Einsame Entscheidungen fallen manchmal rasch, sind aber oft der Komplexität der Herausforderung nicht gewachsen. Mit der „Unterscheidung der Geister in Gemeinschaft“ liegt eine Vorgehensweise vor, die Sachargumente, inneres Empfinden bzw. Gewissensleitung und die christliche Offenbarung in ein komplexes Beratungsgeschehen integriert.


Anleitung für eine komplexe geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft

Text: Peter Hundertmark – Photo: mysticartdesign/pixabay.com

Wenn Gruppen die Vorgehensweisen der Unterscheidung der Geister für Ihre Entscheidungsfindung nutzen wollen, so entsteht immer ein komplexer Beratungsprozess, der nicht abgekürzt werden kann, ohne dass das Ergebnis verfälscht wird. Dabei sind immer die drei Dimensionen eines geistlichen Prozesses – die äußeren Ereignisse, die inneren Regungen und die Offenbarung – einzubeziehen. Nur diese Komplexität sorgt dafür, dass Entscheidungen weder aus der eigenen Gefühligkeit, noch aus vermuteten Sachzwängen heraus, noch durch scheinschlüssig-eindeutige Deduktion aus alten Texten getroffen werden.

Zwischen diesen drei Dimensionen des geistlichen Spannungsfeldes bestehen je paarige Beziehungen und durch diese Interaktionen entstehen weitere Elemente, die in die Unterscheidung einbezogen werden müssen. Darüber hinaus haben alle Elemente einen Gegenwarts- und einen Zukunftsaspekt. Für eine gut gegründete Entscheidung ist auch der Zukunftsaspekt unbedingt zu erwägen.

Dimensionen komplexer geistlicher Unterscheidung

Zu berücksichtigen sind also auf der Seite der äußeren Ereignisse Fragen nach den Fakten, den einsetzbaren Ressourcen, nach sachinternen Erfolgskriterien und nach den Rhythmen der Evaluierung. Durch die Interaktion des Geistes Gottes mit den äußeren Ereignissen können diese jedoch über ihren Sachgehalt hinaus auch einen symbolischen Gehalt als Zeichen der Zeit transportieren. Mit den Zeichen der Zeit gibt Gott den Glaubenden Hinweise, die in ihrem handlungsleitenden Beitrag zu entschlüsseln sind. Darüber hinaus rechnet die geistliche Tradition von den biblischen Texten an immer auch mit der Möglichkeit der Fremdprophetie. Damit ist gemeint, dass Menschen oder Kommunikationszusammenhänge, die nicht im Innenbereich von Kirche angesiedelt sind, durch das Wirken des Heiligen Geistes, dem Gottesvolk wichtige Informationen und Anregungen geben.

Bezüglich der inneren Ereignisse ist die Selbstbeobachtung der Einzelnen einzubeziehen und die Wahrnehmung des dialogischen Geschehens während des Austausches in der Gruppe, die gemeinsam die Geister zu unterscheiden sucht. Zwischen den Bewegungen in den Einzelnen und den Bewegungen in der Gruppe entsteht zudem ein dynamischer Kreislauf der weitere Indizien für die Unterscheidung bereitstellt. Dabei ist auf die Phänomene geistlichen Trostes bzw. geistlicher Trostlosigkeit als wichtige Indikatoren mit denen der Geist Gottes sich in den inneren Verarbeitungsmechanismen der Menschen erspürbar macht, zu achten. Das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola gibt hier wichtige Hinweise und hilft die Fragen angemessen zu formulieren. Auch die gestuften Kriterien für die Unterscheidung: das Mehr Freiheit, Leben und Mündigkeit, das Mehr Glaube, Hoffnung und Liebe, das Mehr Entsprechung zur Verheißung über dem eigenen Leben… sind unbedingt einzubeziehen.

Zu bedenken ist ferner, ob die Ambivalenzen und die Diversität des äußeren Handlungsfeldes in der Gruppe, die gemeinsam zu unterscheiden sucht, angemessen abgebildet sind. Je umfassender die Diversität einer unterscheidenden Gruppe, die sich dennoch gemeinsam auf den Willen Gottes ausrichtet ist, desto wahrscheinlicher entsteht ein verlässliches Ergebnis des geistlichen Unterscheidungsprozesses. Gruppendynamik, bestehende Voreinstellungen und Interessen und Machtgefälle können den Unterscheidungsprozess beeinträchtigen. Fragen, die auf eine mehr Transparenz und Indifferenz zielen, sind deshalb unerlässlich.

Die dritte Dimension der Offenbarung in Schrift, Tradition und Gebetserfahrung ist ergebnisoffen einzubeziehen. Jeder Versuch, eine bestimmte Meinung zum Beispiel durch Auswahl geeigneter Bibelstellen („Steinbruch-Verfahren“) zu legitimieren, verfälscht das Ergebnis der Unterscheidung. Durch das aktive Einbeziehen der Offenbarung kann es sowohl vorkommen, dass die praktischen Überlegungen heute gestützt, wie dass sie kritisiert werden. Gott überrascht. Dabei ist zu beachten, dass die Offenbarung in sich sehr plural ist. Für eine gute Entscheidung sind verschiedene Traditionsstränge und (biblische) Theologien zu erwägen und in ihrer Bedeutung für die konkrete Fragestellung zu diskutieren.

Die geistlichen Zukunftsaspekte der Entscheidung können wiederum unter drei Dimensionen einbezogen werden: Vision und Verheißung, Nachfolge und Geheimnisse des Lebens Jesu, Reich Gottes und Verkündigung des Evangeliums als gute Botschaft für Menschen und Schöpfung. Diese Zukunftsperspektiven gehen über die reine Abschätzung der faktischen Entwicklung und möglicher Erfolgsaussichten hinaus und kontrastieren diese mit den spirituellen Fragen der Einbindung in die Zukunft, die Gott für sein Volk heraufführen will und in die Dynamik von Leben, Tod und Auferstehung, die sich den Selbstoptimierungsbestrebungen von Kirche kritisch widersetzt.

Vorgehensweise

Die unten aufgeführten Fragen können hilfreich sein, um die ganze Komplexität im Blick zu behalten. Sie können natürlich nicht alle gleichzeitig bedacht werden. Eine mehrfache Abfolge von Zeiten für Nachfragen und Sachanalyse, von Reflexionsrunden, Zeiten der Stille, geistlichem Austausch, Hören auf die Heilige Schrift… hat sich bewährt. Es macht dabei unbedingt Sinn, mit den Fragen nach den äußeren Ereignissen, den Rahmenbedingungen und dem Sachgehalt zu beginnen.

Gute Erfahrungen gibt es zudem mit einer Vorgehensweise, die die verschiedenen Reflexionsrunden auf zeitlich gestreckte Intervalle verteilt, so dass zwischen den aufeinander folgenden Angängen zur Unterscheidung der Geister je eine Zwischenzeit liegt. Dadurch bekommen Unterscheidung und Entscheidung oft mehr Gründung in der Realität und alltäglichen Praxis.

Ein solcher Prozess der geistlichen Unterscheidung in Gemeinschaft erfordert es, mehrere Rollen in der Gruppe zu benennen und mit entsprechender Positionsmacht auszustatten. Es braucht den/die Sachkundige/n, der/die idealtypisch auch wesentlich mit die Verantwortung für die Umsetzung trägt. Geistliche Prozesse erfordern immer eine/n Begleiter/in, der/die ausschließlich auf die geistliche Dynamik achtet, der Gruppendynamik entgegen wirkt und die ergebnisoffene Suche auch wirklich offen hält, bis sich ein starker Konsens eingestellt hat. Bewährt hat es sich zudem, einer Person die Rolle des Skeptikers/der Skeptikerin anzuvertrauen – der klassische „advocatus diaboli“ – und sie zu beauftragen, alle Zwischenschritte, Eindrücke und Ergebnisse noch einmal kritisch zu befragen.

Hilfreiche Fragen

Welche Aspekte unserer Idee/unseres Projektes liegen in unserer Macht, entsprechen unserem Auftrag, sind von uns und unserer Entscheidung abhängig? Welche Aspekte sind auch wichtig, aber außerhalb unserer Reichweite oder Zuständigkeit?

Welche Fakten sind/sind vielleicht noch nicht berücksichtigt? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Welche Ergebnisse sind realistisch zu erwarten? Welche Schwierigkeiten/Widerstände könnten das Projekt beeinflussen? Mit welchen Kriterien können wir die Effektivität einschätzen? Wann wird der Verlauf evaluiert und in welcher Weise?

Welche unterschiedlichen Zugänge/Prägungen/kulturelle Hintergründe… sind in unserer Gruppe präsent und wie wirken sie in die Beurteilung der Idee/des Projekts hinein? Welche Zugänge… aus der Komplexität unseres Umfeldes/der Zielgruppe fehlen hier unter uns? Wie könnten hier fehlende Perspektiven in die Beurteilung eingebracht werden?

