Kirche geht gemeinsam. Aber wie geht Kirche gemeinsam? Wie kommen kirchliche Gremien und Gruppen gemeinsam zu guten, tragfähigen Entscheidungen? Hier ein Erfahrungsbericht über eine bewährte geistliche Vorgehensweise, die persönliches Beten, Austausch in der Gruppe und Methoden der Organisationsentwicklung verbindet.

 

Der Herzschlag in der Gruppe

Beitrag von Martina Patenge – Photo: congerdesign, pixabay.com

 

Keiner ist eine Insel. Wir Menschen sind soziale Wesen. Selbst wer allein lebt, gehört zu  Gruppen und Gemeinschaften. Wunderbar, wenn solche Gruppen und Gemeinschaften gut „funktionieren“.  Nicht selten aber hakt es im Miteinander, dadurch geht wertvolle Energie verloren. Dann hilft Beratung und Coaching. Solche Unterstützung suchen längst auch Kirchengemeinden und andere kirchlich verortete Gemeinschaften – und das nicht nur, wenn es hakt. Sondern auch dann, wenn sie wünschen, dass ihre Gruppen oder Gremien lebendiger und erfolgreicher werden sollen als bisher. Meistens geht es darum, Teilhabe aller an den Entscheidungen und Zielen zu fördern – statt Lösungen, die von oben diktiert werden.

In Deutschland nicht mehr ganz neu, aber noch weithin unbekannt ist ESDAC – Exercises spirituels pour un discernement apostolique en commun –  („Geistliche Übungen für gemeinsame Unterscheidung der Geister“) –  eine von belgischen Jesuiten entwickelte und erprobte Methode für Gruppen und Gremien vor allem im kirchlichen Bereich.

„Der Geist Gottes ist in allen und allem zu finden“. Oder, anders ausgedrückt: Gott arbeitet für den Menschen und für seine Welt. Dieses tiefe Wissen ist die wichtigste Grundlage von ESDAC. Der Geist Gottes lebt in Gruppen, Gremien, in den einzelnen Menschen, in den Ideen und Fragen, durchaus auch in notwendigen Auseinandersetzungen und Konflikten. Deshalb gehen Gruppen und Gremien, die nach ESDAC arbeiten, nicht ausschließlich denkerisch vor, sondern machen sich gemeinsam auf die Suche nach dem Geist Gottes. Sowohl Methoden als auch der Stil des Miteinanders bilden immer diese Grundüberzeugung ab: Der Geist Gottes ist in allen und allem!

Dazu gehören zuallererst Gesprächsregeln, die sich an der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg orientieren. Gebetszeiten, Stille und Teilen der Erlebnisse aus dem Gebet bilden die inhaltliche Methode, mit der die Gruppe sich Schritt für Schritt ihren Fragen stellt.

Jeder Schritt beginnt mit einer längeren persönlichen Gebetszeit, in denen jedes Mitglied der Gruppe  in Stille vorbereitete biblische Impulse zu dem entsprechenden Thema betrachten und darüber mit Gott ins Gespräch kommen soll. Ist eine Gruppe neu oder sucht sie einen Neuanfang, so erkundet zunächst jede und jeder betend die eigene Rolle und das eigene Sein vor Gott: Wer bin ich? Was habe ich mit Gott schon erlebt? Was hast Du Gott mit mir vor? Welchen Auftrag gibst Du mir? Nach der Einzel-Gebetszeit geht es in die Kleingruppe. Hier werden die Erfahrungen der Gebetszeit miteinander in Form eines Gesprächs-Rituals geteilt. Auch in der Kleingruppe sind Schweigen und gemeinsames Gebet wichtiger Bestandteil. Erst danach werden die Erkenntnisse im Plenum zusammengetragen – wieder in Form eines Rituals, das jedem einzelnen Platz gibt.

 

Beispiel

Das kann dann z.B. so aussehen: Die Gruppe, an der ich teilnehmen durfte, startete mit der Frage nach den tiefsten Sehnsüchten und Wünschen. Von Jesu Sehnsucht („Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen“ Lk 12,49) bis zu Martin Luther Kings legendärem Spruch „Ich habe einen Traum“ reichten die Impulse des Gebetsblattes. In der Stille sollten wir uns vorstellen, „wie es wäre, wenn meine tiefsten Sehnsüchte und geheimsten Träume wirklich würden“. Die meisten Teilnehmenden waren zunächst unschlüssig. Was soll mir da schon einfallen? Daraus wird doch nie was! Aber – daraus wurde eben doch ganz viel. Denn wir sollten die Gebetszeit eröffnen mit der Bitte an Gott um die Gnade, „mir meiner Träume, Erwartungen und verrücktesten Sehnsüchte bewusst zu werden und mich zu trauen, meiner Kleingruppe davon zu erzählen“. Dieses Gebet war der Schlüssel. Dazu kamen Hilfsfragen wie „Welcher Wunsch brennt in meinem Herzen“. Und jede und jeder tauchte ein in Erinnerungen, Träume, Bilder, Wünsche und Ideen…. Diese Erfahrungen fanden ins Gespräch mit Gott, wurden als lebendig, freudig, schmerzlich, fröhlich, energetisierend…wahrgenommen. In der Kleingruppe zeigte sich, wie sehr die anfängliche Angst – was soll mir denn da schon einfallen? – jeden und jede beschäftigt hatte. Und wie diese Angst verlorengegangen ist mit dem Gebet um die Gnade. Wir teilten unsere Wünsche und Sehnsüchte miteinander, legten sie sozusagen in die Raummitte wie einen kostbaren Schatz. Und für alle weiteren Tage der gemeinsamen Arbeit war da immer dieser Anfang einer spürbaren Gnade.

 

Schritt für Schritt geht es – immer zuerst betend in der Stille –  den Fragen der Gruppe entlang: Wer bin ich in der Gruppe – wozu sind wir zusammen – was ist unser Ziel und wie wollen wir es erreichen? Jeder Schritt wird nach Gottes Geist befragt. Es geht nur langsam voran,  – und verhindert dadurch, dass Entscheidungen zu früh oder unbedacht getroffen werden oder Konflikte übergangen werden. Denn jeder einzelne Schritt zwingt zu einer genauen Unterscheidung: Ist das, was wir jetzt gerade beraten, wirklich beseelt vom Geist Gottes? Oder ist es, salopp ausgedrückt, eher unser eigener Vogel? Eine Gruppe, die diesen langsamen Weg  betend und miteinander die Erfahrungen teilend geht, wird erfahren, wie jeder einzelne und die gesamte Gruppe samt ihren Zielen und Aufgaben immer mehr vom Geist Gottes verwandelt wird.

ESDAC ist eine spannende und überaus belebende Methode, auch nur für einzelne Schritte einer Gruppe. Längere Prozesse bedürfen fachkundiger Moderatoren, die der Gruppe helfen, selbst ihre Erfahrungen mit dem Wirken des Geistes Gottes zu machen. Die Teilnehmenden spüren, dass sie nicht allein sind in ihrer Suche. Sie entdecken, dass Gott für sie und mit ihnen arbeitet. Sie erleben:  In unserer Gruppe entwickelt sich eine große Energie und wunderbare Lebenskraft. Es ist Gottes Kraft, die Mut macht. Arbeitsweise und Ziele werden dadurch deutlich geprägt. Denn Gottes Kraft wirkt!

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