Die Zusage und Erfahrung eines Bundes, den Gott seinem Volk anbietet, steht zentral in der biblischen Offenbarung. Wie kann mit den Mitteln Geistlicher Begleitung ein/e Gottsuchende/r unterstützt werden, das Bundesangebot Gottes in sich zu entdecken und ihm zu antworten?
„ …und ich will einen ewigen Bund mit dir eingehen“
Text: Johannes Kempin – Photo: Hans/pixabay.com
Nach biblischer Überzeugung ist es Gott, der die Initiative für einen Bund ergreift. Ob mit Noach, Abraham, Isaak und Jakob, ob mit Mose, dem Volk Israel, oder ob im “neuen Bund” bei Jeremia, den Jesus zitiert und neu (er)schließt – Gott ist auf der Suche nach Menschen, mit denen er einen Bund schließen kann, die sich darauf einlassen. Gott bindet sich an den Menschen. Exegeten beschreiben den „Bund“ oft als Vertrag, also als etwas Festes und Statisches. Betrachtet man hingegen die Formulierungen, unter denen Gott Bünde mit Menschen schließt, kommt dem Aspekt der Beziehung und des Zukünftigen, noch Ausstehenden eine größere Bedeutung zu. Insofern wird der Begriff Bund in den folgenden Gedanken in seiner Qualität als lebendige Beziehung, als Freundschaft zwischen Gott und Mensch bzw. Mensch und Gott im Prozess verwendet.
In meinem Verständnis von Geistlicher Begleitung geht es darum, zu erspüren, wo Gott mit dem begleiteten Menschen im Bund steht, welche Wirkung er in ihm hat und was seine Einmaligkeit ausmacht – wie überlagert oder vergraben der Bund vielleicht auch ist.
Biblische Grundlage
Durch die gesamte Bibel, vom Buch Genesis bis in die Evangelien, den Römerbrief und den Hebräerbrief, zieht sich die Rede vom Gott Abrahams, dem Gott Isaaks und dem Gott Jakobs. Der Bund mit Abraham trägt in seiner Formulierung „von Generation zu Generation“ bereits universalen Charakter: Abraham wirst du heißen; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich sehr fruchtbar und lasse Völker aus dir entstehen; Könige werden von dir abstammen. Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein. (Gen 17,5-7) Die Verheißung „Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein“ wird in den Nachkommen auf je individuelle Weise entfaltet. Abram erfährt den herausführenden Gott, der ihn in die Offenheit des verheißenen Landes ruft, Isaak den Beschützer- und Befreiergott am Berg Morija. Jakob ringt mit Gott und geht als Gesegneter und mit neuem Namen aus diesem Kampf hervor: „Israel“, Gotteskämpfer.
Was für die Urväter gilt, behält für alle Generationen Gültigkeit: Gott hat mit allen Nachkommen eine je eigene Geschichte. Dieses Prinzip gilt bis heute. Die Urväter und Urmütter werden Garanten für den fortan erneuerten Bund mit Mose (Ex 2,24; 6,2-8[1]) David (1Kön 8; Jer 33,21), und unter den Propheten besonders mit Jesajah, Jeremijah und Hosea. Der Prophet Jesajah spricht vom ewigen Bund mit dem ganzen Volk (Jes 55,3), Jeremijah spricht den hoffnungs- und heimatlosen Menschen im Exil einen Neuen Bund zu (Jer 31,31-34).
In der Person Jesu erneuert Gott den Bund in der schon auf Abraham basierenden universalen Dimension und erweitert ihn auf die Völkerwelt. So wird zum Beispiel eine ausländische Frau (die Syrophönizierin in Mk 6,24-30 par) für Jesus zur geistlichen Lehrerin. Im Lukasevangelium erinnert Jesus seine Zuhörer mehrfach an ihre Eigenschaft, Söhne bzw. Töchter Abrahams zu sein (Luk 13,16; 19,9). Und als er beim letzten Abendmahl seinen Jüngern den Becher mit Wein mit den Worten reicht: „Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28; in Lukas 22,20 der neue Bund), bestätigt er den Bund Gottes mit seinem Volk neu in seiner ganzen Person. Er tritt mit seinem Leben, mit allem, was ihn ausmacht, für Gottes Bundeswillen mit uns Menschen ein und besiegelt seine Bundestreue mit der Hingabe seines Lebens für diesen Bund.
