Einzelpilgertage sind geistliche Begleitung am Wegesrand – konsequent personalisiert und in der Form anschlussfähig an die Bedürfnisse von Menschen, die eng in die spätmodernen Arbeitsprozesse eingespannt sind. Natur und Bewegung bereiten auf die Begegnung mit dem Geheimnis des Lebens vor.

Text: Dorothea Welle – Photo: Dorothea Welle

Einzelpilger-Tage eine Antwort auf die Bedürfnisse heute

In meiner Tätigkeit als Leiterin des Bereichs „Friedensarbeit und Exerzitien“ im Haus Maria Lindenberg/ St. Peter im Schwarzwald greife ich auf die Gegebenheiten der Umgebung zurück: Die einzigartige Landschaft des Hochschwarzwaldes mit ihren Ausblicken, Tälern und Höhen, legt es nahe, Wanderexerzitien und Pilger-Tage  anzubieten.

Zudem begegnen mir in der Arbeit Menschen, die beruflich viel Zeit am Computer verbringen. Die Bewegung kommt zu kurz. Aus eigener Erfahrung weiß ich um das Bedürfnis nach Bewegung, bevorzugt an der frischen Luft. Spirituell Suchende oder Übende entscheiden sich daher gerne für Wanderexerzitien, Pilgertage u.ä., die vielerorts vermehrt angeboten werden.  So werden beide Bedürfnisse, das körperliche wie das seelisch-spirituelle, aufgegriffen.

Die Resonanz ist entsprechend gut. Zugleich höre ich immer wieder insbesondere von hauptamtlich in der Kirche Tätigen, dass die Zeit des Kurses leider nicht passe oder auch, dass das Unterwegssein in einer Gruppe selbst im Schweigen nicht zu der erhofften Ruhe führe.  

Diese Rückmeldungen und Entwicklungen führten dazu, Einzelpilger-Tage anzubieten. Sie werden zu einem hohen Grad selbstbestimmt – sowohl was die konkrete Wegstrecke angeht als auch den inneren Weg. Der/ die einzelne erspürt mehr als in einer Gruppe (wieder) den eigenen Rhythmus und ist in der Begleitung zugleich mitgetragen. 

Nicht zuletzt hat die Ausnahmesituation der Pandemie und der nach sich ziehenden Auswirkungen den Bedarf nach persönlicher Begleitung erhöht. Dies zeigt sich nicht nur in psychologischen Beratungsstellen und Praxen, sondern auch an der Nachfrage nach geistlicher Begleitung.

Fragen nach Zugehörigkeit und Orientierung, nach Sicherheit und Zuversicht werden lauter. Der reiche Schatz biblischer Worte, Themen und Erzählungen sowie der christlichen Mystik erschließt sich im gemeinsamen Hinhören und Fragen immer neu als wegweisend  und aktuell.

Die Metapher des Weges für persönliche, spirituelle Prozesse legt sich bei diesen Angeboten erfahrbar „unter die Füße“ und braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. 

Motivation und Ablauf

Als Motivation, sich für Einzelpilger-Tage anzumelden, werden oft genannt:  Zeit, inne zu halten, den eigenen Standort zu bestimmen oder sich dessen neu zu vergewissern; persönlichen Lebens- und Glaubensthemen und damit Gott Raum zu geben; sich selbst, auch dem eigenen Körper mehr Aufmerksamkeit zu schenken; dem Alltag einen eigenen, nicht nur von Arbeit und Terminen bestimmten Rhythmus zu geben.

Gibt es  Formen von Gebet und Spiritualität, die der zu begleitenden Person vertraut sind und in den Tagen gelebt werden möchten?  Wenn ja, können sie in den Ablauf integriert werden.

