Nicht suchen, sondern finden. Sich von den Vögeln inspirieren lassen. Anknüpfen an die nomadischen Ursprünge unseres Glaubens. Wie Elija lernen, Gott im „verschwebenden Schweigen“ zu erhorchen. Ralf Huning SVD experimentiert mit geistlichen Übungen für Menschen, die die spirituelle „Plantagenwirtschaft“ verlassen.

Nomadische Exerzitien

Text: Ralf Huning – Photo: connie_sf/pixabay.com

Auf der Suche nach etwas grundlegend Neuem

„Wir leben in einer Zeit, wo vieles zugrunde geht und anderes dafür neu erstehen muss.“ Mit diesen Worten begründete der Heilige Arnold Janssen (1837-1909), warum er in der Zeit des Kulturkampfes, einer großen Krisenzeit der deutschen Kirche, das erste deutsche Missionshaus gründete. In der daraus entstandenen Steyler Ordensfamilie, zu der auch ich gehöre, wird dieser Ausspruch häufig zitiert. Wie mir scheint, leider viel zu oft in trivialisierter Weise, um z.B. angesichts von Personalknappheit und Schließungen bewährter Institutionen die Eröffnung einer neuen kleinen Ordensniederlassung zu rechtfertigen. Doch Janssen meinte damals das Entstehen von etwas grundlegend Neuem.

Mich selbst treibt seit vielen Jahren die Frage um, wie eine „neue Evangelisierung“ im deutschen Kontext geschehen könnte. Das hat auch biographische Gründe, denn in meiner Jugend hatte ich einen großen Hunger nach Gott verspürt, der durch die spirituellen Angebote meiner Kirchengemeinde nicht gestillt werden konnte. Ich durchlebte eine sehr schmerzhafte Zeit, die ich rückblickend als „Nacht des Geistes“ (Johannes vom Kreuz) bezeichnen würde. Als ich aufgehört hatte zu suchen, empfing ich etwas, was all meine Erwartungen übertraf, was ich aber auch heute nur anhand der Wirkungen auf mein Leben näher beschreiben kann. Ich fühlte mich zum missionarischen Ordensleben hingeführt, empfand mich trotz eines inneren Wissens um Gottes Gegenwart aber weiter als Suchender. Mit großem Interesse hielt ich darum Ausschau nach missionarischen „Neuansätzen“. Neu war das Wenigste, was ich entdecken konnte, oft war das sogenannte „Neue“ nur ein anderer Anstrich für Altbekanntes. Es ist ja auch etwas Eigentümliches mit dem Neuen. Wenn es wirklich neu sein soll, dann muss es unsere bisherigen Vorstellungen überschreiten. Der Künstler Pablo Picasso hat das einmal sehr treffend ins Wort gebracht. Das Neue könne nicht durch Suchen erlangt werden, schrieb er, sondern nur durch Finden: „Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuem. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!“ Wie Picasso dieses Abenteuer weiter beschrieb, hat überraschende Übereinstimmungen mit den Erfahrungen sogenannter „Mystiker“. „Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewissheit, in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen.“

Als ein großes Abenteuer erscheint mir mein eigener geistlicher Weg in den letzten zehn Jahren. Er führte mich heraus aus der Geborgenheit meiner Ordensgemeinschaft hin zu einem kontemplativen Leben in der Stille. Habe ich eine eremitische Berufung? Dagegen spricht, dass ich keine Neigung zu einer monastisch-eremitischen Lebensweise verspüre. Ich empfinde dagegen eine große Verbundenheit zu früheren Missionaren, die auf sich allein gestellt in ein fernes Land gingen, dessen Sprache und Kultur ihnen völlig fremd war. Ungeborgenheit, Ungewissheit, Dunkel – die von Picasso genannten Stichworte passen sehr gut zu meinen Erfahrungen. Mir scheint, die ersten Missionare meiner Gemeinschaft fanden ihre Sicherheit in ihrem Glauben und den damit verbundenen Ritualen. Mir geht es da anders. Ich fühle mich zwar in sehr starker Weise zu Gott hingezogen, doch er scheint mir wie ein „unsichtbarer Stern“ zu sein. „Planlose Zielstrebigkeit“, so habe ich meine Erfahrungen vor ein paar Jahren auf den Punkt gebracht. Ich werde gezogen von einem Ziel, über das ich nicht bestimmen kann. Wie ich dahin gelangen kann, ist mir völlig schleierhaft.

Ein spiritueller Nomade

Ich habe lange darunter gelitten, dass mir mein geistlicher Weg so planlos und zeitweise regelrecht anarchisch vorkam, bis ich mich im Bild eines Nomaden wiedererkannte. Ein Nomade hat klare Ziele, er sucht nach Futter für seine Herden und nach Wasser und Nahrung für sich selbst. Aber in den Wüsten und Steppen, in denen er lebt, muss er jeden Tag neu Ausschau halten, wo das Lebensnotwendige zu finden ist. Nomaden müssen daher sehr flexibel sein und sehr achtsam. Ich erkenne darin wesentliche Züge meines geistlichen Weges. Ich bin erst seit wenigen Jahren spiritueller Nomade. Oder sollte ich sagen, ein Halbnomade? Denn mit einem Bein stehe ich noch in meinem alten Leben. Ich bin weiter Mitglied der katholischen Kirche, gehöre zu einer Ordensgemeinschaft, bin Priester und mit einer Teilzeitstelle seelsorglich tätig. Mit dem Lohn, den ich dafür erhalte, bezahle ich meine Wohnung und die Lebensmittel. Doch meinen spirituellen Hunger nähre ich auf nomadischen Wegen. Es kostete mich viel Überwindung, ein spiritueller Nomade zu werden. Denn meine Religion kannte ich seit meiner Kindheit als Plantagenwirtschaft. Ich bin selbst als Fachmann für spirituelle Pflanzungen ausgebildet worden und wurde durch akademische Titel und Weihen als Fachmann bestätigt. In der kirchlichen Plantagenwirtschaft gibt es genaue Regeln, wie gesät, gedüngt, gewässert, beschnitten und geerntet werden soll. In der Fachsprache meiner Religion spricht man von Katechese, von Sakramenten der Initiation und der Vertiefung, von Kirchengeboten und religiösen Pflichten, die garantieren sollen, dass ein Mensch in das rechte Verhältnis zu Gott und seinen Mitmenschen kommt und dass sein Leben die erwarteten Früchte bringt. Doch obwohl man mir bescheinigte, meine Ausbildung als religiöser Fachmann mit großem Erfolg abgeschlossen zu haben, wurde ich im Laufe der Jahre immer unzufriedener mit meiner Arbeit. Mir schien, trotz genauer Befolgung der überlieferten Regeln und gelegentlichen kreativen Experimenten brachte das, was ich da pflanzte und hegte, nicht die erwarteten Früchte. Ja, ich musste mir eingestehen, dass ich selbst nicht mehr satt wurde von dem, was wir in unseren kirchlichen Plantagen anbauten. Ich nahm wahr, dass ich mangelernährt war. Mangelernährung ist nicht direkt lebensbedrohlich. Aber in Krisenzeiten fehlen die Abwehrkräfte, es besteht die Gefahr des Zusammenbruchs.

Dass die christlichen Kirchen in unserem Land eine ihrer schwersten Krisen erleben, das weiß inzwischen jeder. Wenn ich die derzeitige Lage in unseren kirchlichen Gewächshäusern anschaue, erkenne ich: Inmitten der Pflanzungen sind viele giftige Pflanzen emporgewachsen. Menschen wollten ihren religiösen Hunger stillen und bekamen stattdessen Nahrung, die ihnen schwer im Magen liegt; manche sind sogar regelrecht vergiftet worden. Was ist jetzt zu tun? Reicht es, die leitenden Mitarbeiter in den Pflanzungen auszutauschen? Muss man die Gewächshäuser abreißen und neue errichten, die mehr dem Zeitgeschmack entsprechen? Aber garantieren äußere Veränderungen auch ein besseres Wachstum in den Pflanzungen?

Ich habe keine Lösung für die epochale Kirchenkrise. Ich kann nur von meinen eigenen Suchwegen erzählen. Ich tue das zögerlich, denn ich weiß, wie schwach meine Erkenntnisse sind. In mir melden sich immer wieder Zweifel und Fragen, ob ich wirklich auf dem richtigen Weg bin. Die Bibel ist mir ein wichtiger Begleiter geworden, durch den ich ermutigt werde, weiterzugehen. Vielleicht reicht es nicht, wenn unsere Kirchen zeitgemäßer werden und alten Ballast abwerfen. Vielleicht müssen wir auch etwas sehr Altes, was im Laufe der Zeit verloren gegangen ist, auf neue Weise entdecken: Eine nomadische Spiritualität.

Die Kirchen in unserem Land haben im Laufe der vergangenen Jahrhunderte ihre Rituale und Lehren ganz auf die vorherrschende sesshafte Kultur ausgerichtet. Das machte lange ihre Stärke aus. Glaubensleben und Dorfkultur waren eins. Auch Menschen, die die Glaubenslehre im Herzen nicht berührte, konnten in den Ritualen Heimat finden. Kirche vermittelte Ordnung und Orientierung, mit guten und schlechten Nebenwirkungen. Doch die Zeit der Volkskirche ist endgültig vorbei. Nicht nur die Kirchen wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer leerer, auch andere Gruppierungen und Vereine in den Dörfern und Städten haben ein großes Nachwuchsproblem. Denn die Menschen sind mobiler geworden. Sie bleiben nicht mehr ihr Leben lang in ihrem Heimatort. Auch die Arbeits- und Beziehungsbiographien der heutigen Menschen sind plural und veränderbar geworden. Eine an alten Ordnungen ausgerichtete volkskirchliche Spiritualität kann den geistlichen Hunger moderner Menschen nicht mehr nähren.

Am Anfang war das nomadische Unterwegssein

Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, die kirchlichen Plantagen immer öfter zu verlassen und wie ein Nomade in den „Wüsten“ unserer Zeit nach spiritueller Nahrung zu suchen. Diese Neuausrichtung meiner Glaubenspraxis stellte meine bisherigen Überzeugungen in Frage. Ich kannte das Christentum nur als Religion einer sesshaften Kultur. Dies schien mir selbstverständlich. Doch jetzt, in der Krise der Plantagenwirtschaft, erkenne ich deutlicher, was ich doch schon immer hatte wissen können: Die jüdisch-christliche Glaubenslehre ist gar nicht in einer sesshaften Kultur entstanden. Die Geschichte Gottes mit den Menschen begann mit einer nomadischen Familie, mit Abraham und Sara und ihrer Sippe. Die beiden waren Migranten. Auf der Suche nach besserem Leben verließen sie ihre Heimat, zogen mit ihren Herden fort, vom Zweistromland in Richtung Kanaan. Zeitweise lebten sie in Ägypten, dann wieder in Kanaan. Sesshaft wurden sie nie. Das einzige Grundstück, das Abraham erwarb, war die Grabstätte für seine Frau und sich selbst.

Auch ihr Sohn Isaak und ihr Enkel Jakob waren Nomaden. Erst als eine Hungersnot lebensbedrohlich wurde, zog Jakob mit seiner Sippe ins Nachbarland Ägypten, um aus den Vorräten sesshafter Bauern das Lebensnotwendige zu erwerben. Seine Nachkommen ließen sich dann in diesem Land nieder, wurden dort sesshaft, aber was für ein Leben war das! Sie bekamen zwar Nahrung, doch als Gegenleistung mussten sie Sklavenarbeiten verrichten und Pyramiden bauen für die Herrscher. Als nach Jahrhunderten der Knechtschaft Gott sein Volk in die Freiheit führte, begann eine neue Phase nomadischen Lebens. Vierzig Jahre lang zogen die Israeliten durch die Wüste und fanden dort wider Erwarten das, was sie zum Leben brauchten. Aber nicht alle waren damit zufrieden. Nomadische Kost ist manchmal recht karg. In Ägypten hatte es Fleisch, Gemüse und Früchte gegeben – dass all das nur in einem Sklavenhaltersystem zu haben war, hatten viele Leute bald vergessen. Erst nach vierzig Jahren betraten die Israeliten das verheißene Land und übernahmen die Städte und die Lebensweisen der Menschen, die vor ihnen dort gelebt hatten. Die Bibel ist recht kritisch gegenüber dieser neuen Lebensweise. Immer mehr passte sich das Volk seinen Nachbarn an, forderte die Einsetzung eines Königs, fand die lokalen Götter attraktiver als ihren Wüstengott Jahwe und schaffte sich mehr und mehr eine zeitgemäße Religion. Dagegen erhoben viele Propheten ihre Stimmen.

An Jesus von Nazareth orientieren wir Christen uns in ganz besonderer Weise. Er kam zwar aus einer sesshaften Familie, doch er war wie sein Vater Bauhandwerker und zog wahrscheinlich häufig umher von Dorf zu Dorf, um Arbeiten zu erledigen. Aber noch hatte er ein warmes Nest in Nazareth. Doch als Jesus anfing, die frohe Botschaft von der nahe gekommenen Gottesherrschaft zu verkünden, wählte er einen nomadischen Lebensstil. Denen, die sich ihm anschließen wollten, machte er unmissverständlich deutlich, auf was sie sich einlassen mussten: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ (Lk 9,57f) Jesus baute keine Kirchen, er stiftete eine Bewegung und nach seinem Tod setzten die Botschaft von der Auferstehung und die Gabe des Geistes viele Menschen in Bewegung. Sie zogen hinaus in ferne Länder, ohne feste Strukturen, und wie es scheint, auch ohne rechten Plan.

