Das Christentum hat aus der Lebensgeschichte Jesu ein “Bild” entwickelt, das exemplarisch für eine menschliche Extremerfahrung steht: Der Karsamstag – der Tag des Abwesenheit Gottes, der Tag der existentiellen Sackgasse, zugleich der Tag der Rettung alles Gestorbenen und der Hoffnung.
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Aus – Ende – Vorbei
Karsamstagserfahrungen in der Geistlichen Begleitung
Text: Birgit Maag – Photo: Birgit Maag
1. Karsamstagserfahrungen auf dem Glaubensweg
Der Karsamstag als einziger liturgiefreier Tag im Kirchenjahr hat mich immer in seinen Bann gezogen. Das Wort verstummt, die Geste friert ein, Stille ringsum. Diese Inszenierung ist nicht nur ein heiliges Spiel des Kultes unseres Glaubens, sondern lässt sich als Phänomen in der Erfahrung von Menschen finden. Kann über ein solches Phänomen überhaupt gedacht werden? Kann, was sich als Nicht-Bewegung, Tod, Leere zeigt, sinnvoll in Worte gefasst werden? Von solcher Widersprüchlichkeit geht mein Bestreben aus, das Phänomen des Karsamstags in einem längeren Text zu reflektieren. Durch die Lektüre des Buches „In der Kraft des Geistes. Beiträge von Franz Meures zur Spiritualität der Exerzitien“ (Kramp, Igna/Schulenburg, Johanna. Echter Verlag 2021) ist mir das Thema wieder bewusst geworden. Die Texte II.7 „O du mein Volk“ und II.8 „Er ist nicht hier“ sind wie ein Rahmen zu meinem Thema.
Auf dem Lebensweg werden Menschen immer wieder mit belastenden Erfahrungen und verschiedenen Krisen konfrontiert, die sich nach dem Thema, dem Grad der lebensverändernden Wirkung oder auch nach dem zeitlichen Prozess der Veränderung unterscheiden. So kann es sich um ein berufliches Scheitern, den Verlust des Arbeitsplatzes, um das Scheitern einer Beziehung durch Verlassenwerden, Trennung oder Scheidung, um die lebensverändernden Folgen eines Unfalls oder einer schweren Krankheit, um Verlust von geliebten Menschen, eine Naturkatasrophe, eine Flucht, große materielle Verluste oder einen gewaltsamen Angriff auf die eigene Person handeln. Es kann nur Teilbereiche des Lebens betreffen oder eine Veränderung in allen Lebensbereichen bringen. Der Prozess der Veränderung kann schleichend verlaufen oder auch plötzlich und unerwartet eintreten. Auch ist zu beachten, ob die Veränderung selbstbestimmt eingeleitet wurde oder von außen durch unglückliche Umstände eingetreten ist oder fremdbestimmt aufgezwungen wurde.
Solche Lebenskrisen können auch häufig Glaubenskrisen auslösen, so dass mit dem Wegbrechen äußerer Sicherheiten und menschlicher Beziehungen, das Vertrauen auf einen sorgenden Gott und der Glaube an das Gute und die Liebe wegbrechen. Diese sind hier nicht auf krankhafte Entwicklungen wie schwere Depressionen, Psychosen, Traumafolgestörungen zurückzuführen, können aber von ähnlichen Symptomatiken begleitet sein. Abzugrenzen ist dies von Glaubenskrisen, die nicht augenscheinlich mit Lebenskrisen verbunden sind. Sie können über Zweifel und Erkalten der Gottbeziehung bis hin zu einer „dunklen Nacht“.
Der von mir gebrauchte Begriff „Karsamstagserfahrung“ lässt sich nicht scharf abgrenzen, meint jedoch nicht jegliche Art von Lebens- und Glaubenskrise. Ich möchte damit auf jene existentiellen Krisen schauen, die tatsächlich an den Rand der Existenz führen. Gravierende Veränderungen im Leben und in den Beziehungen, die alle Teilbereiche des Lebens und Glaubens erfassen, und denen der Betroffene hilflos ausgeliefert ist. Das sind Situationen, in denen nichts mehr geht, in denen vorherige Erfahrungen, eigene Fähigkeiten, die persönliche Reife, der Charakter, ja selbst eine positive Lebenseinstellung nichts mehr nützen. Darüber hinaus scheint viel an sozialer Unterstützung durch Mitmenschen, Gruppen und Netzwerken wegzubrechen. Es sind Situationen, zu denen der innere Aufschrei passt: „Aus, Ende, alles vorbei!“ Ein letzter Ausdruck vor dem endgültigen Verstummen.
Wenn ich in meine eigene Biographie zurückschaue, finde ich mindestens einmal so etwas wie eine Karsamstagserfahrung. Diese Grunderfahrung kann ich am besten umschreiben mit einem heftigen Schnitt, einer Erfahrung von Sprachlosigkeit, Leere, Unwirklichkeit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit und existentieller Angst, gefolgt von einem Warten oder einer Art von Raum- und Zeitlosigkeit. Dazu kommt ein In-Frage-Stellen vieler vorheriger Denkmuster, von Beziehungen, Erwartungen und insgesamt der Schau auf die Welt (Weltanschauung). Auch die Vorstellung von mir selbst wird erschüttert, ich bin verwirrt, ent-täuscht, Lebensleistung und -ziele werden in Frage gestellt. Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl werden geschwächt. Misstrauen gegenüber als vertraut empfundenen Menschen und Gruppen macht sich breit. Und dann noch diese Erfahrung, dass die Gottesbeziehung nicht mehr greifbar ist. Die frühere Selbstverständlichkeit des Rufes, der von Gott aufgetragene Lebensweg bricht weg und wird grundsätzlich angezweifelt. Diese Beschreibung ist sehr subjektiv. Der Karsamstag, ein Thema, das mich schon lange begleitet im Blick auf existenzielle Krisen von Mitmenschen, wurde so zu einer eigenen Erfahrung.
