In einem Gespräch wird gesprochen. Und doch lebt ein gutes Gespräch auch von den Pausen. Pausen sind Zeiten des Verstehens. Das Wort „verstehen“ legt ein Stehenbleiben nahe. Im Stehenbleiben ist ein genaueres Hinsehen, Hinhören, Hinspüren erst möglich. Wahrnehmungen bekommen Raum.

Die Bedeutung der Stille im geistlichen Begleitgespräch

Text: Elke Lütgenau-Hawae – Photo: Elke Lütgenau-Hawae

Geistliche Begleitung hat ihren Ursprung im Auftrag Jesu, alle Völker zu lehren (Mt 28, 19). Unter Lehren ist in Geistlicher Begleitung nicht die klassische Unterweisung im Glauben zu verstehen, sondern das Fördern der Gottesbeziehung der Begleiteten und das gemeinsame Ausschauhalten nach dem Willen Gottes für die Begleitete In dieser Arbeit wird durchgehend die weibliche Form gewählt. Männliche und diverse Personen sind immer mitgemeint) im Gespräch.

Stille als Voraussetzung für das Hören

Stille und Schweigen gehören zum Gespräch. Mindestens eine Gesprächsteilnehmerin schweigt, während die andere spricht. Schweigen ist eine gute Voraussetzung zum Hören, aber nicht jedes Schweigen ist Stille. Im Schweigen kann sich im Inneren der schweigenden Person sehr viel Unruhe ereignen: Laute innere Stimmen, die das Hören erschweren.
Stille ermöglicht das Hören. Vielleicht kann man sogar sagen: wirkliche Stille ist Hören. Die kontemplative Tradition der Kirche hat diese Form des Hörens entwickelt und gepflegt.

Im langjährigen Ringen um ein Gebetsleben und um eine lebendige Gottes-beziehung war das Gebet der Stille für mich die entscheidende Entdeckung. Still werden, alles Bedrängende, Belastende, Begeisternde, alle Beschäftigung, alles Nach- und Vordenken auslaufen lassen, den inneren Raum leer und still werden lassen, die Stille füllen lassen.

Mich zu überlassen im Vertrauen auf den, der immer schon war und der ist und der bleiben wird, dem liebenden, schaffenden, heilenden Gott: Diese Erfahrung hat möglicherweise auch Elija gemacht, als er Gott erfuhr im „sanften, leisen Säuseln“ (1.Kö. 19,12). Das Hören ist im geistlichen Begleitgespräch der wichtigere Gesprächsanteil der Geistlichen Begleiterin.

Alles, was an Impulsen der Begleiteten mitgegeben werden kann, kommt aus dem Hören in Stille.  Im Inneren Zurücktreten vom Gesprächsgeschehen, in einem Moment des Innehaltens, Stillwerdens zu Gott (Ps. 62,2), kann wahrgenommen werden, wie Gott sich der Begleiteten mitteilt, und wie die Begleitete darauf reagiert (Vgl. W. A. Barry/W.J. Connolly: Brennpunkt: Gotteserfahrung im Gebet, Leipzig 1992, S.53). In dieser Stille kann Platz greifen, was für die besondere Situation der Begleiteten unterstützend bei der Entwicklung ihrer Gottesbeziehung sein kann. Eine kontemplative Grundhaltung und Erfahrung im kontemplativen Gebet halte ich für geistliche Begleiterinnen für unerlässlich.

Stille als Voraussetzung zum Reden

Im Evangelium (z.B.: Lk 5, 16) lesen wir, dass Jesus sich immer wieder zurückgezogen hat, um in der Stille eines Berges oder der Wüste allein zu sein und zu beten. Je größer der Andrang der Volksmenge, desto mehr zog er sich ins Gebet zurück. In der Stille eines Berges lehrt er die Jünger (Mt. 5,1ff). Wenn der Herr vielfach beansprucht war, zog er sich zurück und schaffte Raum für das eigene Gebet. Das riet er auch seinen Jüngern: (Mk. 6,31). Aus der Stille mit dem Vater entspringt offenbar seine Fähigkeit zu reden, zu lehren, zu heilen.
Wenn also aus dem Reden kein Gerede werden soll, braucht die geistliche Begleiterin die Stille des eigenen Gebetes als Voraussetzung, um zu reden, zur je eigenen Erfahrungen zu verhelfen und heilsame Wege zu eröffnen, so meine eigene Erfahrung.