Die/ der Pilger:in entscheidet, wie viele Tage sie/ er sich darauf einlassen möchte. Gemeinsam mit der/dem Begleiter:in wird ein Termin (zeitlicher Beginn und Ende der Tage)  vereinbart und mit dem Haus abgestimmt.  Dann wird besprochen, wie die Begleitung konkret aussehen wird: Gibt es tägliche Gespräche? Bei Teilnehmenden, die von Ort zu Ort pilgern, kann dies auch auf andere Weise (per Smartphone) erfolgen, wobei wenigstens eine präsentische Begegnung vereinbart wird.

Im Einzelfall kann entschieden werden, den ersten Tag gemeinsam zu pilgern und so in den Ablauf der Tage einzuführen. Diese Form ermöglicht einen Erstzugang zu Geistlicher Begleitung. Die Erfahrung kann Anstoß sein, im Alltag nach einer längerfristigen Begleitung zu suchen.

Wie sind die Tage strukturiert? Anregungen und Impulse geben ein Gerüst für den Tag, das die/der einzelne eigenverantwortlich umsetzt. Sie werden auf die Person hin ausgerichtet und schriftlich mitgegeben. Elemente eines Einzelpilger-Tages: Morgenmeditation; ein biblischer Impuls mit Fragen zur persönlichen Vertiefung; Mittagsgebet; eine Übung zur Sinneswahrnehmung; geistliche Texte; Tagesabschluss mit dem Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Morgenmeditation, Mittagsgebet und Tagesabschluss sind gleichbleibend.

Es besteht im Haus Maria Lindenberg die Möglichkeit, das Oratorium für persönliche Zeiten und Gebet zu nutzen. In der zugehörigen Wallfahrtskirche besteht täglich die Möglichkeit zur Mitfeier der Eucharistie sowie zur stillen Anbetung.

Adressat*innenkreis und Voraussetzungen

Weshalb sucht jemand das Angebot? Wie bereits unter erwähnt, stoßen Menschen auf die Einzelpilger-Tage, weil sie innerlich und äußerlich in Bewegung kommen möchten. Dabei spielt das Sein in der Natur eine große Rolle.

In der Natur Gott begegnen, ist eine Weise, die im christlichen Kontext in besonderer Weise durch den Heiligen Franziskus (1181-1226) praktiziert wurde und bis heute Beachtung findet. Dennoch wird die Aussage „Ich finde Gott im Wald“ in kirchlichen Kreisen oft nicht in ihrer Bedeutung gewürdigt. Wer staunend dem Flug eines Vogels nachschaut, unter der Krone eines Baumes liegend nach oben schaut, die im Herbst verfallende Dolde betrachtet, ist dem Geheimnis des Lebens, seiner Herkunft und seiner Verheißung auf der Spur. Diesen Erfahrungen zu lauschen und gemeinsam dem Erlebten Worte zu geben,  ist wesentlicher Teil der geistlichen Wegbegleitung. Auch in Psalmen und Gleichnissen finden sich in großem Maße Bilder aus der Natur, die auf Gottes Gegenwart – oder schmerzlich vermisste Abwesenheit – hinweisen.

Einzelpilger-Tage setzen Erfahrungen mit geistlicher Begleitung oder Exerzitien voraus. Da es sich bei den Einzelpilger-Tagen nicht um ein therapeutisches Angebot handelt, können nur Personen teilnehmen, die nicht in einer erkennbar psychischen Krisensituation stehen. Überwiegend nehmen in Pastoral und Seelsorge tätige Menschen diese Form der geistlichen Begleitung wahr. Selbstbestimmt auf dem äußeren und begleitet auf dem inneren Weg erweitern Einzelpilger-Tage das breite Spektrum von geistlichen Tagen und  Exerzitien.