Wenn für mich als Glaubende und Gerufene die Person Jesu Christi der Dreh- und Angelpunkt ist, wenn Leben, Tod und Auferstehung Jesu nicht nur historische Ereignisse sind, sondern auch für mich existentielle Bedeutung haben, so gilt das wohl auch für den Tag, der zwischen Tod und Auferstehung liegt. Zeigt sich mir hier ein Blick auf den gescheiterten und begrabenen Jesus? Offenbart sich hier Gott durch meine Wirklichkeit?
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2. Der Karsamstag
Biblisches Zeugnis
Wenn ich hier über „den Karsamstag“ spreche, meine ich nicht einen festgeschriebenen Tag, sondern die Zwischenzeit vom Tod Jesu bis zu seiner Auferstehung. Liest man die letzten Kapitel der Evangelien, bleibt man immer wieder etwas verwirrt zurück. Es gibt zwar Zeitangaben, doch sie stimmen nicht mit unserem heutigen Zeitverständnis überein. Die Ansage, dass Jesus nach drei Tagen auferstehe, scheint nicht so ganz aufzugehen. Zwischen Tod und Auferstehung liegen nur zwei Nächte und ein Tag, ein Schabbat. Die biblische, antike Zählung rechnet den Ausgangstag und den Zieltag mit ein. Es geht also bei den drei Tagen nicht um 72 Stunden, sondern um den Tod und die Grablegung am Rüsttag, um die Ruhe am Sabbat und um die Auferstehung am ersten Tag der Woche. Die drei Tage – Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag – gehören unmittelbar zusammen.
Alle vier Evangelien berichten von der Zwischenzeit zwischen dem Tod Jesu und seiner Auferstehung (Mt 27,57-66; Mk 15,42-47; Lk 23,50-56; Joh 19,38-42). Die Texte der Bibel legen Wert darauf, zu erzählen, dass Jesus wirklich gestorben ist, dass er an einem bekannten Ort ins Grab gelegt wird und dass die religiös notwendigen Rituale eingehalten werden. Die aufeinanderfolgenden Handlungen am Rüsttag werden von allen vier Texten aufgezählt: sie nehmen den Leichnam vom Kreuz ab – hüllen ihn in ein Leinentuch – legen ihn in ein neues Grab – und wälzen den Stein davor. Nur einige Orts- und Personenangaben werden hinzugefügt. Alles geschieht nach dem Gesetz. Die Jünger und die Frauen, die Jesus folgen, halten die vom Gebot vorgeschriebene Sabbatruhe ein und tun nichts, was am Sabbat verboten wäre. Theologische Überlegungen oder persönliche Befindlichkeiten fehlen. Sonst gibt es nichts zu sagen.
Die Ankündigung dieser Zeitspanne durch Jesus im Matthäus-Evangelium (Mt 12,40) verweist auf das Zeichen des Propheten Jona, der drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war. Paulus bezeugt in 1 Korinther 15,3f: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift.“ Dabei beruft er sich auf die Prophetenstelle Hosea 6,2: „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf.“
Für die Evangelisten und frühen Christen ist der Abstieg Christi in die Unterwelt eine selbstverständliche, zum menschlichen Sterben gehörende Tatsache gewesen, welche keiner besonderen Erwähnung bedurft hat. Nach der jüdischen Todes- und Jenseitsvorstellung gelangt die Seele eines Menschen nach dem Tod in die Scheol, während sein Körper im Grab verbleibt. Die Unterwelt (griechisch – Hades; lateinisch – inferna bzw. ad inferos; später im Deutschen – Hölle) meint allgemein das Totenreich, den Warteort der Verstorbenen.
Durch ein reges, schon in apostolischen Zeiten erwachtes Interesse am Schicksal der vor der Zeit Jesu Gestorbenen, haben sich christliche Schriftsteller veranlasst gefühlt, das Wirken Christi im Hades mit dem Bedürfnis nach Heilsgewissheit für die Toten in Zusammenhang zu bringen. In den schriftlichen Überlieferungen sind im Wesentlichen zwei Varianten der Tätigkeit Jesu in der Unterwelt zu finden. Während in einigen Schilderungen den Hadesbewohnern nur das Heil verkündet wird, befreit Christus sie in anderen Erzählungen durch einen Sieg über die Unterweltsmächte.[1]
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Hinabgestiegen in das Reich des Todes –
Das Zeugnis des Symbolum und der apokryphen Schriften
Weitaus populärer und in der Folgezeit auch bestimmend für die Vorstellungen vom Descensus Christi waren Schilderungen, in denen Christus die Erlösung bringt, indem er die personifizierten Gestalten Hades, Thanatos und Satan gewaltsam niederringt und die Verstorbenen – allen voran Adam – aus der Unterwelt herausführt. So geben liturgische Quellen, Hymnenliteratur und vor allem apokryphe Texte und dann die Synodalbeschlüsse ein reichhaltiges Zeugnis für die Verbreitung dieser Vorstellung im frühen Christentum.
In apogryphen Schriften wird die Zeit nach der Kreuzigung, der Abstieg Jesu in die Unterwelt zum Teil sehr phantasievoll geschildert. Diese Texte bieten eine erweiterte Perspektive auf die Ereignisse des Karsamstags und vertiefen das Verständnis der theologischen und spirituellen Bedeutung dieses Tages. Am ausführlichsten findet sich der Gedanke in dem aus dem vierten Jahrhundert stammenden „Evangelium nach Nikodemus“ (auch bekannt als “Acta Pilati”). Dieses apokryphe Evangelium, das von der Kirche nicht offiziell anerkannt wurde, enthält eine ausführliche Beschreibung des Abstiegs Christi in die Unterwelt (Descensus Christi ad Inferos) in Form von Dialogen.[2]
Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die belegen, dass der Abstieg Christi in den Hades zum allgemeinen Glaubensgut der frühen Kirche gehört hat. Die Formulierung „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ wurde im Laufe des 4. Jhd. in das Apostolische Glaubensbekenntnis aufgenommen. (Synoden von Sirmium 359 und Aquileia 381). Der Theologe Rufinus von Aquilea schrieb im späten 4. Jhd. einen Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, in dem er die Bedeutung und die Aufnahme der Formulierung „descensus ad inferos“ erklärte. Er betrachtete diesen Abstieg als einen wichtigen Teil der christlichen Lehre von der Erlösung. Unter anderem ging es dabei um die Frage, ob Jesus wirklich tot war (Irrlehrer behaupteten, er sei nicht wirklich gestorben) und um die Heilsgewissheit für die Verstorbenen.