Im Brief an die Epheser bezeichnet Paulus nun die Völker als „Eingemeindete“ im Bundesvolk, als „Mitbürger, Miterben und Mitteilhaber der Verheißung“ (Eph 2,19; 3,6). Paulus, dem seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk kostbar und gleichzeitig etwas über sich selbst hinausweisendes war, ist überzeugt, dass potentiell jeder Mensch im Bund mit Gott ist.
Geistliche Begleitung – Suche nach dem konkreten Bund
Die Tatsache, dass ein Mensch Geistliche Begleitung sucht, drückt unmissverständlich aus, dass Gott bereits im Bund mit diesem Menschen steht. Ob ausdrücklich formuliert oder nicht, dem Begleiteten geht es darum, seine Gottesverbindung neu wahrzunehmen, seine Gottesbeziehung stärker zu leben. Gleichzeitig suchen Menschen Geistliche Begleitung, weil sie ein Defizit spüren bzw. ein Mehr erhoffen. Ausgangspunkt sind oft Erfahrungen, blockiert zu sein von Kräften, die das Leben behindern, abschnüren oder gar tödlich umfangen. In der tiefen Überzeugung, dass Gott den Bund mit dem begleiteten Menschen erneuern und lebendiger machen will, ist der Geistliche Begleiter Pate/Patin und Fürsprecher/in für die unverwechselbare Lebensstimme im Begleiteten. Um ihr auf die Spur zu kommen, kann der/die Geistliche Begleiter/in sich fragen: „Ist mein Gegenüber lebendig? Worin spüre ich diese Lebendigkeit? Nehme ich seinen Kontakt/Bund zu sich selbst, zu Gott, auch zu anderen Menschen wahr? Erfahre ich etwas von anderen Bindungen, die Leben verhindern, möglicherweise sogar lebensbedrohlich sind?“ Die Unterscheidung der Geister, derer, die dem Leben dienen und es kraftvoll erfüllen und derer, die herunterziehen und das Leben des Menschen umschlingen und ersticken, gehört zum wichtigsten Instrumentarium des Klärungsprozesses, in welchem Bund ein Mensch lebt.
Im Tiefsten geht es also in der Geistlichen Begleitung darum, dass ein Mensch in seiner ureigenen Gottesbeziehung lebendiger wird. Oder, um es mit dem Bundesgedanken zu formulieren, dass er/sie anstelle der biblischen Namen (Abraham, Mose, Maria, Ruth, Jesus) den je eigenen Namen einsetzen kann und sich zum einmaligen Gott seines Lebens bekennt. Damit ist die Erkenntnis verbunden, dass Gott sich seinerseits radikal zu dem Begleiteten als von IHM geschaffenes Geschöpf bekennt: „Ich bin dein Gott, der dich aus deiner Knechtschaft herausführt, der dich zu deinem Selbst befreien will.“ Der Weg dorthin ist wie im Exodus-Geschehen meist lang und von Krisen angefochten.
Ob im Prozess Geistlicher Begleitung oder nicht: Wer die Einmaligkeit des Bundes mit seinem Gott entdeckt und sich zum Gott seines Lebens bekennt, bewirkt damit auch etwas für seine Lebensumgebung, seine Mitmenschen, auch „für kommende Generationen“.
Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung
Im Prozess Geistlicher Begleitung spielen Erinnerungen eine wichtige Rolle. Im Gespräch werden sie zum Ausgangspunkt für die Suche nach dem jetzt Gültigen der Gottesbeziehung. Im Prozess der Er-innerung hole ich etwas vom Äußerlichen ins Innere, um seinen Schatz, seine verborgene Lebensbotschaft neu zu entdecken. Im anthropomorphen Sprechen von Ex 2,4 erinnert sich Gott an den Bund mit Abraham, Isaak und Jakob. Dieser Erinnerung wird zum Auslöser für das in den Folgekapiteln und –büchern erzählte Drama von der Befreiung des Volkes Gottes aus dem Land der Bedrängnis Ägypten.