Geistliche Begleitung im Umfeld von kirchlicher Tradition und modernem Coaching

In unserer weltweit vernetzten Gesellschaft steht christliche Lebensführung und Weltdeutung im Kontext einer Vielzahl anderer religiöser und pseudoreligiöser Anschauungen.  Die Suche des Menschen nach einem integralen, sinnerfüllten Leben ist so alt wie die Menschheit. Die Suche verbindet über Generationen, Herkunft, Geschlecht und Alter hinweg, auch wenn Antworten je neu gesucht werden (müssen). Sehr deutlich erleben wir dies in unseren Breiten seit den 70iger Jahren. Überlieferte Antworten werden öffentlich in Frage gestellt bis triumphierend über Bord geworfen. Das Bedürfnis nach „Freiheit von“ bricht sich Bahn.

Auf diese Weise entwurzelt, begeben sich Individuen und Gruppen, Kommunen und Kommunitäten in den Folgejahren und –jahrzehnten auf die Suche nach neuer Verbindlichkeit, nach Riten und geistlichen Führungsgestalten. Reisen und Netzwerke eröffne(te)n international Kontakte zu anderen Kulturen. Das Neue fasziniert – auch wenn die eigene Tradition fast analoge Strukturen aufweist, etwa die Einhaltung bestimmter kultischer oder meditativer Praktiken und Verhaltensweisen, die Rezitation vorgegebener Texte, die unterschiedlich stark ausgeprägte Rolle einer Führungsperson.

Mich machen diese Beobachtungen nachdenklich, weil die Parallelen zur christlichen Tradition so offensichtlich sind. Warum hat diese so sehr an Anziehungskraft verloren? Mit dem Aufdecken des sexuellen und geistlichen Missbrauchs stellt sich rückblickend die Frage, ob dessen jahrzehntelang ungehörte Wirksamkeit nicht schon lange die Glaubenslehre und –praxis innerkirchlich unterhöhlt und so den Bedeutungsverlust des Christlichen mit angestoßen hatte.  

So stellt sich mir die Frage: Was ist mein Zutun oder Lassen, dass Menschen das „gleiche Produkt“ in anderen „Regalen“ suchen? Was ist mein Zutun oder Lassen, dass Menschen zur christlichen Botschaft in ihrer radikalen (an die Wurzel gehenden) Strahlkraft Zugang finden? Die Einzelpilger-Tage mögen ein bescheidener, aber nicht desto notwendiger Schritt sein.

Wüstenmütter und –väter

Ich möchte an dieser Stelle einen mosaiksteinhaften Blick darauf werfen, welche Vor-Bilder, welche Vorerfahrung geistlichen Begleitens in unserer christlichen Tradition den Weg bereitet haben für Geistliche Begleitung und Einzelpilger-Tage.

Laut Michael Plattig[1] geben Wüstenväter und –mütter ein sehr frühes Zeugnis geistlichen Begleitens, das neu an Aktualität gewinnt. Ziel ihres Daseins ist es, Suchende  auf einem Weg der Mystik, hin zur Gottesschau, zur Gottesbegegnung zu begleiten. Gleichermaßen geht es um die „Bewältigung des Lebens in der Auseinandersetzung mit den Emotionen und Bedürfnissen bzw. im Finden des rechten Umgangs mit ihnen.“

Wüstenmütter und –väter  haben die/ den Fragenden in ihrer/ seiner ganz persönlichen Situation im Blick. Sie geben auf eine Frage eine auf die Person abgestimmte Weisung. So finden sich in den Berichten auf die gleiche Frage – einer anderen Person – verschiedene Antworten. Das suchende Individuum ist im Blick und es gilt herauszufinden, wie Gott dem jeweiligen Menschen sich zeigen wird.

Die Antworten sind kurz. Es gibt keine dogmenbehaftete Abhandlungen. Kleine Übungen zielen auf eine veränderte Haltung und Verhaltensweise und haben keinen strafenden Charakter.