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Die Gestalt und Bedeutung des Karsamstags in der Liturgie von West- und Ostkirche
Der Tag zwischen der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu ist als ein Tag der Stille und des Wartens auch in den liturgischen Kalender übernommen worden. In den westlichen Kirchen wird er meist „Heiliger Samstag“ benannt, im Deutschen „Karsamstag“ (vom althochdeutschen kara = Klage, Kummer, Trauer). Neben der Stille, dem Warten, dem Nichtstun rückt der emotionale Aspekt des Trauerns um Jesus Christus in den Vordergrund. Am Karsamstag findet keine Messe statt. Die Kirchen bleiben still und leer, der Altar ist abgedeckt, ohne Schmuck und Kerzen. Dennoch soll der Karsamstag ein Tag des Gebetes sein. Es entstehen die Trauermetten, die stille Wache am Grab (das von Künstlern plastisch dargestellt wird) oder Formen des persönlichen Gebets zur Vorbereitung auf die Feier der Auferstehung Jesu Christi am Ostersonntag. Stille und Gebet prägen auch noch den Beginn der Osternacht, in der – mit dem Entzünden des Osterfeuers und der Osterkerze – Christus als das Licht der Welt gefeiert wird, dass die Dunkelheit des Todes besiegt.
Im Brauchtum und den Traditionen verschiedener christlicher Kulturkreise nahm die Festvorbereitung wie das Färben von Ostereiern, das Zubereiten spezieller Speisen und das Einüben einer feierlichen, ausladenden Osterliturgie einen immer größeren Raum ein. Das führte dazu, dass im allgemeinen Bewusstsein der Karsamstag als Tag der Stille und des Wartens sich eher in sein Gegenteil gewandelt hat und zu einem Tag zwischen zwei Feiertagen mit viel Arbeit, ja Stress geworden ist. Der biblisch vorrangige Gedanke an den Sabbat ist abhanden gekommen. Es ist wohl auch der „horror vacui“, die Angst vor der Leere, die sich bemüht, diesen ausgesparten Tag mit vielen Aktivitäten zu füllen.
In der Ostkirche sind die frühchristlichen und mittelalterlichen Gedanken des „Abstiegs in das Reich des Todes“ bis heute in der Liturgie des Karsamstags und der Osternacht erhalten geblieben. Anders als im Westen wurde die feste Formulierung jedoch nicht in das Glaubensbekenntnis (Nicäno-Konstantinopolitanisches Symbolum) aufgenommen. Seit Klemens von Alexandrien (um 200 n. Chr.) spekuliert die ostkirchliche Theologie über die „Zeit” zwischen Jesu Kreuzestod am Karfreitag und seiner Auferstehung am Ostermorgen. Anknüpfend an 1 Petrus 3,18-20 preist sie das Wirken Christi im Hades. Ephraim der Syrer 306–373 n. Chr. dichtet:
„Lob sei dir, der du hinabgestiegen und eingetaucht bist, um Adam zu suchen.
Du hast ihn aus den Tiefen des Hades herausgezogen und nach Eden geführt.“
Und in der byzantinischen Osternachtliturgie heißt es:
„Heute ruft der Hades und stöhnt:
Besser wäre mir gewesen, ich hätte den Sohn der Maria nicht aufgenommen.
Denn da er zu mir gekommen ist, hat er meine Herrschaft vernichtet
und die ehernen Tore zertrümmert;
die Seelen, die ich einst besaß, hat er, Gott, auferweckt.”
Auch in den Schreibvorschriften der Auferstehungsikone ist der Erlösungskampf lebendig geblieben. Christus kommt nach seinem Kreuzestod in den Hades, zertritt die Tore der Unterwelt und zieht Adam, der die gesamte unerlöste Menschheit symbolisiert, aus dem Tod zum Leben. Jesu Tod besiegt den Tod und befreit die Toten aus ihrem Schattendasein zum wahren, ewigen Leben.
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Zeitgenössische Theologie
Die Vorstellung des Abstiegs in die Unterwelt hat die Theologie und Spiritualität des Westens bis ins 16. Jahrhundert beeinflusst, die Ikonographie der Ostkirche mit ihren Anastasis-Ikonen bis heute. Es gilt ihre theologische und symbolische Bedeutung zu verstehen und für die Spiritualität fruchtbar zu machen. „Bloß weil das Weltbild veraltet ist, sind nicht auch die Botschaften veraltet.“ (T. Söding)
Zeitgenössische Theologen verzichten bei dem Satz aus dem Glaubensbekenntnis auf komplizierte Spekulationen und Allegorien. Als Grundaussage bleibt zunächst: Jesus ist wirklich gestorben. Der Abstieg Christi in das Reich des Todes als ein zentraler Bestandteil der christlichen Heilslehre möchte aufzeigen, dass Jesus nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten gestorben ist, um alle zu erlösen. Dieser Akt unterstreicht die Allmacht Christi über Leben und Tod, damit ist die Tür zur Erlösung für die gesamte Menschheit geöffnet. Es ist ein Zeichen der Hoffnung und Erlösung für alle Menschen, unabhängig von Zeit und Ort. Symbolisch steht der Abstieg für die Überwindung von Dunkelheit und Tod durch das Licht, das Leben und die Liebe Christi. Die Erzählung liefert eine Erklärung für die Hoffnung auf die Überwindung nicht nur des Todes (Hades), sondern auch des Bösen und der sinnlosen Ungerechtigkeit (Satan). Nur wenn Tod und Unrecht überwunden, d.h. beendet werden, ist das Erlösungswerk vollendet.
