Auf den ersten Blick überrascht es, dass die besten Klimaforscher auf den Beitrag der Kirchen hoffen. Sie setzen dabei weniger auf moralische Appelle oder politische Einflussnahme, sondern auf die verändernde Kraft einer ökologischen Spiritualität (Papst Franziskus) und einer tiefen Verbundenheit.
Wird es reichen?
Text: Peter Hundertmark – Photo: tama66/pixabay.com
Es wird wahrscheinlich nicht reichen. Der Klimawandel, der Artenschwund und die anderen zentralen ökologischen Kenngrößen laufen so schnell auf Kipppunkte zu, jenseits derer eine sich selbstverstärkende Dynamik einsetzt, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass die internationale Politik über ihre Konferenzen, Abstimmungsprozesse und Verträge schnell genug gegensteuern kann. Auf den ersten Blick effizienter scheinen Nachhaltigkeits-Diktaturen, aber wie alle Diktaturen nur deshalb, weil sie Gewalt anwenden und Grundrechte und Beteiligung vernachlässigen. Das kann niemand wollen. Gibt es eine dritte Möglichkeit? Es wird also wahrscheinlich nicht reichen.
Dabei liegen nach Auskunft der wichtigsten Forschungsinstitute die notwendigen Kenntnisse und Techniken bereit. Finanziell ist es eine große Kraftanstrengung, das Rad herumzureißen, das in Richtung einer ungezähmten Umweltkatastrophe rollt, aber es wäre machbar. Der entscheidende Hebel aber liegt in der Kultur – verstanden als Summe der Überzeugungen und Verhaltensweisen menschlichen Zusammenlebens. Hier stagniert die Entwicklung. Seit dem ersten Bericht für den Club of Rome hat zwar das Bewusstsein für die mögliche Katastrophe Raum gegriffen, aber weder wurde die Bindung der Ökonomie an ein materielles, quantitatives Wachstum aufgegeben, noch gibt es eine geteilte Bereitschaft in den Industriegesellschaften, die Konsumansprüche zurückzuschrauben und die eigene Lebensweise grundlegend solidarisch und nachhaltig umzugestalten.
Der/die Einzelne erlebt sich dabei weitgehend ohnmächtig. Er/sie kann Akzente setzen, die in die richtige Richtung gehen, kann weitgehend auf Fleischkonsum verzichten und überwiegend öffentliche Verkehrsmittel benutzen, aber er/sie kann individuell aus der Grunddynamik nicht aussteigen. Moralische Appelle gehen an der Realität vorbei. Was durch individuelle Umkehr erreicht werden kann, ist richtig und notwendig, aber es wird nicht reichen.
Einzig die Menschheitsfamilie, oder jedenfalls Kollektive mehrerer Milliarden von Menschen, sind angesichts der globalen Kreisläufe der ökologischen Veränderungen in der Lage, angemessene Schritte zu unternehmen. Die Menschheit in ihren maximalen Vernetzungen ist das einzige mögliche moralische Subjekt. Eine Kulturveränderung muss die ganze Erde und alle ihre Bewohner ergreifen. Damit kommen vor allem das Christentum und der Islam als größte menschliche Gemeinschaften jenseits staatlicher Zugehörigkeit als relevante Akteure in den Blick.
Der Islam versteht jenseits seiner praktischen Ausdifferenzierungen alle Muslime/innen als Umma – als eine neue Gemeinschaft, die die Bindungen von Familie, Stamm und Staat überschreitet. Das Christentum sieht, trotz der Realität der Vielzahl von Konfessionen, die Gläubigen als Teil des einen Leibes Christi in der Gemeinschaft der Heiligen, die auch die Synchronizität der Jetztzeit übersteigt. Versuche diese Gemeinschaften politisch zu organisieren, sind jedoch wenigstens so kompliziert und langwierig wie die Abstimmungen den zwischen Staaten.
Nun ist die Einheit des Leibes Christi auch nicht primär eine politische Einheit. Selbst die katholische Kirche, wirkt nur auf den ersten Blick in ihrer Meinungsbildung hinter dem Papst versammelt und durch ihn inhaltlich umfassend vertreten. Der Leib Christi ist zuerst eine theologische Kategorie. Sein Haupt ist deshalb auch nicht der Papst oder der ökumenische Rat der Kirchen, sondern Christus selbst, wie schon der Kolosserbrief in seinem frühen Hymnus besingt: Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. (Kol 1,18) Seine Nervenbahnen sind auch nicht irgendwelche administrativen Abläufe und politischen Prozesse, so notwendig sie für das praktische Zusammenleben sein mögen. Die Steuerung des Leibes Christi kommt in theologischer Sicht ausschließlich dem Heiligen Geist zu.
In der theologischen Abstraktion ist dann vieles ganz leicht. Leidet ein Glied am Leib Christi, so leiden alle Glieder mit, schreibt der Apostel Paulus. Jedem Glied kommt seine spezifische Aufgabe zu. Jede/r wird dafür vom Geist als zentralem Nervensystem des Leibes mit besonderen Gaben ausgestattet. Keine/r ist verzichtbar. Alle sind eine Schicksalsgemeinschaft, eine geteilte Kultur. Und diese eine Gemeinschaft ist in jeder realen Gemeinschaft repräsentiert. Wo auch nur zwei oder drei im Namen Jesu zusammen sind, sind sie die ganze Realität des Leibes Christi im Fragment: Er ist ihr Haupt und mitten unter ihnen.