Wüstenmütter und –väter  werden tröstend und ermutigend erlebt. Der/ die Begleitete wird angehalten, im eigenen Tempo ihre/ seine Gefühle wahrzunehmen und ihnen zu trauen. So wird sie/ er selbst eine Antwort finden oder wie es Rainer Maria Rilke einmal sagt: in die Antwort hineinleben[2]. Es geht darum, die/den Fragende:n nicht der Traurigkeit zu überlassen – ein Merkmal, das sich später bei Ignatius von Loyola als Kriterium der Unterscheidung wiederfindet.[3]

Geistliche Begleitung versteht sich nicht als ein theologisches Gespräch, sondern als ein Gespräch über selbst Erfahrenes. Wer im „Gestrüpp des eigenen Lebens“ die Botschaft „Fürchte dich nicht!“ vernommen hat, kann sein Vertrauen leichter in den unsichtbaren Gott setzen, den die christliche Tradition in manch unzugängliche Dogmen verpackt hat.

Waldbruder

Auf einen meiner Wanderungen im Elsaß begegnete ich dem „Waldbruder“ in der Nähe von Oderen-Felsac. In einer Kurve vor dem Col liegt an einem Wasserlauf die Chapelle St-Nicolas, datiert auf den Anfang des 19. Jahrhunderts. Auf einer Tafel lese ich, dass ein Eremit hier gelebt hatte, der als „Waldbruder“ bezeichnet wurde. Er war nicht nur mit dem Beten vertraut, sondern auch mit dem Wetter. So war er Passanten und nahen Bewohnern nicht nur ein hilfreicher Gesprächspartner. Wetterkundig läutete er die Glocke auch, um alle Umherziehenden vor Unwetter zu warnen.

Im Kontext dieser Arbeit möchte ich mit diesem Beispiel einen Hinweis geben auf die Vielfalt geistlichen Begleitens am Wegesrand, dessen Wert den heutigen Standards professioneller geistlicher Begleitung vorausgingen und diese auch heute noch ergänzen.

Die fünf Prioritäten bei Franz Jalics SJ – Geistliche Begleitung im Kontext von Exerzitien

Schon während meines Studiums bin ich dem Jesuiten Pater Franz Jalics begegnet. Sein schlichter Weg des Herzensgebets und seine wohlwollend zuhörende Art des Begleitens sind mir bis heute vertraut.  Mehrere Jahre besuchte ich Meditationskurse im von ihm dafür gegründeten Haus Gries. In diesen Wochen entdeckte ich den Zugang zu einer kontemplativen Haltung Gott und dem Leben gegenüber.

Was mich damals beeindruckt und aus heutiger Sicht wohl geprägt hat, war die körperachtsame Art, mit der Franz Jalics uns zu Beginn der Exerzitien empfing. „Bist du zu müde – schlafe dich erst aus.“ Und: „Gehe viel nach draußen. Gehe langsam. Nimm wahr, was du siehst und hörst und kehre immer wieder zu der Wahrnehmung zurück. Die Natur ist deine Lehrmeisterin.“  Sollte es so einfach sein?

Einfach war es in dem Sinne, dass es dazu keine sonderlichen Voraussetzungen braucht.  „Der Weg ist einfach, man muss ihn nur gehen und eine überreiche Gnade kommt dazu“, so schrieb er mir in sein Buch. Im Laufe meines Lebens sind mir seine Worte immer wieder in den Sinn gekommen.

Exerzitien sind kein „Muß“ und „Soll“. In seiner Prioritätenliste stand nach Schlaf und Bewegung bzw. gesunde Ernährung: Gemeinschaft an dritter Stelle. Die gesunde Ernährung war uns damals in den 90iger Jahren schon sicher: beste vegetarische Gartenküche. Und ohne miteinander zu sprechen, waren wir spürbar Teil einer Gemeinschaft. Da gab es die Hausgemeinschaft von fünf sechs Frauen und Männern, die für alles sorgten und uns eine Stunde am Tag in die Hausarbeit mithineinnahmen. Und da war die Kursgruppe. Als wir im Schlussgottesdienst einander ein Segenswort o.ä. mitzugeben eingeladen waren, konnten die Worte, die ich hörte, nicht treffender sein für mich.