Im 20. Jhd. haben sich Theologen aller Konfessionen in der Konfrontation mit Ansätzen der Existenzphilosophie und der erschütternden Weltereignisse neu mit dem Tod, der Einsamkeit und der Verlorenheit des Menschen auseinandergesetzt. Zwei Theologen sind dabei bedeutsam: Hans Urs von Balthasar hat ein ganzes Werk zum Karsamstag geschrieben, das zu rezipieren diese Arbeit sprengen würde. Für ihn ist Jesu wirkliches Totsein – d.h. der Verlust eines jeden Kontakts mit Gott und den Mitmenschen – ein Akt seiner lebendigsten Liebe. Auch Joseph Ratzinger legt in seiner Vorlesungsreihe „Einführung ins Christentum“ (1968) eine eigene Theologie des Karsamstags vor. Kein Artikel aus dem Glaubensbekenntnis stehe unserem heutigen Bewusstsein so fern wie dieser: „Abgestiegen zu der Hölle“[3]. Das ist für ihn jedoch ein Grund, sich besonders damit zu beschäftigen. Seine Überlegungen führt er ein mit der Frage, ob „dieser Glaubensartikel, dem im Ablauf des Kirchenjahres der Karsamstag liturgisch zugeordnet ist, uns heute ganz besonders nahe steht, in ganz besonderem Maß die Erfahrung unseres Jahrhunderts ist? Am Karfreitag bleibt immerhin der Blick auf den Gekreuzigten. Karsamstag aber ist der Tag des ‚Todes Gottes‘, der Tag, der die unerhörte Erfahrung unserer Zeit ausdrückt und vorwegnimmt, dass Gott einfach abwesend ist, dass das Grab ihn deckt, dass er nicht mehr aufwacht, nicht mehr spricht, sodass man nicht einmal mehr ihn zu bestreiten braucht, sondern ihn einfach übergehen kann. ‚Gott ist tot und wir haben ihn getötet‘. Dieses Wort Nietzsches gehört sprachlich der Tradition der christlichen Passionsfrömmigkeit zu; es drückt den Gehalt des Karsamstags aus, das ‚Abgestiegen zu der Hölle‘.“[4] … „‘Abgestiegen zu den Toten‘: wie sehr ist das die Wahrheit unserer Stunde, der Abstieg Gottes in das Verstummen, in das dunkle Schweigen des Abwesenden hinein.“[5]
Ratzinger findet anhand weiterer Bibelstellen neue Zusammenhänge: Zeigt die Eliaserzählung (3 Kg 18,27) nicht eine Analogie auf, wie wir heute vergeblich nach unserem Gott schreien. Kein Rufen scheint Gott aufwecken zu können. Oder die Erzählung von Mk 4,35-41, in welcher der Herr inmitten des Seesturms schläft, sowie die Emmausgeschichte (Lk 24,13-35). „Die verstörten Jünger reden vom Tod ihrer Hoffnung.“ … „Aber während sie so vom Tod ihrer Hoffnung sprechen und Gott nicht mehr zu sehen vermögen, merken sie nicht, dass eben diese Hoffnung lebendig in ihrer Mitte steht.“[6] Weiter wird die Frage nach dem Wesen des Todes vertieft. Tod ist Einsamkeit. In weiten Teilen des Alten Testament wird das Sterben verstanden als Trennung vom Strom des wahren Lebens, als Verlust der Mitmenschen, aber auch als Verlust Gottes und seiner Güte (vgl. Psalm 88; Psalm 6,6; Jesaja 38,18; Kohelet 9,10; Ijob 16,13 etc.). Jene Einsamkeit, in die keine Liebe mehr vordringen kann, ist die Hölle. Daher, so Ratzinger, kennt das Alte Testament nur ein Wort für Totenreich und Hölle: Scheol. Erst durch Jesu Tod tritt eine neue Situation ein: „Wo uns keine Stimme mehr erreichen kann, da ist er. Damit ist die Hölle überwunden, oder genauer: der Tod, der vordem die Hölle war, ist nicht mehr.“[7] Durch Christus sind Tod und Hölle nicht mehr identisch. Im Tod ist jetzt nicht einsame Trostlosigkeit, sondern Christus zu finden – und mit ihm das Leben und die Liebe in Fülle. Nur wenn jemand sich selbst freiwillig dieser Liebe verschlösse, kann ihm der Tod wieder zur trostlosen Hölle werden, zum „zweiten Tod“ (Apk 20,14). So hat die Stelle aus dem Hohelied „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hl 8,6) auch in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung.
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3. Das Phänomen des Karsamstags
Schon länger habe ich mir die Frage gestellt, wie sich der Karsamstag aus spiritueller Sicht, d.h. von der religiösen Erfahrung her beschreiben ließe. Was sind die wesentlichen Bestandteile des „Phänomens Karsamstag“? Bei meinen Überlegungen habe ich – den Anleitungen des hl. Ignatius folgend – nicht nur von der Außensicht her, sondern auch durch das Hineinversetzen in die Person Jesu und seiner Begleiter versucht, die verschiedenen Aspekte zu erfassen. Dabei sind mir mehrere gegensätzliche Erfahrungen aufgefallen, die unvereinbar erscheinen und so Verwirrung zurücklassen.
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Ende und Dazwischen
Der Tod Jesu markiert ein Ende. Nicht nur das physische Ende des Lebens eines Menschen (er atmet nicht mehr), sondern auch das Ende einer Botschaft, einer Idee, einer Vision, einer Hoffnung. All die trostreichen Aussagen von einer Überwindung der Ungerechtigkeit, der Armut, des Streits und die Idee eines neuen Lebens, des angebrochenen Himmelreiches haben Vertrauen erweckt, die Zeichen und Wunder hatten Jesu Botschaft beglaubigt. Er war authentisch, er war selbst davon überzeugt. Seine Jünger hatten dafür alles stehen und liegen lassen und sind ihm nachgefolgt, Frauen wie Männer. Und dann das: Obwohl Jesus nur Gutes tat und wollte und keines Verbrechens schuldig war, wurde er aufgrund von Verleumdungen und Intrigen wie ein Verbrecher hingerichtet. Ein verheißungsvoller Weg wurde gewaltsam abgebrochen, ein junger Mensch aus dem Leben gerissen. Völlig sinnlos. Das hat man davon! Ende, aus, alles vorbei: das Leben, der Traum vom Guten, einfach alles. Es ist die Erfahrung von völligem Scheitern und Zerbrechen, ja sogar von Zerstörung. Es bleibt nur ein Trümmerfeld. (Ez 37,1-14)
Nicht nur für Jesus selbst ist es aus, er ist abgeschnitten von allem Lebendigen, ja selbst von Gott („Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34 nach Ps 22,2). Nun merkt er es ja nicht mehr, er ist tot! Doch was ist mit seinen Begleitern? Die leben weiter und müssen mit dem Scheitern leben und mit dem Misstrauen sich selbst gegenüber, dass sie sich in Jesus getäuscht haben. Diesem Erleben des Scheiterns ist nach dem Karfreitag ein ganzer Tag gewidmet. Ein Tag, an dem nichts mehr geht, an dem aber auch der Verlust so akut und schmerzlich ist, dass es einem die Sprache verschlägt. Die Kraft reicht gerade noch, den Menschen, die Hoffnung zu begraben. Die Endgültigkeit steht da wie eine weiße Nebelwand, die den Blick nach vorne verwehrt. Es ist definitiv. Einen Rückwärtsgang, einen zweiten Versuch gibt es nicht. Es ist die Erfahrung des „Nichts“, der Leere, der Vergeblichkeit. Selbst die Gefühle scheinen eingefroren, „das Blut erstarrt in den Adern“, wenn die Angst vor dem Nichts hochkommt. Im Nachhinein lässt sich diese Karsamstagserfahrung vom Ende und vom existentiellen Scheitern vielleicht beschreiben, in der Situation selbst fehlen die Worte.
Die zweite Sicht auf den Karsamstag hat das Durchspüren und Erfahren des Endes fast ganz in den Schatten gestellt. Durch die unerwartete Wendung des Geschehens in der Auferstehung, werden die Stunden der Grablegung zu einem Dazwischen, das wie ein kurzes Interludium vergessen wird; nur die Hauptthemen bleiben im Gedächtnis. Da alle vier Evangelium dem Dazwischen einen ausführlichen Abschnitt widmen, scheint diese Zeit doch wesentlich zur guten Botschaft zu gehören. Das Dazwischen kann jedoch erst im Nachhinein so bezeichnet werden. Erst die Erfahrung von Ostern macht es möglich, diese Stunden des Nichts und der Verzweiflung – die zunächst unendlich erscheinen, von hinten her zu betrachten und sie als begrenzt wahrzunehmen. Nur der endgültige Sprung in eine neue Realität, die unerwartet, ganz anders und unvorhersagbar ist, lässt von einem Dazwischen sprechen. Nicht als Vertröstung, sondern als Realität, als echte Überwindung, als neue Schöpfung. Die Beteiligten können nicht gleich wahr-nehmen, dass der Zustand des Endes, das Nichts vorbei ist, dass es nur ein Dazwischen war. Es braucht seine Zeit, bis die tatsächliche Veränderung gespürt und angenommen wird. Dies zeigen auch die Ostergeschichten. In der prophetischen Rede Jesu – danach in der christlichen Auslegung des Osterereignisses erinnert – wird die Jona-Erzählung angeführt. Matthäus 12,40 lässt Jesus voraussagen: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des großen Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.“ Somit wird die Grabesruhe Jesu als eine Zwischenzeit begrenzt, nach der die Geschichte erst so richtig beginnt.
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Oben und unten
In der Betrachtung der Passionsgeschichte bis zur Auferstehung hin wird das Oben und Unten deutlich inszeniert. Die Auferstehung als der klare Höhepunkt, der den Blick nach oben zieht, wo der Auferstandene über der Erde triumphiert. Zuvor der Abstieg über den Verrat, die Verurteilung als Verbrecher bis hin zur Passion. Er endet mit dem schmählichen Tod am Kreuz.[8] Danach erfolgt die Grablegung. Es ist kein Erdgrab, wie wir es heute kennen, sondern das Felsengrab eines reichen Mannes. Der Leichnam wird in eine Felsenhöhle gelegt und ein Stein wird davor gerollt. In der Überlieferung wird die Grabesruhe mit der griechischen Vorstellung der Unterwelt in Verbindung gebracht, eines dunklen Reiches, das von Finsternis und Tod beherrscht wird und für die Lebenden unzugänglich ist. Was in der Bibel als einfache Grablegung beschrieben wird, entwickelt sich durch den Einfluss verschiedener Kulturen und philosophisch-theologischer Überlegungen einen Gegenpol zur real erlebbaren Welt an der Oberfläche. Es wird ein Unten etabliert, etwas Unsichtbares, das unter der Oberfläche liegt und normalerweise unzugänglich ist. Keiner ist je von den Toten zurückgekommen. Die Empfindung der Kälte und Dunkelheit des Grabes wird zu einem weiten Raum ausgestaltet, der tief unten angesiedelt ist; ein Abgrund des Todes, der so tief ist, dass wir es gar nicht erfassen können. Nur Jesus kann da hinabsteigen. Man könnte statt oben und unten auch offensichtlich/wahrnehmbar und verborgen/geheimnisvoll sagen oder mit der psychoanalytischen Begrifflichkeit bewusst und unbewusst. Alles beschreibt die Erfahrung, dass es hier etwas gibt, was für jeden augenscheinlich ist und zugleich gibt es etwas Verborgenes, das nicht wahrgenommen werden, wohl aber vorgestellt werden kann.[9]
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Ruhe und Kampf
Die Atem-Losigkeit des Todes und die Abgeschlossenheit und Finsternis des Grabes rufen eine Assoziation unheimlicher Ruhe hervor. Es geschieht nichts mehr. Dies ist ein wesentlicher Teil des Empfindens in der Karsamstagserfahrung. Alles steht still, Veränderung ist nicht mehr möglich. Es bleibt nur noch der natürliche Zerfall. Das positive Bild der Ruhe (Schabbat) soll auch noch in den Blick genommen werden, das schon in den letzten Worten Jesu am Kreuz (Lk 23,46 und Joh 19,30)[10] zum Ausdruck kommt. Ruhe als Aufhören der Mühsal, als Zulassen der Erschöpfung, als Ausruhen und Entspannen, als völliges Loslassen, alles ist vollbracht.