Orte der Stille im geistlichen Begleitgespräch

Man kann im Begleitgespräch unterscheiden zwischen äußerer Stille und innerer Stille.
Die äußere Stille wird geschaffen durch die Strukturierung des Gespräches, die kurze Stillezeiten in die Gesprächszeit beinhalten kann. Auch kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit im Verlauf des Gespräches zu Pausen.
Davon zu unterscheiden sind Orte der inneren Stille, die durchaus parallel zum gesprochenen Wort entstehen können, sowohl im Inneren der Begleiterin als auch bei der Begleiteten.

Stillezeiten in der Gesprächsstruktur

In der Begleitung durch meinen jetzigen geistlichen Begleiter erlebe ich Stille als Teil der Struktur des Gespräches. Zu Beginn nach der Begrüßung und einer kleinen aufwärmenden Konversation fordert er zu einer kurzen Zeit der Stille auf. Diese Stille erlebe ich als sammelnd und hilfreich zur Konzentration, zur Ausrichtung auf meine und des Begleiters gemeinsame Mitte hin. In dieser strukturellen Hilfestellung erkenne ich den Auftrag wieder, wie er im Exerzitienbuch des Ignatius v. Loyola beschrieben ist, nämlich, sich in die Gegenwart des Herrn zu versetzen (EB 46 u. 49)

Damit ist ein Raum eröffnet, in dem aus zwei handelnden Personen drei Personen werden: eine trialogische Interaktion wird spürbar.

Eine zweite kurze Stillezeit setzt mein geistlicher Begleiter ans Ende des Gespräches, indem er bittet, kurz innezuhalten und zu erspüren, was in diesem Gespräch wichtig war, was nachwirkt, was nach- (haltig) wirkt und welches Gefühl sich zeigt. Diese kurze Stille empfinde ich als hilfreich, um zu schauen, ob es unruheschaffende Reste gibt und um die Ernte des Gespräches einzubringen.Damit kann der Raum des Gespräches geschlossen und das Gespräch dann mit einer gemeinsamen Doxologie beendet werden.

Gesprächspausen
Je drängender das, was die Begleitete jeweils bewegt, erlebt wird und je höher die Erzähldichte ist, desto wichtiger finde ich es, den Erzählstrom ausklingen und zur Ruhe kommen zu lassen. Wenn der Druck nachlässt und die Begleitete sich ausgesprochen hat, entsteht oftmals eine längere Pause.
Diese Pausen sind von hoher Bedeutung, weil in ihnen das zum Bericht passende Gefühl Platz greifen kann und die Begleitete Zugang zum eigenen mit dem Inhalt korrelierenden Gefühl bekommen kann.

Entdeckungen, Freude, Dank, Enttäuschung, Druck, Zorn, Verletztheit, Schmerz, Scham u.v.a.m. können (auf-) gespürt werden, sowohl von der Begleiteten selbst als auch von der Begleiterin (weiterführend zu Verhältnis Leib-Geist: Klaus Renn: Dein Körper sagt Dir, wer Du werden kannst, Herder, Freiburg, 2006). Vielleicht gibt es Tränen. Kopf und Bauch finden sozusagen zusammen und die Begleitete „kommt zu sich“.

Die gesamte eigene Lage kann erlebt, „für wahr genommen“, ausgesprochen werden, wie wir es im Buch der Psalmen allenthalben finden: Überforderung, Klage, Lob, Freude, Zorn und Schmerz etc. werden ins Gebet gebracht – mehr noch, die Betende kann sich selbst in dieser Gefühlslage ins Gebet bringen und sich so sich selbst und weitergehend dem Herrn zumuten.

Gott selbst wird so in der Stille (sei es während des Begleitgespräches, sei es im Nachklang) ins Geschehen, in die Gegebenheit, in die Not, in Freude und Dank einbezogen und teil sich der Seele mit (EB 15). Das gilt sowohl für die Betende, der das durch die Begleitende ans Herz gelegt werden kann, als auch für die Begleitende, die schon in der entstehenden Pause ihre Anvertraute dem Herrn hinhalten, also fürbitten kann.

Bringt die zu Begleitende viele verwirrende Themen auf, so dass ein roter Faden, eine klare Gefühlslage, ein eindeutiges Thema schwierig zu ermitteln ist, kann Stille im Reden hilfreich sein.
Ich versuche dann, zwar weiter zuhörend, dennoch auch auf meinen Körper zu achten, mich innerlich von Gedanken und Ideen bis hin zu Spekulationen frei zu machen und den Fokus auf meine eigene Körperwahrnehmung zu richten.