Als vierte Priorität sprach Franz Jalics vom Gebet, dem Herzensgebet. Wir können nicht an unserem Sein, Körper- und Menschsein vorbeimeditieren.  Unser Leib ist „Tempel des Heiligen Geistes“, wie es Paulus beschreibt. Darum ist es so wichtig, auf ihn zu achten mit genügend Schlaf, mit Bewegung und guter Ernährung und der Erfahrung, Teil eines Größeren zu sein, zu dem ich sichtbar etwas beitrage.

So steht als letzte Priorität – wenn es dann noch eine Priorität ist – die Arbeit.

Wie bei Exerzitien gilt auch für die Einzelpilger-Tage, dass die Alltags- und Erwerbsarbeit ruhen. Dass die Realität des Alltags, in der sie oft an erster Stelle steht, umgekehrt gelebt wird. Ausreichend Schlaf und Bewegung bedingen den Zugang zur Stille in der Meditation – auf dem Kissen wie auf den Füßen.

Waldbaden und Naturcoach – weltliches Pendant und Herausforderung

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass auf dem weiten Markt von Spiritualität Konzepte und Angebote deutlich zugenommen und diese an Zulauf gewonnen haben. Die Entwicklung zeigt, wie sehr Menschen auf Sinn, Bewusstheit und körperlich-seelisches Wohlbefinden ausgerichtet sind. Sie zeigt auch, eine ungewohnt hohe Zahl an jungen Menschen und Menschen mittleren Alters, die in kirchlich-christlichen Gemeinschaften darauf keine Antwort finden – oder finden möchten.

Meditative Spaziergänge in Naturparks eifern um Teilnehmende mit Workshops zum Waldbaden. „Findet der Mensch Heilung im Wald, so wächst in ihm das Bedürfnis, zur Heilung des Waldes beizutragen. Gelebter Naturschutz entsteht so aus einer selbstverständlichen, inneren Haltung heraus und nicht als restriktive Vorgabe.“ So ist auf der Internetseite des Bundesverbandes Waldbaden e.V. zu lesen.[4] Klingt einladend, kompakt – und zugleich vertraut.

„Ein Naturcoach würde seinen „Coachee“ beispielsweise mit einer Frage in die Natur schicken und ihn dort die Antwort suchen lassen, weil er weiß, dass fernab von Geschäftigkeit und Alltagsroutine die Kreativität zurückkommt und der Coachee die Dinge in der Natur selektiv wahrnehmen könnte, die ihm für seine Antwort fehlen….

In jedem Fall begleiten Naturcoachs Menschen in der Natur und geben Hilfe zur Selbsthilfe, Antworten zu erhalten, Energie zu tanken und Entscheidungen zu treffen. …

Der Naturcoach nutzt die Natur als Rahmen und Dritten im Bunde um seinem Coachee bei dessen Fragestellungen und Problemen zu helfen.“[5]

Im Mosaik der Suche nach Sinn: Was sind die Pfunde Geistlicher Begleitung?

Grundlage geistlichen Begleitens ist, dass kein Thema ausgeschlossen ist. Auch nicht die Frage nach Gott. Im Gegenteil: sie wird zur Leitfrage geistlicher Begleitgespräche:  Wie möchte mir Gott in meinem Erleb(t)en begegnen?

Um dies zu erfahren, geht geistliche Begleitung stets einher mit einer im Alltag gelebten Form des Meditierens und des Betens. Diese zu finden oder weiter zu entwickeln, ist Grundbaustein geistlichen Begleitens.

In der Meditation oder der Kontemplation „hört“ der Mensch auf Gott; in Gebet und konkretem Tun gibt er Antwort. Dieser Dialog ist wichtig, damit eine kontinuierliche Beziehung zwischen Mensch und Gott wachsen kann. Sie wird ihm helfen, in seinem konkreten Alltag das Wirken Gottes wahrzunehmen, die Tiefendimension der Ereignisse zu erfassen.