Zugleich ist da ein Bild des Kampfes, der Auseinandersetzung. In Bildern und Erzählungen wird Christus gezeigt als einer, der aktiv ist und der durch sein Wirken im Reich der Toten etwas existentiell verändert. Völlige Machtlosigkeit in Koexistenz mit entscheidender Wirkmächtigkeit ist nicht nur schwer zu denken, sondern auch für unser Gefühl verwirrend. Ist das vielleicht eine menschliche Erfahrung wie diese: Wenn alles zur Ruhe kommt, kann sich doch im Verborgenen etwas bewegen und verändern, kann eine existentielle Veränderung eintreten? Gibt es verborgene Kräfte, die wieder zum Leben führen?
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Der Stein ist davorgewälzt
Welcher Erfahrung entspricht das Bild des davorgewälzten Steines? Ist es die Erfahrung einer ganz bewussten Absicht eines Täters? Da will jemand unverrückbar einen Schlusspunkt setzen. Es könnte jemand noch die Leiche entwenden, jemand könnte den Toten für sich reklamieren. Nein, der Stein ist endgültig davor. Niemand mehr soll den Toten berühren oder salben. Aus den Augen, aus dem Sinn, Vergessen ist die beste Medizin.
Das mit dem Stein verschlossene Grab ist auch ein Bild für die totale Einsamkeit. Von außen ist der ins Grab gelegte Mensch nicht mehr zugänglich, der Zugang ist abgeschnitten. Soziale Bindungen sind nicht mehr möglich, die Lebensader ist überrollt und nicht mehr durchlässig. Die Erfahrung des Endes eines geliebten Menschen, die Erfahrung des Scheiterns eines Lebensentwurfs kann sich tonnnenschwer anfühlen, wie eine Mauer. Es ist vergeblich, da etwas verschieben zu wollen, die eigenen Kräfte versagen. Erst eine ganz neue Wirklichkeit kann den schweren Stein wegwälzen. Ratzinger beschreibt eindringlich den tiefsten, existentiellen Kern der Passion Jesu, der mit der Karsamstagserfahrung am deutlichsten wird: „… nicht irgendein physischer Schmerz, sondern die radikale Einsamkeit, die vollständige Verlassenheit. Darin kommt aber schließlich einfach der Abgrund der Einsamkeit des Menschen überhaupt zum Vorschein, des Menschen, der im Innersten allein ist. Diese Einsamkeit, die zwar meist vielfältig überdeckt, aber doch die wahre Situation des Menschen ist, bedeutet zugleich den tiefsten Widerspruch zum Wesen des Menschen, der nicht allein sein kann, sondern das Mitsein braucht. Deshalb ist die Einsamkeit die Region der Angst, die in der Ausgesetztheit des Wesens gründet, das sein muss und doch in das ihm Unmögliche ausgestoßen ist.“[11]
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Gott ist nicht mehr da
Diese erschreckende Formulierung kann auch eine spirituelle Erfahrung ausdrücken. Die Erzählung sagt, dass Gott tot ist, aber kann ich das an mich heranlassen? In einer eigenen Karsamstagserfahrung kann es sich ausdrücken als tiefes Misstrauen Gott gegenüber, als plötzliches Fehlen der vertrauten Gottesbeziehung, als Wegbrechen des Gottesbildes eines schützenden und liebenden Vaters. Das Schweigen Gottes kann konkret erfahren werden. Das Beten bleibt leer und mühsam, begleitende Gefühle kommen abhanden, da gibt es keine Resonanz. Zweifel, Misstrauen und Gleichgültigkeit nehmen überhand. Dies kann so weit gehen, dass die Welt für mich auch ohne Gott einen Sinn hat. Er ist einfach weg und wird auch nicht mehr gebraucht.
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4. Geistliche Begleitung der Karsamstagserfahrung
Der Karsamstag in den Geistlichen Übungen des Ignatius v. Loyola
Ignatius bietet in seinen Geistlichen Übungen einen Weg an, wie ein von der Botschaft Jesu angerührter Mensch sein Leben mehr und mehr auf Gott ausrichten kann. Neben dem bewussten Blick ins Innere, auf die eigenen Regungen und der Wahr-Nehmung äußerer Ereignisse geht es in seiner Anleitung auch um den Blick auf die Offenbarung Gottes und hier im Besonderen auf die in Jesus Christus inkarnierte Liebe Gottes. Jesus immer besser kennen zu lernen, schließt alle Ereignisse seines Lebens ein, vom Geheimnis der Menschwerdung bis zur Verherrlichung. Besonders die Passion soll in kleinen Schritten in der dritten und Anfang der vierten Woche[12] der Exerzitien Bild für Bild vorgestellt und meditiert werden, was auch immer den Bezug zum eigenen Leben mit einschließt. Dabei kann ich verschiedene Perspektiven der Betrachtung einnehmen, sozusagen mit den Augen aller beteiligten Personen auf das Geschehen schauen und es in mir wirken lassen. Diese selbständige Beschäftigung mit den Schrifttexten, das innerliche Verspüren und Schmecken bietet Ignatius auch mit kurzen Worten für den Karsamstag an.[13] Das Tot-Sein und Begraben-Sein soll nachempfunden werden. Je weiter die Passion fortschreitet, desto mehr soll der Übende vom Anschauen und Erwägen zum selbst Empfinden und Leiden übergehen (Nr. 195). Die Betrachtung bekommt eine neue Qualität: Der Betende schaut nicht mehr nur von außen und ist bei Jesus in seinem Leden und den anderen Personen, sondern er ist Mit-Leidender, er leidet mit Christus und wie Christus an der Verwirrung, dem Zerbrechen, der Verlassenheit. Er identifiziert sich so mit Jesus, dass schließlich Jesus in ihm leidet. (gemäß Gal 2,20). Ignatius räumt aber ein, dass nicht alle im Exerzitienprozess bis dahin geführt werden.
