Es gibt in der katholischen Liturgie kurz vor dem Kommunionempfang einen Vers, der sehr viele Missverständnisse und Widerstände hervorruft. „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“

…dass Du eingehst…

Text: Peter Hundertmark – Photo: 777jew/pixabay.com

„Ich bin nicht würdig“ – wieso, so fragen sich viele Glaubende, muss mir die Liturgie ständig und auch an dieser Stelle noch mal mein Ungenügen, meine Sünde in Erinnerung rufen? Kann es mit dem Schuldbekenntnis und der Vergebungsbitte am Beginn nicht wenigstens für die Dauer dieses Gottesdienstes mal genug sein? Der Hintergrund, aus dem der Vers der Liturgie gestaltet wurde, legt nahe, dass dieses Empfinden richtig ist, das Gebet aber eine völlig andere Bedeutung transportieren will.

Das liturgische Gebet zitiert Matthäus 8,8: „Da antwortete der (römische) Hauptmann: Herr, ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund.“ Die Situation ist dabei wichtig und hilft beim Verstehen. Es handelt sich um einen, dem jüdischen Glauben und Volk wohlgesonnenen, informierten und respektvollen, aber heidnischen römischen Hauptmann. Dieser Hauptmann weiß und respektiert, dass ein religiöser Führer der Juden in den Geruch der Kollaboration kommen könnte, wenn er sich im Haus eines Offiziers der Besatzungsmacht aufhält. Er weiß und respektiert, dass ein frommer Jude kultisch unrein werden kann, wenn er das Haus eines Heiden betritt. Er weiß und respektiert, dass er als Heide aus jüdischer Sicht „nicht würdig ist“, dass ein Rabbi, Prophet und Heiler zu ihm ins Haus kommt. Er bietet Jesus seinen Glauben an, akzeptiert aber seine eigene Stellung außerhalb des „erwählten Volkes“. Wenn Jesus etwas für seinen Diener tut, dann über die Grenzen hinweg und – so bietet er an – ohne sich zu kompromittieren oder unrein zu machen.

Liest man diese Geschichte auf dem Hintergrund der ersten Jahrzehnte der Entstehung christlicher Gemeinden, so hört man fast zwangsläufig die Auseinandersetzung um die Heidenmission und die Heidenchristen mit. An vielen Stellen des Neuen Testamentes wird um diese Fragen gerungen: Können auch die Heiden gerettet werden? Müssen sie erst Juden werden und sich beschneiden lassen? Sind sie auf das jüdische Gesetz verpflichtet? Klassisch die Antwortversuche des Paulus, zum Beispiel in der Ölbaumparabel: Die Heiden sind durch Christus hinzugefügt, sie werden als wilder Zweig dem Ölbaum des jüdischen Gottesvolkes eingepfropft. (Röm 11,17) Oder: „Er (Jesus Christus) vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder.“ (Eph 2,14) Die Heidenchristen sind durch Christus „würdig“ gemacht worden. Sie sind in der gleichen Würde hinzugefügt, die dem erwählten Volk schon durch den Bund mit Mose zukommt. So erinnert der Vers in der Liturgie zuerst daran, dass praktisch alle, die mitfeiern, „Heiden“/Heidenchristen sind, die dem Gottesvolk durch Christus hinzugefügt wurden. Sie sind keineswegs unwürdig. Aber sie haben ihre Würde nicht durch Geburt, von sich aus, durch eine Volkszugehörigkeit und Abstammung. Sie sind würdig gemacht worden durch den neuen Bund im Blut Jesu. Durch die Taufe sind sie dem Gottesvolk in gleicher (nicht geringerer und nicht größerer) Würde eingepflanzt.