Im Prozess Geistlicher Begleitung kann die Erinnerung an gute und tragende Lebenserfahrungen helfen, sich mit dem eigenen Geschaffensein, den Begabungen und Stärken zu verbinden, die durch manchen aktuellen Ärger oder Enttäuschung verdeckt sind. Aber auch die Erinnerungen an schlimme, verletzende und beschämende Erfahrungen spielen eine wichtige Rolle. Sobald sie angeschaut und formuliert werden können, beginnt ein schmerzlicher doch letztlich heilsamer Prozess, der die Freiheit des Lebens mit Gott zum Ziel hat. „Die Berührung des schaffenden Gottes hört niemals auf“ nennt das Elmar Mitterstieler. Der Johannes-Evangelist sagt: „Mein Vater ist immer noch am Werk und auch ich bin am Werk.“ (Joh 5,17)
Im Bund mit dem Kind in mir
Aus eigener therapeutischer Erfahrung weiß ich, wie sehr das kraftvolle und unverstellt dem Leben zugewandte kleine Kind eine potentielle Lebensquelle für den erwachsenen Menschen sein kann. Ein Kind ist dem Ursprung in Gott, seinem Bund von Anfang an, meist näher, wenn auch noch nicht bewusst. Darin kann ein Potential für die Geistliche Begleitung liegen, sich der tief im Inneren von Gott her strömenden Quelle bewusst zu werden.
Manchmal liegt diese Quelle verborgen unter dem für die Nachkriegsgeneration typischen Phänomen, übersehen worden zu sein und den daraus folgenden Überlebensstrategien, die Kinder sich oft genial zurechtlegen. Nicht selten werden diese Überlebensstrategien so verinnerlicht, dass auch der erwachsene Mensch nicht mehr davon loskommt. Aus der Überlebensstrategie ist ein falscher, oft zwanghafter lebenserstickender Bund geworden. Je nachdem, wie schwerwiegend solche Verkrümmungen sind, wird hier vielleicht zunächst oder parallel therapeutische Arbeit nötig sein, bevor Geistliche Begleitung die Quellen des ungebrochenen Bundes erreichen kann. Ein Bildwort von P. Mitterstieler – die verschwundenen Flüsse, die im Karst des Lebens verloren gingen – ist für mich in diesem Kontext sehr sprechend und verbindet sich mit einem eigenen Erlebnis: Wenn ich in Jerusalem Gruppen zu den frühesten Ausgrabungen in der sogenannten Davidstadt führe, steigen wir Schicht um Schicht hinunter bis wir schließlich tief unter der Erdoberfläche die Gichon-Quelle erreichen. Auf dem Weg dorthin gibt es eine Stelle, an der man das seit Jahrtausenden fließende Wasser bereits rauschen hört, wenn man ganz still ist. Mich selbst ergreift dieser Moment immer wieder, wenn das lebensspendende Wasser, ohne das es Jerusalem auf der Landkarte nicht gäbe, noch nicht zu sehen, aber zu hören ist. Diese Erfahrung ist mir ein wunderbares Bild für die Geistliche Begleitung, in der es darauf an kommt, dem Rauschen des Gottesstromes, dem tief unter dem Karst des Lebens verborgenen Fluss, nachzuspüren. Das erfordert Zeit und Geduld, weil sich oft viel „Geröll“ oder auch schöne Fassaden darübergelegt haben.
Gegner des Bundes – den Zweifel ernstnehmen
In Num 21 wird in nur fünf Versen auf packende Weise von der Gegenkraft gegen den Bund der Verheißung erzählt. Auf seiner langen Wanderung durch die Wüste wird das Volk Israel mutlos (wörtlich heißt es „kurz“, vgl. im dt. kurzsichtig) und bringt seinen Zweifel am Weg in die Freiheit drastisch ins Wort: „Und das Volk redete gegen Gott und Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Damit wir in der Wüste sterben? Denn es gibt kein Brot und kein Wasser, und es ekelt uns vor der elenden Speise“ (Num 21,5) Anders gesagt: ‚Gott meint es gar nicht gut mit uns. Das ganze Unternehmen machte von vornherein keinen Sinn, es ist tödlich. Wir sind einer Illusion auf den Leim gegangen. Und früher war alles besser. Vielleicht ist Gott ja nur eine Konstruktion, die das Leben angeblich leichter macht.‘ Die uralte Chiffre für diesen Zweifel ist die Schlange (hebr. männl. Schlanger!), die schon in Gen 3 auftaucht und auch da Sinnbild für den jedem Menschen innewohnenden Zweifel ist: „Hat Gott wirklich gesagt, dass …?“.
