Ein Lehrstück interkulturellen geistlichen Lernens ausgehend vom 1. Korintherbrief 12 – eine afrikanische Ordensfrau kommentiert aus ihrer Welterfahrung heraus, vielleicht näher am Lebensgefühl des Paulus, den Text: Der Leib ist das Erste. Im Leib Christi gibt es kein Zuwenig.

 

Der eine Leib und die Charismen

Beitrag: Peter Hundertmark – Photo: Ben_kerckx/pixabay.com

Eine afrikanische Ordensfrau, die seit einigen Jahren in Deutschland lebt, macht mich auf eine europäische Eigenart aufmerksam. Wenn Europäer von Charismen sprechen, so sagt sie, liegt ihr Augenmerk auf der/m Einzelnen, der/die Träger/in eines Charismas ist. Da zugleich allen vom biblischen Befund her klar ist, dass die Charismen für die Kirche und ihre Aufgaben gegeben werden, stellen sich sofort einige schwer zu beantwortende Fragen: Können Charismen und kirchliche Ordnung sich widersprechen? Wer darf/muss die Charismen prüfen, ob es sich nicht um Anmaßungen handelt? Was soll Kirche mit Charismen anfangen, wenn diese über ihr Aufgaben-Portfolio hinaus weisen? Wie verhalten sich Charismen, Ämter und synodale Ordnungen zueinander? Die Charismen sind ein Problem.

Das ist nicht die Denkweise des Paulus, gibt die Ordensfrau zu bedenken: In Afrika sind wir dem Lebensgefühl, aus dem heraus Paulus argumentiert, vielleicht näher. Das erste ist der Leib – ein Leib aus vielen Gliedern. Jedes Glied hat darin seine Aufgabe. Der Leib ist ein lebendiger Organismus. Er ist stetig dabei, sich zu erneuern. Entsprechend ist das Erste die Kirche, die Gemeinschaft, die Gemeinde, Gruppe oder Familie. Sie sind dem Einzelnen vorgegeben.

Sofort regt sich in mir aufgeklärter Widerspruch: Das Individuum, die Person in ihrer Würde… Wird damit der Einzelne nicht zum Erfüllungsgehilfen eines Ganzen? Wer bestimmt eigentlich über das Ganze? Wird damit nicht Macht zugleich zementiert und vernebelt? Die verlorene Generation, die für den Aufbau des Kommunismus geopfert wird, klopft an meine geistige Hintertür.

Aber die afrikanische Katechese geht weiter. Leib heißt nicht Diktatur. Denn Herr ist nur Christus. Er ist aber nicht in gleicher Weise wie die heute lebenden Menschen Teil des Leibes. Christus gehört niemandem. Niemand kann über ihn bestimmen. Alle anderen, unabhängig von ihrem Stand und ihrer Position in der Gemeinschaft, Gemeinde, Kirche… sind Glieder: Diese und jene, solche die sich wichtig tun und die stillen Vertreter. Ohne sie ist der Leib nicht. Wenn eines der Glieder seinen Dienst quittiert, wird alles krank. Wenn eines zu wuchern beginnt, ist höchste Gefahr. Wenn das Ganze des Leibes manche Glieder still legt, zerstört er sich selbst.

Der Leib zeigt eine Gestalt, die wiedererkennbar ist und sich doch ständig verändert – abhängig von seinen Gliedern, ihrem Leben, ihren Erfahrungen, ihrem Engagement. Der Leib braucht die Glieder und ihre Fähigkeiten, aber er ist das Erste. Der Leib Christi integriert die Vielen, indem er von ihnen seine Gestalt bekommt. Die paulinische Lehre von den Charismen heißt, dass alle notwendigen Begabungen da sind, damit das Ganze lebendig, mündig und fruchtbar leben kann. Es gibt im Leib Christi kein Zuwenig. Der Geist gibt immer genug Charismen.

Halt, wende ich ein, da stimmt was nicht mit unserer europäischen Kirchenerfahrung. Grundgefühl, seit ich Kirche wahrnehme, ist doch, dass gerade nicht alles da ist, was gebraucht wird, dass immer weniger da ist, was gebraucht wird. Es gibt eine Mitarbeiterkrise und eine Beteiligungskrise.

Vielleicht verändert sich der Leib Christi – die Kirche, will es aber noch nicht wahrhaben… Oder die Glieder sind falsch angeordnet und arbeiten gegeneinander und gegen ihre Charismen… Oder es gibt künstliche Trennungen, die verhindern, dass die Glieder zusammen wirken… Oder der Leib ist zerstückelt und deshalb nicht lebensfähig… hält die Afrikanerin dagegen. Wenn Charismen und Gesamt des Leibes nicht harmonisch zusammenwirken, hat sich der Leib von Christus entfernt. Dann ist der Leib Christi krank. Denn es ist der Geist Jesu, der die Charismen gibt. Der Heilige Geist und Christus aber wirken nicht gegeneinander.

Ich spüre, dass ich emotional nicht in dieses Welterleben hinein finde. Aber ich beginne, das kritische Potential zu erahnen, das in diesem Zugang liegt. Der Leib ist das Erste. Da liegt das Problem. Wenn die Charismen nicht zu genügen scheinen, ist es ein Hinweis, dass der Leib ein Problem mit sich hat und mit seinem Haupt – Christus. Die Glieder finden nicht ihren Platz und ihre Charismen vertrocknen. Die Charismen sind vielleicht doch nicht das Problem.

Aber: Wer ist der Leib?

Den Leib gibt es nicht, lacht die Schwester. Das sind alle. Aber alle zusammen. Alle. Leib werden sie durch Dialog und Solidarität und Liebe. Und indem sie sich unter dem Haupt sammeln, indem sie sich von Christus zusammenfügen lassen. Und dann zitiert sie 1 Kor 12,23…

 

 

Diesen Beitrag teilen: