmt sich so in einem kurzen Innehalten und eventuell einer Geste (Kreuzzeichen, Verneigung…) auf die Gebetszeit ein. Wem und wann es hilft, kann sich dann eine kurze Übung anschließen, um vom Körper her die innere Stille und Konzentration zu unterstützen. Dafür eignen sich alle kurzen und relativ einfachen konzentrationsfördernden Übungen der verschiedensten Körperarbeitsschulen und –ansätze.
II.) Der nächste Schritt ist ein persönliches Grundgebet. Ist dieses einmal formuliert, bleibt es immer gleich und jede Gebetszeit und jeder Tag kann damit begonnen werden. In diesem Gebet bittet der/die Betende darum, dass die kommende Zeit – die Gebetszeit jetzt, der nächste Tag – in Haltung und Verhalten auf Gott, seine Zuwendung und seine Verheißung hin ausgerichtet sein möge. In seiner individuellen Gestalt dieses Grundgebets können nach und nach auch die Bindungen, in denen der/die Betende lebt, ein Wort, das die persönliche Berufung zusammenfasst und die Verheißung über dem eigenen Leben zur Basisform hinzutreten. Es lohnt sich, an diesem Grundgebet länger betend – und nach Möglichkeit in geistlicher Begleitung – zu arbeiten und zu feilen, bis es ganz zum eigenen Leben und Hoffnung passt.
Beispiel in Anlehnung an das Exerzitienbuch des Ignatius: Du Gott hast mich geschaffen. Ich weiß und glaube, dass du mich siehst und magst. Ich wünsche mir, mit meinem Leben – in meiner Familie, mit meinem Beruf, mit meinen Freunden – auf deine Zuwendung antworten zu können, damit ich so mein ganzes, in der Tiefe gelingendes Leben finde. Gib mir bitte dazu jetzt und für die kommende Zeit einen Geist als Hilfe.
III.) Der folgenden Gebetszeit wird dann immer mittels der Phantasie ein Ort oder Raum zugeordnet, innerhalb dessen das Beten „stattfindet“. Der Schauplatz, quasi die „Bühne“ des betenden Geschehens wird aktiv vor dem inneren Auge aufgebaut. Auf diese Weise wird der/die Betende in eine Gleichzeitigkeit zum Geschehen gesetzt, das er/sie betrachtet oder erwägt. Das, worüber er/sie betet, ist nicht ein Bericht aus früherer Zeit, sondern etwas, das jetzt mit und in ihm/ihr geschieht. „Jetzt“ ist das entscheidende Zauberwort. Jetzt heilt Jesus. Jetzt spricht Jesus an. Jetzt stehe ich vor Gott.
Der Schauplatz hilft dem/der Betenden auf seiner/ihrer inneren Reise. Es ist jeweils der jetzt angemessene Raum. Der Raum, der jetzt hilft, Gott zu suchen und zu finden. Der/die Betende ist in den Exerzitien nie ortlos, schwebt nie im Unklaren. Er/sie hat eine Ort und eine Existenz. Seine/ihre Füße stehen auf dem Grund dieses geistlichen Schauplatzes. Ganz leicht geht das, wenn ein biblischer Text als Ausgangsbasis für das Beten dient, denn biblische Erzählungen geben ganz oft einen „Schauplatz“ vor, auf dem sich der/die Betende einfinden kann.
IV.) Auf die Betrachtung des Schauplatzes folgt eine konkrete Bitte für die kommende Gebetszeit. Sie unterbricht scheinbar den Gang der Betrachtung bzw. Erwägung, die mit dem Schauplatz eröffnet wird. Diese Unterbrechung hilft jedoch, Schauplatz – Rahmen, Bühnenbild, Hintergrundfarbe – und Gebetsthema auseinander zu halten. Zugleich gibt diese Bitte das Ziel der Gebetszeit vor. Die Bitte bezieht sich dabei immer konkret auf die jetzt anstehende Gebetszeit. Sie ist in ÜBereinstimmung mit dem Thema zu formulieren, das im Mittelpunkt stehen wird. Die Bitte zielt auf die Emotionen, die Aneignung spiritueller Inhalte und die Beziehung zu Gott. Erkenntnis oder Verstehen kann ein Element dieser Bitte sein, Veränderung eine angesprochene Hoffnung, der Kern jedoch immer das innere Erleben: Freude, Trauer mit Christus, Ergriffensein, innerer Friede, ein mehr an Ausrichtung auf Gott… Die Bitte soll dabei mit richtigen Worten und sorgfältig formuliert werden. Lieber dafür mehr Zeit nehmen und den eigentlichen „Hauptteil“ kürzen: Was will ich jetzt in mir für diese Gebetszeit von Gott?
V.) Erst jetzt folgt der Hauptteil der Gebetszeit, sei es als betendes Erwägen einer Frage oder eines Themas das den/die Betende jetzt bewegt, sei es als vertiefende Betrachtung eines biblischen Textes oder als kontemplatives Verweilen in der Gegenwart Gottes. In der Regel wird der/die Betende das Thema vorher festlegen. Oft aber verändert es sich auf dem betenden Anweg bzw. gleitet in ein anderes jetzt existenznäheres, tieferes Suchen, Spüren, Ahnen und Hoffen hinüber. Manchmal „versteckt“ sich das eigentliche Thema hinter einer scheinbaren Ablenkung, die erst mal den Fortgang des Betens zu stören scheint. Wichtig ist es, soweit möglich, dabei das eigene innere Erleben im Blick zu behalten. Erlebe ich, was ich mir zuvor gewünscht habe? Oder zeigen die inneren Regungen in eine ganz andere Richtung – und ist das jetzt gut, oder will ich eine Korrektur versuchen? Welche Stimmungen entstehen in mir, wenn ich mich jetzt Gott mit meinen Fragen oder mit dieser biblischen Geschichte zuwende? Wie kann ich darin etwas von der Gegenwart und Stimme Gottes entschlüsseln? Und welche anderen Stimmen quatschen da vielleicht dazwischen?
VI.) Jede Gebetszeit, so schlägt es Ignatius von Loyola vor, mündet dann in ein „Kolloquium“. Darin spricht sich der/die Betende auf Gott hin aus, horcht auf seine „Antwort“ hin, lobt Gott, bittet, klagt, dankt, oder was immer jetzt aus der Gebetszeit heraus angemessen ist. Für dieses Gespräch braucht es keine besondere „Sprache“. Ideal ist es, so mit Gott zu sprechen, wie man mit einem guten Freund oder einer guten Freundin sprechen würde. Eventuell auch im Dialekt, jedenfalls in einer alltagsnahen Sprache, aus der Fülle des Herzens, wie einem eben gerade zu Mute ist.
VII.) Sodann kann mit einem allgemeinen Gebet, zum Beispiel mit dem Vaterunser oder einem Segensgebet, und eventuell einer Geste die Gebetszeit beendet werden.
VIII.) Wann immer möglich, ist es dann sinnvoll, sich noch ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um über das innere Geschehen während der Gebetszeit nachzudenken, nach der Bedeutung für den Alltag zu fragen, eventuell Notizen in ein geistliches Tagesgebet zu schreiben, eine Skizze anzufertigen – und so das Beten ausschwingen zu lassen.
Dafür wird eine andere Körperhaltung und nach Möglichkeit auch ein anderer Ort als für die Gebetszeit gewählt.