Wer sich im guten, lebensspendenden Bund mit Gott weiß, kann auch solche anderen Bindungen und Stimmen anschauen, die lebensfeindlich sind oder blockieren. Grundsätzlich gilt in der Geistlichen Begleitung, die Hoffnungsstimmen, da wo sie durchleuchten, zu stärken und sie in die Wahrnehmung zu bringen. Doch manchmal muss auch der Ungeist, der eng macht und Leben verhindert, entschieden in den Blick genommen werden, damit ihm der Begleitete ebenso entschieden eine Absage erteilen kann.
Das „Heilmittel“ in der obigen Geschichte ist für Geistliche Begleitung interessant. Nur wer sich die Kupferschlange, die Moses aufhängt, wer diesen Zweifel anschaut, ihn wirklich wahr- und ernstnimmt, kann gerettet werden. Nur wer sich diesem Anblick aussetzt, hat den Weg in das von Gott zugedachte Lebensland vor sich. Wer die tödlichen Mächte kennt und sie als solche erkennt, hat eine Zukunft, da er sich bewusst von ihnen abwenden und den zukunftsträchtigen Kräften zuwenden kann. Die Versuchungen Jesu in der Wüste können auch als eine Begegnung mit den Gegenkräften zur göttlichen Du-bist mein-geliebter Sohn-Stimme gesehen werden, die Jesus stark macht für den Kampf gegen Dämonen.
Zur Geistlichen Begleitung gehört, sich nüchtern und klar den lebensfeindlichen Kräften, die den Lebensmut zerfressen, zu stellen und sie anzuschauen. Nur so ist es möglich, sie in ihrer tödlichen Macht zu entlarven und sich entschieden von ihnen ab- und den lebensverheißenden Stimmen zuzuwenden. „Aber unsere Witterung für Tod und Leben im Leben derer, die wir begleiten, sollten wir auf alle Fälle unermüdlich schulen.“ (P. Mitterstieler SJ)
Im Kampf mit tödlichen Mächten
„Hinzu kommt die gewachsene Überzeugung: Leben und Tod liegen miteinander im ‚Duell‘ um den Menschen, den Gott lebendig, einmalig und unverwechselbar geschaffen hat“ (Mitterstieler). Die Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, zwischen lebensfördernden und todverfangenen Kräften gehört in das Leben jedes Menschen, gerade auch der geistlich lebenden Menschen. Der Mensch ist quasi die Bühne dieses Kampfes und bis zu seinem Lebensende muss er täglich entscheiden, welchen Mächten er sich zuwendet.
Für eine Frau wird ein Bibliodrama-Wochenende zur Lazarus-Geschichte in der österlichen Versöhnungszeit zum Auslöser, Geistliche Begleitung zu suchen. Im Bibliodramaspiel verortet sie sich im Grab und spürt mit Macht weit zurückliegende Bindungen, die ihr Leben bis heute einschnüren. Sie benennt mehrere Lebensbereiche, die „tot“ sind. Im Prozess des Bibliodramas spürt sie aber auch die Kraft des Lebensrufes Jesu „Hierher! Raus!“. Jesus schreit diese Imperative im Innersten erregt und, so empfinde ich es, im wütenden Protest gegen das Sich-Abfinden mit dem Tod. Im Spiel ist die Jesusrolle nicht besetzt, aber die Frau entdeckt diese klare und kompromisslos aus dem Tod herausrufende Stimme in sich selbst. Mehrfach ruft sie sich, unterstützt von starken Armbewegungen, dieses „Raus“ zu. Bei einem Nachgespräch fasst sie den Entschluss, dieser herausfordernden Lebensstimme weiter nachzugehen. Sie sucht sich einen Therapieplatz, möchte aber auch Geistliche Begleitung. Die Gottesbeziehung ist ihr so wichtig, dass sie all das, was sich ihr zeigen wird, Gott vorlegen möchte.
In Geistliche Begleitung kommen manchmal Menschen, die mit einer so großen echten oder vorgestellten Schuld beladen sind, dass weder sie sich noch Gott ihnen – so sind sie sich sicher – diese Schuld jemals vergeben kann. Sie sind Schuldgefühlen ausgesetzt, die sie glauben lassen, sie hätten ihren Bund mit Gott endgültig verwirkt. Der Bund ist gebrochen. Gott ist zu einem verurteilenden Richter geworden, vor dem sie keine Chance mehr haben. „Der Tod, der sich die Maske der Ewigkeit aufsetzt“, nennt das ein Freund von mir. In fast jedem Menschen gibt es Kräfte, die ihn beständig schuldig sprechen: „Selbstanklagen in Form von Schuldgefühlen sind wie das Echo des Menschen auf die zermürbende Anklage, die ihn Tag und Nacht vor seinem Gott schuldig gesprochen sehen will. „Es handelt sich dabei um eine der schlimmsten und subtilsten Ausprägungen des Bösen.“ (Mitterstieler) Solche Selbstverurteilung hat Auswirkung auf alle sozialen Bindungen, die zu sich selbst und die zu anderen bzw. ihrer Umgebung.
In der Bibel wird so eine traumatische Situation beschrieben: Im Kapitel 32 des Buches Exodus wird nach dem Bundesbruch mit dem Goldenen Kalb in einem dramatischen Gespräch durchgespielt, dass Gott den Bund mit seinem Volk aufkündigen und stattdessen mit Mose und seiner Familie einen neuen Bund schließen könnte: „Jetzt lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt. Dich aber will ich zu einem großen Volk machen.“ (Ex 32,10) In dieser Lehrgeschichte wird Mose unter Berufung auf Gottes Bund mit Abraham, Isaak und Israel zum Fürsprecher für das Volk.
Im Wissen, dass Gott gerade mit sehr belasteten und schuldig gewordenen Menschen im Bund sein kann (vgl. Jakob, Mose, Elija) ist es die Aufgabe des Geistlichen Begleiters, aufmerksam für die unzerstörbare Gottesspur des Begleiteten jenseits der Belastungen zu sein und zunächst diese zu stärken. Der Geistliche Begleiter wird zum Fürsprecher dieses Menschen und steht quasi als Person für den Bund Gottes mit dem Verzagten gegen den ständig schuldig sprechenden Ankläger (hebr. = satan) ein. Gemeinsam mit ihm macht er sich auf, um den Weg aus der Schuldfixierung hin zu einem angstfreien Dasein vor Gott, zum unzerstörbar Göttlichen in ihm zu finden. Das geschieht unter anderem dadurch, entschieden von der Selbstfixiertheit wegzuführen und den Blick auf Gottes Wirken im Begleiteten zu richten. „Befasst sein mit sich selbst ist eine Konzentration auf Schwäche. Die Bemühung, einem Menschen zu helfen, über sich hinauszusehen, ist Teil des Aufrufs zur Stärke, was Aufgabe des geistlichen Begleiters ist.“ (Barry/Connoly)
Ein Beispiel: Eine Frau, traditionell katholisch aufgewachsen, hat nach der Geburt von mehrerer Kindern eine Abtreibung vornehmen lassen. Nach der ersten Abtreibung hatte sie vier Jahre Gestalttherapie in Anspruch genommen, aber die Frage nach Gott ist unbeantwortet geblieben. Auch eine Familienaufstellung half nicht. Die Trauer, die sie empfindet, hat sowohl mit Abtreibungen, vor allem aber mit den Folgen zu tun. Ihre Ehe ging auseinander. Beruflich und sozial hat sie große Schwierigkeiten. Dreimal ging sie zur Beichte, fand aber letztlich keinen Trost. Ein halbes Jahr lang geht es vor allem darum, sich auszusprechen und die große Tragik ihrer Situation anzuerkennen. Bei einer Imaginations-Übung stellt sich die Begleitete vor, dass Jesus ihr gegenübersitzt und sie liebevoll und bescheiden ansieht. Zunächst stellt sich große Scham ein. Und doch gibt es eine Hoffnung in ihr, dass sie Bestand hat vor IHM. Sie erzählt, dass sie diese Übung auch zu Hause praktiziert. Der Prozess kennt Hoffnung und Verzweiflung gleichermaßen. Am Ende eines Treffens steht die hilflose Aussage „Wie soll mir Gott denn helfen?“ Langsam wächst das Vertrauen. Sie hat noch nie vorher so ausführlich über diese Lasten im Angesicht Jesu gesprochen. Auch wenn noch nichts „entschieden“ ist, manchmal wird etwas von einer Lösung spürbar. Eine neue, uralte Wahrheit, ihr Bund mit Gott, kommt langsam in den Blick.