Ist es nicht eigenartig, das aus all dem eine sesshafte Religion geworden ist, mit festen Strukturen und Regeln, mit Steuern und Kirchenstrafen, mit Dogmen und Kirchenrecht? Ich will das hier nicht ins Lächerliche ziehen, man kann für diese Entwicklung viele soziologische und politische Gründe aufzeigen. Es war auch nicht alles schlecht an dieser Art von Kirche, sie brachte lange Zeit gute Früchte. Aber das scheint nun vorbei zu sein. Es ist, als trockneten die alten Dorfbrunnen langsam aus, als würden die Felder immer weniger Ertrag bringen, trotz intensivem Einsatz von Dünger und trotz ausgefeilter Anbautechniken. Wir erleben es derzeit in nie gekanntem Ausmaß: Viele Menschen verlassen die kirchlichen Anbauflächen. Menschen, die weiter spirituellen Hunger verspüren, beginnen zu nomadisieren, aber in dem Sinn, dass sie von Ort zu Ort, von Religion zu Religion ziehen und versuchen, sich mit dem, was dort angebaut wird, zu nähren. Sie bleiben also noch in der Logik der sesshaften Religion.

Ich bin weiter Christ, Priester und Mitglied der katholischen Kirche. Doch was mein spirituelles Leben angeht, fühlte ich mich mehr und mehr von einem nomadischen Leben angezogen. Ich ging in die Steppen und Wüsten unserer Tage, wo keine Kirchen stehen, hörte auf zu reden und begann intensiv zu lauschen, immer in der Hoffnung, auf diese Weise Nahrung für meine Seele zu finden. Ich habe es schwerer als die Nomaden früherer Zeiten. Denn sie hatten von ihren Vätern und Müttern gelernt, wie man auch in einer Wüste Nahrung findet und Wasser, um den Durst zu stillen. Ich dagegen kenne nur die Vorgehensweisen sesshafter Kulturen, ich komme mir darum oft hilflos und orientierungslos auf meinen Suchwegen vor. Aber ich habe keine Angst mehr. Denn ich bin nicht allein unterwegs. Ich glaube fest daran: Der Herr ist mein Hirte. Er wird mich führen und lehren, wenn ich das zulasse. Auch wenn mir das oft planlos vorkommt. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“ (Jes 55,8), so heißt es in einem Gotteswort, das uns der Prophet Jesaja überlieferte. Die Herausforderung meines geistlichen Lebens besteht darin, mich auf Wegen führen zu lassen, die mir fremd sind und zunächst wenig erfolgversprechend erscheinen.

Was hat bewirkt, dass ich mein Leben als spiritueller Nomade dennoch erfüllend finde? Die wichtigste Voraussetzung ist das Geschenk des Glaubens, ein inneres Überzeugtsein, dass ich außerhalb der gesicherten Pflanzungen finde werde, was meinen Hunger stillt. Es ist das Wissen, das Gott auch dort zu finden ist, wo mir zunächst alles leer, wüst und dunkel erscheint. Als ich mich hinauswagte, begegneten mir immer wieder Geschöpfe Gottes, die mir zu Lehrmeistern nomadischer Spiritualität wurden. Besonders Vögel wurden mir zu einer großen Hilfe.

Nomadische Exerzitien

In der biblischen Überlieferung entdeckte ich Vorbilder für meinen Weg, der mir selbst neu und fremd vorkommt. Auf die Nomaden am Anfang der jüdisch-christlichen Glaubensgeschichte habe ich bereits hingewiesen. Es gab aber auch schon früher Menschen, die wie ich als „Städter“ groß geworden sind und daher ihren Glauben zunächst innerhalb fester religiöser Strukturen lebten und die dann, ohne das selbst geplant zu haben, zu spirituellen Nomaden wurden. Ein solcher Mann war der Prophet Elija. Er lebte in einer Zeit eines großen kulturellen und wirtschaftlichen Umbruchs in seinem Volk. Damals kam es auch zu einer schweren religiösen Krise. Der überlieferte Glaube an den Wüstengott Jahwe verlor immer mehr an Attraktivität. Fruchtbarkeitskulte und religiöse Bräuche der Nachbarvölker schienen viel zeitgemäßer und wurden von immer mehr Menschen praktiziert. Elija kämpfte mit Leidenschaft für den überlieferten Glauben. Sein Name war Programm: Eli-Ja, mein Gott ist Jahwe!

Mich beeindruckt, was die Bibel als erstes von Elija erzählt. Seine Tätigkeit begann mit einer großen Krisenzeit, einer mehrjährigen Dürre und Hungernot. Gott schickte ihn hinaus aufs Land, an den Bach Kerit. Seine einzige Aufgabe schien es gewesen zu sein, aus dem Bach zu trinken und sich von Vögeln die Nahrung bringen zu lassen (vgl. 1 Kön 17,1-7). War das die Lehrzeit, die er absolvieren musste, bevor Gott ihn als Propheten gebrauchen konnte? Die Meisterschule folgte, als er mit seinem eigenen Können am Ende war, mit Burn-out zusammenbrach und sich den Tod wünschte. Gott stärkte ihn mit Nomadennahrung und schickte ihn auf einen vierzigtägigen Weg hin zum Berg Horeb. Dort begegnete ihm Gott, aber auf völlig neue, zarte, unspektakuläre Weise. Durch seine Lehrzeiten war Elija fähig geworden, Gottes Gegenwart in einem ganz sanften Lufthauch zu erkennen (vgl. 1 Kön 19). Und diesen Elija konnte Gott neu senden.

Eines Tages bekam ich von einer alten Frau einen dreihundert Jahre alten Druck eines Bildes geschenkt. Er zeigte zu meiner Überraschung Elija unter Bäumen, wie er an einem Bach sitzt und wie von oben Vögel zu ihm herabfliegen und ihn mit Nahrung versorgen. So wie ich selbst viele Stunden unter Bäumen und an Gewässern gesessen habe und berührende Erlebnisse mit Vögeln hatte. Ich habe lange mit mir gerungen, diese Zeiten als „Gebetszeiten“ zu bezeichnen, weil ihnen doch alles fehlte, was ich vom Gebet in der Ordensgemeinschaft oder aus Exerzitien kannte. Ich reflektierte immer wieder mit meiner geistlichen Begleiterin die Regungen und Bewegungen in meinem Herzen und die Auswirkungen auf mein Leben und fand zu einer immer größeren Sicherheit auf meinem geistlichen Weg.

Vor kurzem habe ich nun begonnen, Menschen zu begleiten, die auch „kontemplativ-missionarische Experimente mit Gott“ machen wollen. Ich kann sie nur einladen, so wie ich, einfach in die Natur hinauszugehen. Sich an einen Bach zu setzen oder unter einen Baum. Im Einführungsgespräch mache ich ihnen deutlich, dass diese Art von Exerzitien kinderleicht ist. Sie müssen überhaupt nichts tun. Sie dürfen einfach dorthin gehen, wohin es sie irgendwie zieht. Wo sie eine Resonanz in sich wahrnehmen, sollen sie verweilen. Sie sollen sich von ihren Erwartungen lösen, wozu diese Experimente gut sein könnten. Sie sollen nicht suchen, sondern finden. Wichtig scheint mir nur, dass das experimentelle Spiel ernst genommen wird. Voraussetzung ist, damit zu rechnen, dass uns Gott auf diesen Wegen begegnen wird – wann und wie er will. Unser wichtigster Beitrag ist die Aufmerksamkeit, in der Art, wie sie Simone Weil beschrieben hat: „Die Aufmerksamkeit besteht darin, das Denken auszusetzen, den Geist verfügbar, leer und für den Gegenstand offen zu halten (…) vor allem soll der Geist leer sein, wartend, nichts suchend, aber bereit, den Gegenstand, der in ihn eingehen wird, in seiner nackten Wahrheit aufzunehmen.“

Wegen der hier beschriebenen Leere können solche Experimente wider Erwarten sehr anstrengend sein. Auch Verdrängtes kann dabei leicht an die Oberfläche kommen. Die Begleitung der Übenden scheint mir darum sehr wichtig. Ich habe mir auch ein paar Hilfsmittel überlegt, die ich Übenden als Notfallpäckchen mitgebe, u.a. eine kleine Sammlung von biblischen Zitaten, mit denen man sich beschäftigen kann, wenn das Leichte einfach nur noch als schwer empfunden wird. Es sind Zitate, die wieder zum Schauen, Hören und Verkosten einladen. Zum Beispiel: „ Seht euch die Lilien an, wie sie wachsen“ (Lk 12,27), „Seht euch die Vögel des Himmels an“ (Mt 6,26) oder „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum!“ (Mk 13,28).

Entsteht da etwas Neues? Ich weiß es nicht, denn das Neue kann man nicht planen, es muss gefunden werden. Meine eigenen Erfahrungen in den letzten Jahren ermutigen mich, andere Menschen bei einem zeitlich begrenzten „heiligen Abenteuer“ zu begleiten. Ich bin gespannt, was wir dabei miteinander finden werden. Vielleicht auch neue Worte, das Wort zu verkünden?

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