Würde das, was theologisch so einfach ist, praktisch funktionieren, wäre ein Akteur da, der im Dialog mit anderen globalen Akteuren durchaus in der Lage wäre, die ökologischen Herausforderungen zu bestehen. Hätte, wäre… wenn es Konjunktiv bleibt, wird es nicht reichen.
Für Christ/innen ist die ökologische Bedrohung also ein Impuls zur Umkehr: Umkehr zu einer Realität, die theologisch schon immer behauptet wird. Wie immer wird die Kirche, werden die Kirchen, von außen, von den Rändern, von den ihnen scheinbar fremden Themen evangelisiert. Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Evangelium – gute Nachricht: Gott ist schon immer auf dem Weg, die Welt zu retten. Er ist Mensch geworden und hat sich nach der Auferstehung durch die Sendung des Heiligen Geistes einen kommunitären menschlichen Leib gegeben, mit dem er im Sinne seiner selbstgesetzten Aufgabe agiert.
Die Ausrichtung auf Gott in seiner Sendung für das Heil der Welt, dieser irdischen Welt, ist die erste ökologische Tat der Christ/innen. Sich uneingeschränkt von seinem Geist führen lassen und teilzunehmen an Gottes Aufgabe die direkte Konsequenz. Die protestantische Theologie kennt dafür den „Status Confessionis“ – nur unter diesem Bekenntnis ist der Glaube wirklich christlich. Dass Gott die Welt retten will, ist unhintergehbares christliches Bekenntnis. In der ökologischen Bedrohung hat damit auch die Umkehr zu einer erd- und menschenrettenden Kultur des Zusammenlebens die Würde eines solchen Status Confessionis. Die Christ/innen müssen also werden, was zu sein sie glauben: ein einiger Leib Christi, der gemeinsam leidet und gemeinsam sich freut, der gemeinsam handelt und gemeinsam lebt.
Zwei Glaubenswahrheiten können dahin helfen: Jede konkrete Gemeinschaft von Christ/innen an jedem Ort der Welt ist die Verwirklichung des ganzen Leibes. Jede Gruppe, die sich zum Evangelium vom rettenden Gott bekennt und sich auf den Weg zu einer ökologischen Spiritualität und einer gelebten Kultur der Nachhaltigkeit macht, hat Bedeutung für den ganzen Leib. Jede Gemeinschaft, die miteinander um einen neuen Umgang mit Reichtum und Armut ringt, hat Auswirkungen auf die Kultur der ganzen Kirche. Jede Gemeinde, die aus einer ökologischen Spiritualität heraus handelt, lebt und Gott feiert, macht einen Unterschied.
Und: Für die Vernetzung aber sind alle erdenklichen Kommunikationsmittel einzusetzen, auch und gerade weil die Tiefen-Verbindung über den Heiligen Geist geht. Dieser repräsentiert im dreifaltigen Geschehen Gottes die Dynamik der Transformation. Ihm ist auch die Bewältigung der „großen Transformation“ hin auf eine Kultur der Nachhaltigkeit im gemeinsamen Haus Erde zuzutrauen. Pfingsten ist kein einmaliges, vergangenes Ereignis. Es geht darum, den Geist Gottes auch wirklich steuern zu lassen. Das kann gemeinschaftlich eingeübt werden. Die nötigen spirituellen Verfahren sind zur Hand.
Wohin und wie er jedoch führen will, darüber werden die Christ/innen sorgsam unterscheiden und engagiert streiten müssen. Und damit öffnet sich eine weitere Dimension der Veränderung. Denn im offen ausgetragenen Unterscheiden, im Dialog und auch im Streit wird die Herausforderung der ökologischen Umkehr und einer Kultur der Nachhaltigkeit zusätzlich über alle lokalen Verwirklichungen des Leibes Christi hinweg transportiert.
Wenn es denn gelingt, wird sich ein sich selbst verstärkender Zirkel Raum greifen, denn auch die christliche Kirche wird auf diese Weise sich selbst bewusster, tritt aus sich selbst heraus und entspricht so mehr ihrem Bild von sich selbst. In dieser Ausrichtung auf die große Transformation nämlich ist eindeutig beschreibbar, was der werkzeugliche Charakter des ganzen Leibes Christi heute ist, den die christliche Theologie schon immer als Zeichen für den handelnden und rettenden Gott und als dessen Instrument versteht. Der kommunitäre, sakramentale Leib Christi ist eines der Werkzeuge, die Gott einsetzt, um seinen selbstgesetzten Auftrag der Rettung im globalen Maßstab zum Erfolg zu führen.
Bleiben unendlich viele Fragen über das „Wie“. Aber noch haben wir eine Chance. Der Leib Christi ist eine Chance, denn er verbindet Milliarden Menschen in einem Organismus. Wie im Körper kann keine Zelle alles bewegen, aber jede wird an ihrem Ort gebraucht, damit die große Transformation unserer Lebensweise gelingt. Der Geist ist es, der lebendig macht und das Leben schützt. Ob es vielleicht doch reichen wird?