Viele kennen Paulus als Missionar. Der Versuch einer Annäherung an Paulus als Mystiker aber lohnt, denn er teilt unsere Situation: Er und wir sind Glaubende, die Jesus nie gesehen haben. Dieser Mystiker kann uns helfen, als neue Menschen zu leben.

Die Mystik des Paulus

Text: Gerhard Valerius – Photo: Thaisun/pixabay.com

Die ersten Christen galten in ihrer Umgebung als eine jüdische Sekte. Sie waren ja auch Juden und verstanden sich als solche. Erst als die jüdische Gemeinschaft sie als Gotteslästerer aus Synagoge und Tempel ausschloss und sie verfolgte, mussten sie  ihren eigenen Weg suchen. So wurden sie auch zunächst „Die vom neuen Weg“ genannt.

Paulus war, wie bekannt, einer ihrer Verfolger, bis der Auferstandene Herr selbst ihn berief. Paulus stammte aus der syrischen Hafenstadt Tarsus und war nicht nur jüdisch, sondern auch griechisch gebildet, und war darüber hinaus auch römischer Staatsbürger. Er war der richtige Mann, den Weg in die griechische und römische Welt zu bahnen.  Den entscheidenden Schritt von Kleinasien nach Europa, aus dem Judentum auf die Heiden zu, verdanken wir Paulus. Als „Völkerapostel“ wird er zu Recht gerühmt..

Die Berichte von den strapaziösen Reisen und den teilweise gefährlichen Unternehmen des Paulus sind immer noch beeindruckend: „Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. … Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße“ (2.Kor 11,23-27).

Nicht weniger beeindruckend sind seine theologische Höhe und geistliche Tiefe. Allerdings muss man gut hinhören, wenn man in dem Aktivisten Paulus auch den Mystiker Paulus wahrnehmen will. Seine Beziehung zu Christus darf man mit Fug und Recht als „Christusmystik“ bezeichnen. „Wir verstehen unter Mystik…jene Form der Frömmigkeit, die eine unmittelbare Verbindung oder Berührung der Seele mit Gott erstrebt bezw. erlebt….Des Paulus Mystik ist  Christusmystik. Er weiß sich einer Persönlichkeit verbunden.“ (nach A. Wikenhauser). Man kann diese Verbundenheit an vielen Stellen nachlesen.

Paulus fühlt sich innig mit dem gekreuzigten und nun zur Rechten Gottes erhöhten Herrn vereint: Er ist ‚mit Christus gekreuzigt (Gal 2,19); mit ihm ‚gestorben‘ und begraben‘(Röm 6,3ff), trägt Jesu Tod an seinem Leibe (2 Kor 4,10); seine Leiden sind die Leiden Christi (2 Kor 1,5); er ist auch fest überzeugt, dass er mit Christus einmal auferstehen und verherrlicht werden wird (Röm 6,8; Kol 3,4); er wagt das Höchste zu sagen und er sagt es wie etwas Selbstverständliches: Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir (Gal 2,20); sein Ich lebt nicht mehr, der alte Mensch ist tot (Röm  6,6f); ein neues Leben ist an seine Stelle getreten (Röm 6,4), er ist ein neues Geschöpf geworden (2 Kor 5,17); für ihn kann man nur da von Leben reden, wo Christus ist, und darum ist Sterben für ihn Gewinn (Phil 1,21); weil es Christus nahe bringt (Phil 1,23).

 

Auch Paulus hat den Jesus aus Nazareth nicht persönlich gekannt

Dabei ist Paulus für uns besonders wichtig; denn er hat etwas Bedeutsames mit uns gemeinsam: Auch Paulus hat den Jesus von Nazareth persönlich nicht gekannt! Auch er lebt und kündet aus der Erfahrung des auferstandenen und fortlebenden Christus. Wir können bei ihm in die Schule gehen. Tatsächlich ist Paulus der festen Überzeugung, dass seine mystischen Erfahrungen jedem wirklichen Christen zugänglich sind. So sagt er: „Prüft euch selber, ob Ihr im Glauben seid, prüfet euch selbst. Oder merkt ihr etwa nicht an euch, dass Jesus Christus in euch ist?“ (2 Kor 13,5)

Wenn Paulus schreibt, dass wir mit Christus gestorben und begraben seien, dann meint er damit unsere Taufe. Das verstehen wir besser, wenn wir uns bildlich vor Augen halten, wie damals die Taufe vollzogen wurde: Der erwachsene Täufling stieg in das Wasser hinein und wurde ganz untergetaucht. So will Paulus sagen, dass wir alle in den Tod Jesu hinein getauft/getaucht wurden bei der Taufe. Und wie Jesus Christus aus dem Tode auferweckt wurde, tauchen wir aus dem Taufwasser wieder auf als „neue Menschen“. Unser altes, groß geschriebenes und überzogenes Ich ist im Taufwasser „gestorben“, und im wieder aufgetauchten, „neuen Menschen“ lebt der auferstandene Christus.

Grundsätzlich ist das mit uns in der Taufe geschehen. Aber wir merken täg­lich, dass es noch nicht vollendet ist. Das weiß auch Paulus: „Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin. Brüder, ich bilde mir nicht ein, dass ich es schon ergriffen hätte. Eines aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist” (Phil 3,12-14). Dass wir als Christen überhaupt er­greifen wollen, das stammt nicht aus uns selbst, sondern daraus, dass wir zuerst von Christus ergriffen sind. Um uns dessen bewusst zu werden, müssen wir immer wieder innehalten, zurück­blicken und horchen: Wann und wo könnte ich etwas davon gespürt haben, von diesem „Ergriffenwerden”?

 

Paulus kann uns mitnehmen in seine Christusverbundenheit

Paulus wurde vor Damaskus ergriffen. Er ging davon aus, dass auch die Emp­fänger seines Briefes von Christus er­griffen wurden. Dieses Ergriffen­werden gilt auch für uns. Vielleicht nicht in einem Ereignis, wie es Pau­lus zuteil wurde. Aber doch in der bewussten Zustimmung zu der Taufe. Unsere Taufe ist die Entsprechung zum Damaskuserlebnis des Paulus. Darüber hinaus wurden wir im Leben immer wieder und immer neu ergriffen, be­ziehungsweise je nach entsprechender Phase der eigenen Menschwerdung haben wir dieses Ergriffenwerden neu oder anders erlebt.

Paulus kann helfen, sich dieses Er­griffenwerdens bewusst zu werden. Er kann uns mitnehmen in seine tiefe Christusverbundenheit und uns helfen, als neue Menschen zu leben.

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