Der Bund in der Krise – Gebet
In sehr verfahrenen Situationen, in denen die Verbindung mit Gott abgebrochen und der Begleitete kaum erreichbar scheint, kann das vom Begleiter formulierte Gebet eine Perspektivänderung anbieten. Im direkten Sprechen mit Gott findet der/die Geistliche Begleiter/in vielleicht Worte, die der Begleitete selbst nicht finden kann, weil sie von Leid oder Konflikten zugeschüttet sind. Ich habe öfters erlebt, dass in Gebetsmomenten etwas von der Realität des Bundes mit Gott kurz und signalhaft aufleuchten kann.
Ich habe wahrgenommen, dass sich der Ungeist auch besonders kostbarer und empfindsamer Seelenbereiche im Menschen bemächtigt. Schon mehrfach erzählten Begleitete, dass sie beim Beten in negative Gedanken verfallen, traurig werden, obwohl sie doch gerade die Nähe Gottes suchen. „Der Tod versucht sich in jedem Menschenleben Machtbereiche zu sichern.“ (Mitterstieler). Die Psalmen sind ein beredtes Zeugnis dieses Vorgangs – z.B. Ps 77,2-8:
Ich rufe zu Gott, ich schreie, ich rufe zu Gott, bis er mich hört.
Am Tag meiner Not suche ich den Herrn;
unablässig erhebe ich nachts meine Hände,
meine Seele lässt sich nicht trösten.
Denke ich an Gott, muss ich seufzen;
sinne ich nach, dann will mein Geist verzagen.
Du lässt mich nicht mehr schlafen;
ich bin voll Unruhe und kann nicht reden.
Ich sinne nach über die Tage von einst,
ich will denken an längst vergangene Jahre.
Mein Herz grübelt bei Nacht,
ich sinne nach, es forscht mein Geist.
Wird der Herr mich denn auf ewig verstoßen
und mir niemals mehr gnädig sein?
So paradox es klingt: nur ein Mensch, der im Bund mit seinem Gott steht, auch wenn er ihn nicht mehr wahrnehmen kann, kann seiner abgründigen Trostlosigkeit realistisch, kraftvoll und doch mit einem Rest von Hoffnung Ausdruck geben. „Nur insofern ein Mensch ein gottbezogenes Leben führt, wird das Gefühl der Trennung von Gott als geistliche Trostlosigkeit erfahren. Es ist eine Glaubenserfahrung, weil die Trost-losigkeit im Glauben gründet. Die Trostlosigkeit ist geradezu ein Indiz dafür, dass Glaube, Hoffnung, Liebe noch stark sind. ‚Unter‘ der Schicht von Dunkelheit, Verwirrung und Unruhe ist die gottbezogene Schicht aktiv.“ (P. Köster SJ)
Für den Geistlichen Begleiter kommt es darauf an, zu unterscheiden, ob es sich bei einer tiefen Niedergeschlagenheit um eine geistliche Erfahrung handelt oder um Zustände, die aus Krankheit oder einer familiären Situation herrühren. Bei der oben genannten Frau spürte ich in der Trostlosigkeit eine große Sehnsucht nach Vergebung und den Wunsch, vor Jesus mit ihrer Last da sein zu können.
Geistliche Grundhaltung ist die Überzeugung, dass Gott nicht zulässt, dass Fehler und Bundesbrüche die Verbindung zu ihm zerstören. Kaum fassbaren Ausdruck findet diese Grundhaltung im letzten gesprochenen Satz Jesu nach dem Lukasevangelium: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun (Lk 23,34). Als Geistlichem Begleiter begegnet mir in der begleiteten Person die unzerstörbare, lebensstiftende Bundesgeschichte Gottes mit diesem Menschen.