Geistliche Begleitung wird die/ den Begleiteten ermutigen, zu sich selbst und zu der eigenen Lebensgeschichte zu stehen. Sie wird ihm das Vertrauen geben, dass Gott ihn liebt, wie er ist.

Geistliche Begleitung wird in konkreten Situationen und in grundsätzlichen Entscheidungen helfen, „die Geister zu unterscheiden“, darauf zu achten, welche Tendenzen zu einem „Mehr“ an Leben führen und welche destruktiv sind und somit Leben zerstören.

Geistliche Begleitung wird der/dem Begleiteten helfen, die eigene Berufung zu finden, diese an der Seite Jesu für die Mitmenschen zu entfalten an dem ihr/ ihm von Gott angezeigten Ort. So führt geistliche Begleitung über die Annahme dessen, was ist, hinaus in Schritte des Wachsens, Veränderns und Vertiefens.

„Wo ich gehe, Du“ – Aus der Erfahrung der Gehmeditation zu Einzelpilgertagen

Das Gehen ist eine der frühen persönlichen Errungenschaften im Leben des Menschen, ähnlich dem Sitzen. Unermüdlich probt ein Kind den „Auf-Stand“ im Wechselspiel von Scheitern und Gelingen, von Gehalten-Sein und Selbststand. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie es sich als Kleinkind anfühlte, „auf die Beine zu kommen“. Aber es hat sich meinem Körper eingeprägt. Es muss ein tiefes Wissen sein. Ich brauche nicht darüber nachdenken, wie Aufstehen und Gehen geht. Mein Körper führt mich. Er trägt diesen Geist des immer wieder neuen Anfangens in jeder Zelle. Es ist ein Geist, der um mehr Möglichkeiten weiß als mein Verstand und mein Wille – nicht nur beim Gehen.

Mit den Jahren werde ich zunehmend dankbar für die Erfahrung der ersten Schritte in meiner Kindheit. So lade ich auch bei Wanderexerzitien und Einzelpilgertagen dazu ein, am Abend den Füßen wie in einem Ritual ein „Danke“ einzumassieren.

Geh-Meditation: „…sich morgens früh auf den Weg machen, als wäre noch nie ein Mensch auch nur einen Schritt gegangen“[6]

Das Gehen(lernen) erweitert meinen Horizont in zweifacher Hinsicht: Das Blickfeld der Augen wird weiter, wenn ich aufstehe. Die Füße bringen mich mit allem, was zu mir gehört, in Bewegung. Ob auf einem kurzen Wegstück oder über weite Etappen – der Weg liegt mir zu Füßen. Ihn gehen, ist Einladung und Aufgabe an mich.

Wenn ich heute Gehmeditationen anleite, dann sind solche Gedanken damit verbunden. In der Hinführung zur Gehmeditation fragen wir uns:  Wie bin ich mit meinen Füßen verbunden? Benutze ich sie im Alltag oft nur wie eine Maschine, um morgens aufzustehen und lasse sie ohne Wertschätzung stundenlang in untypischen Posen verharren oder unermüdlich funktionieren? Sehe ich in Anzeichen von Schmerzen und Verschleiß eine Einladung zur Liebkosung meiner Füße oder einen „Qualitätsverlust“?

Wie bewusst setze ich meine Schritte? Mit welcher Intention setze ich einen Fuß vor den andern? Wir sprechen im übertragenen Sinne vom „ökologischen Fußabdruck“. Es gibt aber auch den „liebevollen, zärtlichen Fußabdruck“, der den Gang der Welt beeinflusst.

Eins werden mit der Bewegung

Wie bei der Gehmeditation ist auch bei der Einführung zu den Einzelpilgertagen das Tempo des Gehens ein Thema. Es geht nicht darum, eine möglichst große Strecke zu bewältigen. Wir legen den Schwerpunkt auf ein verlangsamtes, bewusstes Gehen. Zugleich bleiben wir in Bewegung. Leben ist Bewegung. Wir üben uns ein, in Bewegung zu bleiben und wach dabei zu sein.