Mit welchen Vorerfahrungen, bewährten Ansichten, Optionen und Interessen steigen wir in die Unterscheidung ein? Wie könnten sie unsere geistliche Unterscheidung durch „ungeordnete Anhänglichkeiten“ behindern? Welche Formen von Macht sind unter uns präsent und welche Rolle spielen sie in unseren Überlegungen? Wir können wir ihren Einfluss auf unser geistliches Unterscheiden begrenzen und transparent machen?

Welche inneren Regungen – Empfindungen, Bilder, Träume, Hoffnungen, Widerstände… – entstehen sich jetzt in uns, wenn wir von der Idee/dem Projekt hören? Wenn wir uns in der Vorstellung an das Ende des Projektes versetzen, welche Regungen stellen sich dann ein?

Was geschieht, wenn wir jetzt unsere Wahrnehmungen innerer Regungen miteinander teilen? Welche Dynamik entsteht im Austausch? Wie können wir den schließenden Tendenzen der Gruppendynamik entgegen wirken und die unterscheidende Suche nach dem Willen Gottes offen und schwebend halten?

Was zeigt sich, wenn wir folgende Kriterien aus der Unterscheidung der Geister auf die Idee/das Projekt und ihren möglichen Verlauf anwenden: Ein Mehr Leben, Freiheit und Mündigkeit; ein Mehr Glaube, Hoffnung und Liebe; ein Mehr Nähe zu Gott, den Menschen und zu mir selbst?

Kommen alle Betroffenen durch unsere Idee/unser Projekt potentiell in diese Dynamik auf ein solches geistliches „Mehr“, oder gibt es Betroffene, in denen wahrscheinlich eine gegenteilige Dynamik entsteht? Ist unser Projekt also für alle – am Anfang, in der Mitte und am Ende wirklich gut und damit eher unter der Führung des Geistes Gottes zu vermuten?

Bei welchen Vorstellungen/Alternativen spüren wir mehr inneren Trost? Wo könnten wir eher auf der Linie des Willens Gottes und seiner wohlwollenden Zuwendung zu den Menschen und der Schöpfung liegen? Wie könnte Gott schon am Werk sein und wie passt unsere Idee/unser Projekt zu dem, was wir da erspüren?

Welche Impulse aus der Heiligen Schrift und der Tradition geben uns Hinweise für unsere Idee/unser Projekt – indem sie es stützen, verändern oder kritisieren?

Welche Entwicklungen/Fakten unserer Umwelt könnten „Zeichen der Zeit“ Gottes für uns und unsere Idee/unser Projekt sein? Wie können wir diese Zeichen deuten und welche Hinweise geben sie uns dann?

Welche Stimmen „von außen“– aus unserem Umfeld/aus der Zielgruppe… – könnten uns wichtige Hinweise geben? Welche „Fremdprophetien“, die unsere Idee/unser Projekt betreffen hören wir?

Wie passt die Idee/das Projekt zu unserer Vision/unserer Sendung/der Verheißung Gottes über unserem Leben? Gibt es Hinweise, dass dieses Projekt etwas von der Zukunft Gottes für sein Volk anklingen lässt und befördert?

Entsteht potentiell ein klar beschreibbares „Mehr“ für unser Umfeld, für das Gottesvolk, für die Menschheitsfamilie, für das gemeinsame Haus Erde? Passen mögliche Ergebnisse unseres Planens und Handelns zur Reich Gottes Verkündigung Jesu?

Wie lässt sich unsere Idee/unser Projekt als Ausdruck der unserer Jüngerschaft ( = Schüler/innen Jesu sein) deuten? Was geschieht, wenn wir Jesus unsere Idee/unser Projekt betend vorstellen und um seine Meinung fragen?

Passen die Ausrichtung und der mögliche Verlauf unserer Idee/unseres Projektes zur Nachfolge Jesu und zur Dynamik von Leben, Tod und Auferstehung? Haben Brüche, Scheitern und die Solidarität mit den Armen und Leidenden den unserem Glauben angemessenen Platz in unserem Planen?

Wie schätzen wir das Potential ein, dass unsere Idee/unser Projekt einen starken Konsens in gemeinsamer Ausrichtung auf ein Mehr Reich Gottes befördert? Wie ist dieser Konsens in den großen Glaubens-Konsens des Gottesvolkes eingebunden?

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