Für den persönlichen Glaubensweg kann Ignatius mit seiner Anleitung in zweifacher Weise hilfreich sein. In den Exerzitien kann durch die Beschäftigung mit dem Leiden und Tod Jesu im Betenden eine Ahnung erweckt werden, was die Folgen des Rufes und der Wahl sein können. Es ist fast zu vergleichen mit einer Bahnung, einem Priming, in dem gewisse Erfahrungen vor-gedacht und vor-gespürt werden, die dann später, wenn eine Karsamstagserfahrung im wirklichen Leben des Glaubenden eintritt, aktiviert werden können. Andererseits kann bei der Meditation des Karsamstags eine selbsterlebte existentielle Krise im Nachhinein angetriggert, aber auch durchgespürt und verarbeitet werden. Dabei sind die ignatianischen Grundsätze wie „Gott, unseren Herrn, in allen Dingen finden“ und das Einüben einer „Indifferenz“ gegenüber allen Lebenslagen eine große Hilfe.
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Geistliche Begleitung im Alltag
Geistliche Begleitung ist in Abgrenzung zur Liturgie der Gemeinschaft oder zur Katechese sehr individuell. Es geht immer um den je einzelnen Menschen mit seinen Fragen, Nöten, mit seinem Glauben oder auch Nicht-mehr-glauben-können in den Zumutungen des Lebens. Doch auch der Begleitende hat seine Geschichte und Krisen. In der Geistlichen Begleitung hilft es mir, wenn ich zunächst eigene Erfahrungen in der Tiefe durchspüre und zu Ende denke. Daher habe ich mich in der Arbeit so ausführlich mit dem Karsamstag befasst. So kann ich besser spüren, was „meins“ ist. Beim empathischen Zuhören kann ich so eher sortieren, ob die auftauchenden Gefühle zum anderen oder zu mir gehören.
Im Erleben existentieller Lebens- und Glaubenskrisen ist es nicht immer möglich, Begleitung zu suchen oder überhaupt zuzulassen. Der Schmerz ist zu groß, die Leere oder Verwirrung zu mächtig, die Antriebskraft erschöpft. In der akuten Situation ist die Kommunikation wie gesperrt. Es geht nicht darum, fromme Gedanken zu erwecken, falschen Trost zu spenden oder einfach alles wegbeten zu wollen. In der akuten Situation steht auch der Begleiter manchmal vor dem „Aus“. Die Hilflosigkeit spiegelt sich in der Begleitung. Worte fehlen, hilfreiche Gedanken überfordern, das Angebot kann nicht angenommen werden. Wenn ein Begleiteter sich lange nicht meldet und erst nach längerer Zeit berichtet, was er Schlimmes erlebt hat, könnte der Begleiter an sich zweifeln und sich fragen, ob zu wenig Vertrauen da war oder ob er falsch begleitet habe. Da hilft es zu verstehen, dass in der akuten Erfahrung auch der totale Rückzug die erste Selbsthilfe sein kann. In einer existentiellen Krise ist es wichtig, darauf zu achten, ob nicht ganz praktische Hilfen der Lebensbewältigung (Essen, Wohnen, Sicherheit, Organisation etc.) oder eine medizinische Unterstützung notwendig sind. So geschieht die geistliche Begleitung einer Karsamstagserfahrung vielleicht erst im Nachhinein.
Wenn bei jemanden erst durch die existentielle Krise Glaubensfragen auftauchen, wird er vielleicht nach einiger Zeit das Gespräch mit einem geistlichen Begleiter suchen. Es ist zu vergleichen mit der Suche nach einem Therapeuten, den die meisten erst aufsuchen, wenn die Talsohle durchschritten ist und schon ein Fünkchen Hoffnung da ist, dass es wieder aufwärts gehen könnte.
Für den Begleitenden ist es hilfreich, selbst eine Ahnung davon zu haben, was eine existentielle Krise bedeutet. Im Gespräch sind einige Haltungen besonders wichtig. Zuerst: keine Angst haben, die Ruhe bewahren, auch wenn ich schlimme Dinge erfahre und ich als Begleiterin selbst sehr erregt oder verwirrt werde. Begleitete formulieren nicht selten die Erfahrung, dass sie wie Pestkranke behandelt werden. Das bisher vertraute, auch hilfreiche Gegenüber weicht zurück, erschrickt, hat Angst, selbst in die Krise hineingezogen zu werden oder fürchtet soziale Ausgrenzung, wenn es sich solidarisiert. Dann: Dabeibleiben, Aushalten, Mitschweigen in der Sprachlosigkeit, empathisch Zuhören, die schlimme Wirklichkeit erstmal zulassen, den Schmerz würdigen, ohne darin herumzuwühlen; Geduld haben, wenn immer wieder das Gleiche wiederholt wird, dies ist notwendig, um die Wirklichkeit anzuerkennen. Schuldgefühle ernst nehmen; diese sind reale Erfahrungen des Begleiteten, die erst langsam aufgelöst werden können. Schließlich: keine ehrgeizigen Ziele verfolgen oder Lösungen anbieten. Die Gespräche müssen erstmal keinen „Erfolg“ haben. Ich muss nichts ändern. es ist, wie es ist.
In vielen Punkten gleicht die Begleitung der Anfangsphase einer Traumatherapie, wie sie in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Psychotherapeuten ausgearbeitet wurde. Erst Ruhe und Sicherheit verschaffen und einfach nur da sein. Der existentielle Charakter der Krise erfordert existentielle Parameter. Der alleingelassene, ausgegrenzte Mensch braucht ein neues, verlässliches Bindungsangebot; der verletzte Mensch einen sicheren, unaufgeregten Raum und genügend Zeit. Es kann auch mal über die vorher vereinbarte Zeit hinausgehen. Der andere soll die Erfahrung machen, da steigt jemand mit mir „hinab ins Grab“, jemand hilft mir beim „Ver-Schmerzen“, jemand nimmt dieses Ende, dieses Scheitern ernst. Es gibt jemanden, der bei mir bleibt, obwohl niemand weiß, wie lange es dauert. Mehr braucht es zunächst nicht. So kann erfahrbar werden, dass es eine gute Botschaft ist, dass Christus zu denen abgestiegen ist, die in Dunkel und Todesschatten sitzen (Lk 1,79). Für manchen Gläubigen ist die radikale, bedingungslose Solidarität Jesus mit dem Menschen bis ins Leiden und den Tod, ja bis ins Grab und die totale Ausgrenzung hinein der überzeugendste „Gottesbeweis“ geworden. Für den Begleiter wird es hilfreich sein, die Gespräche mit in sein Gebet zu nehmen. Erst nach einiger Zeit wird für den Begleiteten ein neues Hören auf den Geist Gottes und auch das Sprechen darüber möglich sein.