In solchem Gehen im Freien werden unsere Sinne vielfältig von Bildern genährt, ohne dass wir an ihnen haften bleiben. Das aufbrechende Morgenlicht über den Bergen, Tautropfen an vertrockneten Gräsern,  eine Schnecke, die den Weg kreuzt, Kräuter, die zwischen Steinen wachsen –  Werden und Vergehen, die Grund-Bewegung des Lebens, begegnet uns bei jedem Schritt. Sie führt uns zu der in uns wohnenden Sehnsucht nach Sehen und Gesehen werden. Nach „Ich bin“ und zugleich nach einem Verbundensein über uns hinaus – der Wechselbewegung zwischen Innen und Außen, zwischen Mensch und Gott.

 „Wo ich gehe du“die von Martin Buber ins Wort gebrachte Erfahrung kann Leit- und Leuchtspur für Einzelpilger:innen werden. In den Begleitgesprächen werden ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen wertgeschätzt, wird  – für manche ungeübt – eigene Erfahrung ins Wort gebracht und auf dem Grund der Heilsgeschichtliche Gottes mit den Menschen als eigene Gottes-Erfahrung in der Bandbreite von Zweifeln und Glauben erkannt.

Reflexion und Ausblick

In der Reflexion der Einzelpilger-Tage habe ich Bezugspunkte zu christlichen und außerchristlichen Weisen des Begleitens aufgezeigt. In einer Gesellschaft, die sich als große Suchbewegung deuten lässt, stimmt es hoffnungsfroh, dass Menschen auf der Suche nach Sinn und Bedeutung einander begleiten.

Zugleich habe ich zum Ausdruck gebracht, dass geistliche Begleitung auf christlicher Basis in unserer Zeit aufgefordert ist, auf dem Markt der Coaching-Szene selbst-bewusst einen Platz einzunehmen. Den zitierten „reichen Schatz“ der jüdisch-christlichen Kultur gilt es kirchlicherseits selbst neu zu entdecken und deren Unverfügbarkeit im Austausch mit anderen weltanschaulichen Bewegungen und Traditionen erfahrungsbezogen auf Augenhöhe einzubringen.

Mit der vorliegenden Arbeit „‘Wo ich gehe, Du‘ – Einzelpilger-Tage und Geistliche Begleitung“ bin ich mir bewusst, nur einen Teilaspekt geistlichen Begleitens zu reflektieren. Hierbei handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Form geistlichen Begleitens, da sie sich zeitlich von Begleitungen über einen längeren Zeitraum unterscheidet.

Ich sehe sie jedoch im Kontext der Erfahrungen der Einzelpilgerin/ des Einzelpilgers, für die sich in solchen Tagen ein bereits beschrittener oder neu zu beginnender Weg vertieft bzw. eröffnet. Es war mir ein Anliegen, in diesem Zusammenhang den Hintergrund der Einzelpilger-Tage näher auszuführen.

So wünsche ich allen, die in dieser Weise suchend sind, dass sie ehrliche und beherzte geistliche Begleiter:innen finden.


[1] Michael Plattig „Geistliche Begleitung im alten Mönchtum“. In: Hundertmark, Peter u. Mückstein, Walter (Hrsg.): Handbuch geistliche Begleitung. Brennpunkt Leben – Brennpunkt Gott 2012. S. 33 ff

[2] vgl. u.a. https://aporia.vision/rainer-maria-rilke-die-fragen-selbst-lieb-zu-haben/

[3] vgl. Stefan Kiechle: Ignatius von Loyola – Leben-Werk-Spiritualität 2010. S. 110

[4] https://www.bundesverband-waldbaden.de/

[5] http://www.naturcoach-ausbildung.de/)

[6] Verse aus dem Gedicht: „Bleib dem Leben auf der Spur“. Der vollständige Text findet sich am Ende der Arbeit

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