Aber auch weitere Teile des Gebets erfordern eine Aufklärung. „Sprich nur ein Wort“ – für den heutigen Hörer erschließt sich nicht, was für ein Wort. Auf der vermuteten Linie der Sünde könnte „Vergebung“ das Wort sein. Der griechische Text aber benutzt in der zugrundeliegenden Geschichte keinen Artikel. Im Original steht also: Sprich Wort, und mein Diener wird gesund. Wort heißt dort Logos. Logos Gottes, Wort Gottes ist aber neutestamentlich immer Jesus Christus selbst. Er ist das Wort, der Logos, der im Anfang bei Gott war, der Gott selbst ist (Joh 1,1) In der Liturgie richtet sich die Bitte also an Gott: Sprich mir Logos-Christus zu, und ich werde gesund. Gib mir Christus. Gib mir den neuen Bund, die Wandlung und das neue Leben, das er gebracht hat. Womit sich auch die Stelle in der Liturgie erklärt. Genau das, worum die Gemeinde hier bittet, geschieht im nächsten Moment: Die Kommunion wird ausgeteilt, Christus kommt in den gewandelten Gaben zu den Glaubenden und sie werden gewandelt. Sie empfangen den Leib Christi und sie werden Leib Christi.

Zugleich spielt die Geschichte von der Heilung des Dieners auf eine Rede Gottes im Buch Jesaja an: „So ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: „Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55,11) Die Geschichte wird als Beleg dafür erzählt, dass diese Verheißung Gottes gilt und durch Jesus Realität ist. Er heilt einzig durch das Wort, so wie Gott am Anfang einzig durch das Wort die Welt erschafft. Auch in der Liturgie klingt diese Bedeutung mit und hat damit eine ganz wichtige Funktion im gottesdienstlichen Geschehen: Gott wird an seine Zusage „erinnert“, dass sein Wort bewirkt, was es sagt. Die Wandlung, die im direkten Anschluss durch den Empfang der Gaben mit den Glaubenden geschieht, wird dem sicher wirkenden Wort Gottes zugeschrieben bzw. um dieses wandelnde Wort wird gebeten.  In einem ganz anderen theologischen Sprachbild beten damit die Glaubenden eine Bitte, die funktional der vom Priester gebeteten Epiklese – „sende Deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie…“ – vor der Wandlung von Brot und Wein, entspricht. In beiden Gebeten wird Gott um Wandlung gebeten.

Damit erklärt sich auch, warum „nur“ die Seele gesund werden soll. Seele steht in dieser Linie für die innere Wirklichkeit der Glaubenden. Äußerlich, körperlich, in ihrer menschlichen Identität bleiben die Glaubenden unverändert, wenn sie jetzt durch den Empfang des Leibes Christi geistlich in den Leib Christi gewandelt werden. Auch hier wird durch dieses Gebet eine Parallele zu der Wandlung der Gaben gesetzt: So wie dort die äußere Gestalt von Brot und Wein erhalten bleibt, die innere Wirklichkeit aber in Leib und Blut Christi gewandelt wird, so wird nun die „Seele“ der Glaubenden gewandelt.

Bleibt die Frage nach dem „gesund“. Auf den ersten Blick wird hier schlicht die Heilung des Dieners in der Geschichte aufgenommen. Eine Gesundung des Beters, egal ob körperlich oder seelisch, hat aber keinen wirklichen Anlass im liturgischen Geschehen. Für den geübten Hörer, der die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testamentes im Ohr hatte, klingt jedoch in der Wortwahl der Erzählung der Psalm 107 an. Matthäus benutzt nämlich verschiedene Worte für „gesund“ und „gesund machen“. Hier in Mt 8,8 setzt er wohl bewusst das weniger gebräuchliche Wort ein, das eben den Vers 20  des Psalms 107 aufgreift. Dort ist „gesund machen“ das zentrale Wort, mit dem der Psalmist die große Wandlung von Unheil zu Heil zusammenfasst. „Gesund“ geht da weit über eine körperliche, oder seelische Heilung hinaus. Gott schafft, indem er „gesund macht“, einen Neuanfang, eine Neuschöpfung, Reich Gottes unter den Menschen. Das Nicht-Volk, das im Dunkeln lebte, wird zum Volk Gottes, dem ein paradiesisches Land gegeben wird. Und so schließt auch dieses Gebet der Liturgie mit dieser großen, umfassenden Perspektive seines Reiches, das Gott unter uns aufrichtet.

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