Wenn die Erfahrung eines neuen Lebens Raum greift, wenn neues Selbstbewusstsein und reifere Beziehungserfahrungen durch den Schmerz hinurch, durch bewusste und unbewusste Bearbeitung möglich werden, kann auch eine qualitativ andere Gottesbeziehung aufgebaut werden. Vielleicht kann dann Jesu Erfahrung des Begraben-Seins mit dem eigenen Leben verbunden werden. Der ein oder andere der oben angeführten biblischen Texte oder eine Auferstehungs-Ikone können meditiert oder besprochen werden. Vielleicht muss ein altes Gottesbild – das zu begrenzt und einengend war – zerbrochen werden, sterben, damit ein größeres entstehen kann. Und um mit J. Ratzinger zu schließen: „Ihr Bild, das sie von Gott geformt hatten, und in das sie ihn einzuzwängen versuchten, musste zerstört werden, damit sie gleichsam über den Trümmern des zerstörten Hauses wieder den Himmel sehen konnten und ihn selber, der der unendlich Größere bleibt.“[14]
[1] Im Neuen Testament ist eine Predigt an die Toten nicht ohne weiteres zu belegen. Christliche Exegeten haben schon im Urchristentum diesbezüglich Bibelstellen interpretiert, wie 1 Petr 3,19: „So ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt.“ und 1 Petr 4,6 „Denn auch Toten ist das Evangelium dazu verkündet worden, dass sie zwar wie Menschen gerichtet werden im Fleisch, aber wie Gott das Leben haben im Geist.“ oder Joh. 5,25: „Amen, Amen, ich sage euch: Die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben.“ Auch Psalm 16,10 wird herangezogen: „Denn du überlässt mein Leben nicht der Totenwelt; du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen.“ sowie Apg 2,24.27: „Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt: denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde.“
[2] Hier eine kurze Zusammenfassung: Zwei von Christus Auferweckte beschreiben die Hadesfahrt. Zunächst erscheint Johannes der Täufer als Vorläufer auch in der Unterwelt, zur ruft Bußfertigkeit auf und verkündet das Heil. Zwischen Satan und Hades entspinnt sich unterdessen ein Streitgespräch, da Hades seine kommende Niederlage schon ahnt, während der Teufel von ihm verlangt, Jesus festzuhalten. Schon schlägt Christus mit donnernder Gewalt an die Tore der Unterwelt. Satan, Hades und die Dämonen machen sich zur Abwehr bereit. Doch die Türen zerbrechen, der Erlöser zieht ein, und die finstere Unterwelt erstrahlt im Licht. Hades erkennt seine Niederlage. Satan wird gebunden und Hades übergeben. Christus ergreift Adam mit seiner Rechten und erweckt ihn und alle übrigen. Alle ziehen in das Paradies ein, in welchem sie – vom Erzengel Michael erwartet – auf Henoch, Elias und den guten Schächer treffen.
[3] wie es damals im Deutschen Credo noch hieß.
[4] Ratzinger S. 277
[5] ebd. S.278 „So erinnert uns der Artikel vom Höllenabstieg des Herrn daran, dass zur christlichen Offenbarung nicht nur Gottes Reden, sondern auch Gottes Schweigen gehört. Gott ist nicht nur das verstehbare Wort, das auf uns zugeht, er ist auch der verschwiegene und unzugägliche, unverstandene und unverstehbare Grund, der sich uns entzieht. Gewiss gibt es im Christlichen einen Primat des Logos, des Wortes, vor dem Schweigen: Gott hat gesprochen. Gott ist Wort. Aber darüber dürfen wir die Wahrheit von der bleibenden Verborgenheit Gottes nicht vergessen. Nur wenn wir ihn als Schweigen erfahren haben, dürfen wir hoffen, auch sein Reden zu vernehmen, das im Schweigen ergeht. Die Christologie reicht über das Kreuz, den Augenblick der Greifbarkeit göttlicher Liebe, hinaus in den Tod, in das Schweigen und die Verdunkelung Gottes hinein. Können wir uns wundern, dass die Kirche, dass das Leben des Einzelnen immer wieder in diese Stunde des Schweigens hineingeführt wird, in den vergessenen und beiseite geschobenen Artikel ‚Abgestiegen zu der Hölle‘?“ (S. 278f)
[6] ebd. S. 278
[7] ebd. 283
[8] welcher von Joh 12,32 als Erhöhung dagestellt wird. „Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“
Das Paradox wird aufgezeigt, der Tiefpunkt, der zugleich ein Höhepunkt ist.
[9] „Weil wir die Welt des Todes nicht kennen, können wir uns diesen Vorgang der Überwindung des Todes nur in Bildern vorstellen, die unangemessen bleiben. Dennoch, in allem Ungenügen helfen sie uns, etwas vom Geheimnis zu verstehen“ (Papst Benedikt XVI., Ansprache 7. April 2007).
[10] Lk 23,46 „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Joh 19,30 „Es ist vollbracht!“
[11] Ratzinger S. 280f
[12] Folgende Abschnitte aus den Geistlichen Übungen geben Hinweise zum Karsamstag: In der Dritten Woche 6. und 7. Tag: Nr. 208 ; Anfang der vierten Woche: Nr. 219/220;
[13] Nr. 298 Von den Geheimnissen, die vom Kreuz an bis zum Grab einschließlich geschehen sind. Nr. 310 hatte für die Betrachtung noch einen Bezug zum Nikodemusevangleium vorgeschlagen. Dieser wurde vor 1548 korrigiert, nachdem dieses Evangelium nicht in den Kanon der von der Kirche autorisierten Bücher aufgenommen wurde.
[14] Ratzinger S. 278