Das was im Kopf uneindeutig war, bekommt dann möglicherweise einen Ort im Körper: Bauch Herz, Hals, Kopf etc. Dort manifestiert sich das Gefühl, das vor der Begleiteten zu mir herüberschwappt und bekommt sozusagen Gestalt. Dadurch wird es für mich greifbar und benennbar und kann der Begleiteten wieder zur Verfügung gestellt werden im Sinne einer Spiegelung, wie Carl Rogers sie schon beschrieben hat in seinen Überlegungen zur Nicht-direktiven Beratung (vgl. Rogers, Carl, Nicht-direktive Beratung, Fischer 1985). Der „rote Faden“ kann so gefunden und aufgenommen werden.

Stille im Redendem „Einfall“ Raum geben
Woher nehme ich nun als geistliche Begleiterin Impulse, die für die Gottesbeziehung der Begleiteten förderlich sein können?

Zunächst möchte ich betonen, dass nur das zum Vorschein kommen kann, was schon da ist, und was sich bereits im Schatz der Begleiterin befindet (vgl. Mt. 13,52). Eigene Begleiterfahrung, eigene Gebetserfahrung, eigenes Bibelstudium, eigene durchgebetete Perikopen der Bibel, Lebenserfahrung, liturgische und sozialethische Kenntnisse, Kenntnisse im Kirchenrecht u.v.a.m. befinden sich im „Schatz“. Manchmal sind anscheinend viele einzelne Fähigkeiten und Kenntnisse gleichzeitig angesprochen und könnten „passen“.

Wie nun zu einer Wahl kommen? Neben Vorsicht und behutsamem Kennenlernen der Person der Begleiteten, braucht es die Kriterien zur „Unterscheidung der Geister“ (Vgl. EB, Nr. 313-336 und 345-351), auf die ich hier nicht näher eingehen will. Bei allen Kenntnissen ist aber nicht nur der Kopf gefragt. In einer Haltung des eigenen inneren Stillwerdens, und so des sich Enthaltens einer aktiven Beurteilung und der aktiven Entscheidungssuche nach dem „richtigen“ Impuls, kann ein Raum entstehen für Einfälle. In diese stille qualifizierte Leere kann der Begleiterin das „einfallen“, was aktive willentliche Suche nicht zum Vorschein bringen kann.

Wir gehen in der geistlichen Begleitung von einer trialogischen Gesprächssituation aus. Mit Begleiteter und Begleiterin ist Gott selbst im Gesprächsraum. Stille ermöglicht das Hören, nämlich hören auf den Willen Gottes. Leere schafft Raum für den „Einfall“ des Willens und Handelns Gottes in der Begleitung.
Voraussetzung für diesen „Einfall“ ist neben innerer Stille, dass die Begleiterin sich persönlich begründeter Intentionen und Interventionen enthält und stattdessen dem Handeln Gottes an der Begleiteten freien Lauf lässt. Diese Haltung nennt der hl. Ignatius im Exerzitienbuch „Indifferenz (EB 23). Mit Indifferenz meint er, gleichmütig den verschiedenen Möglichkeiten gegenüberstehend, Gott schenken zu lassen, was ER für die Begleitete anbieten will.

In der stetigen Übung, innerlich „gleichmütig“ Gott selbst, dem Herrn Jesus Christus selbst im Hl. Geist die Begleitete anzuvertrauen, in der sicheren Hoffnung, dass Gott selbst mir das Richtige weist, finde ich als Begleitende meine adäquate Rolle. Nicht das Selbst-tun-wollen, das Selbst-tun-können, nicht selbst wirksam zu sein, ist die Aufgabe, sondern den Herrn wirken zu lassen*, auch und gerade in der Auswahl des angemessenen Impulses für die Begleitete ist die Aufgabe der Begleitenden.

Nachbereitung des Begleitgespräches

Ist die Begleitete entlassen, endet die Begleitung nicht. Eine anschließende Reflexion bedarf der Stille. Nachzuspüren, wie das Gespräch war, die eigenen Gedanken und Gefühle zu prüfen, Große Gefühlsamplituden können Hinweis sein, dass es eigene Schwierigkeiten in der Begleitung gibt, Gefühlskälte ebenfalls. Schlussendlich heißt geistliche Begleitung auch und besonders, die Ratsuchende im Gebet zu begleiten, sie mitzunehmen ins eigene Gebet und zusammen mit sich selbst Gott anzuvertrauen. „Er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz.“ (Ps 62,3a)

Diesen Beitrag teilen: