Die Emmaus-Perikope ist zugleich eine Auferstehungserzählung und eine biblische Eucharistiekatechese. Die eucharistische Begegnung mit dem Auferstandenen ist jedoch eingebettet in vier weitere „Begegnungsorte“ der Auferstehung – die Vielgestalt des geistlichen Lebens der Christinnen und Christen exemplarisch in einer Geschichte.

 

 

Emmaus – fünf Begegnungen mit dem Auferstandenen

Beitrag von Dr. Peter Hundertmark – Photo: Elaine Rudolphi

 

Begegnung im Alltag

Genau hinzuschauen, lohnt schon bei den ersten Worten der Perikope: „Am gleichen Tag…“ situiert das Geschehen im Zentrum der Auferstehungserfahrungen; „waren zwei Jünger…“ – zwei? Wieso zwei? Wieso legt Lukas Wert darauf, dass zwei Personen unterwegs sind, wenn er sich dann scheinbar nur an einen Namen erinnert? Es lässt sich historisch-kritisch nicht beweisen, aber es gibt eine schlüssige Hypothese – ähnlich einem christlichen Midrasch, die erschließt, warum es zwei Jünger sein mussten.

Unter den Bedingungen patriarchalischer Gesellschaftsordnung in der die biblischen Texte entstehen, war es durchaus üblich, dass wenn ein Mann und eine Frau gemeinsam auftreten, nur der Name des Mannes, in der Regel des Ehemannes genannt, der Name der Frau aber übergangen wurde. Frauen wurden so literarisch ein zweites Mal unsichtbar gemacht, nachdem sie schon gesellschaftlich in den zweiten Rang gedrängt waren. Zwei Jünger, einer hieß Kleopas, könnten also ein Ehepaar gewesen sein, was dann für das geschulte Ohr des antiken Hörers auch leicht zu entschlüsseln war. Denn auch die spätere Bemerkung, dass sie in ihr Haus kommen, ergibt in der antiken Welt keinen Sinn, wenn es sich um zwei Männer oder einen Mann und eine ihm fremde Frau gehandelt hätte. Nun wird im Kreuzigungsbericht des Johannes-Evangeliums Maria, die Frau des Klopas erwähnt. Handelt es sich dabei um eine Unachtsamkeit der mündlichen Tradition? Ist Klopas vielleicht der Gleiche wie Kleopas? Historisch löst es sich nicht auf, für die Erschließung der Erzählung ist aber es denkbar, das Ehepaar Maria und Kleopas auf dem Heimweg nach Emmaus zu sehen.

Auf dem Weg sprechen Maria und Kleopas über alles, was sich ereignet hat. Sie sprechen über ihre Hoffnungen und die Enttäuschung. Der Anlass ist dramatisch – die Kreuzigung Jesu – der Vorgang jedoch absolut alltäglich. Jedes Paar zu jeder Zeit an jedem Ort kennt solche Gespräche. Nun erzählt die Perikope, dass in diesem alltäglichen Geschehen – ein Ehepaar spricht auf dem Nachhauseweg über die Ereignisse der letzten Tage und sucht sich einen Reim darauf zu machen – der Auferstandenen sich unerkannt zu den Beiden gesellt.

Es gibt keinen Grund, warum ausgerechnet diese Perikope den/die glaubende/n Hörer/in nur über ein einmaliges Geschehen informieren sollte. Der ganze Kontext und die Komposition der Erzählung legen nahe, dass es sich um eine exemplarische Geschichte handelt. Was dort erzählt wird, hat Bedeutung für alle, was dort geschieht, geschieht für alle Glaubenden: In der Begegnung christlicher Eheleute, wenn Mann und Frau über ihre Erfahrungen, Hoffnungen, Sorgen und Enttäuschungen miteinander sprechen, so die Aussage der Emmaus-Erzählung, schwingt die Gegenwart des auferstandenen Christus.

Diese Weise der Gegenwart des Auferstandenen wurde später in der Ehetheologie aufgegriffen. 1 Kor 11, 3 führt die gleiche Erfahrung ein und stellt sie ausdrücklich in den Zusammenhang christlicher Ehe: Ehepartner sind füreinander die erste Gegenwart und Repräsentation des auferstandenen Christus. Paulus kann das in seiner patriarchalen Welt nur für den Mann der Frau gegenüber aussagen. Dass eine solche Beschreibung nur wechselseitig Sinn macht, erschloss sich erst später: Die Ehefrau ist für ihren Mann, der Ehemann für seine Frau erster Repräsentant/in des auferstandenen Christus – das ist der innere Kern des Sakraments.

 

Begegnung in der Schrift

Die zweite Erfahrung des Auferstandenen geschieht, als Maria und Kleopas sich miteinander über das Wort Gottes unterhalten. Christus ist es, der immer noch unerkannt, ihnen die Schrift erschließt. Verallgemeinert man auch diesen Erzählstrang im Sinne einer exemplarischen Geschichte, so spricht er über die Tiefendimension jedes Schriftgesprächs. Wenn Christen sich miteinander um den Sinn der Heiligen Schrift für ihr Leben bemühen, wenn sie versuchen, in der Schrift eine Deutung für die Ereignisse ihres Lebens zu finden, wenn sie ihren Glauben aus der Heiligen Schrift nähren, so ist es der Auferstandene, der in ihnen das Verstehen bewirkt und lenkt. Der Auferstandene ist in ihrem Gespräch, in ihrer Suche gegenwärtig.

Diese Erfahrung trägt jede Weise des Gottesvolkes, sich um das Wort Gottes zu versammeln: Wortgottesdienst, Schriftbetrachtung, Bibel beten, Bibelgespräch, BibelTeilen, Bibliolog, Bibliodrama…

 

Begegnung in der Eucharistie

Sie erkannten ihn beim Brotbrechen. Die Anspielung auf die Eucharistie ist eindeutig. Auffällig ist, dass entgegen antiker Sitte nicht der Hausherr, sondern der Gast das Brot bricht. In der Emmaus-Perikope wird Wert darauf gelegt, dass es der auferstandene Christus selbst ist, der das Brot bricht und sich auf diese Weise erkennbar gegenwärtig macht. Diese Erfahrung ermöglicht und legitimiert erst einen immer nur stellvertretenden Vorsitz der Eucharistie durch einen Menschen.

Das Brotbrechen steht in der Mitte der Emmaus-Erzählung und bringt den Umschwung. In der Eucharistie wird die Gegenwart des Auferstandenen offenbar. Sie setzt die entscheidende Veränderung in Gang. Es findet Umkehr und Wandlung statt. Mit der Emmaus-Erzählung rückt Lukas den Fokus der Eucharistie exemplarisch auf die feiernde Gemeinde.

 

Begegnung in der eigenen inneren Wirklichkeit

Folglich schließt das Evangelium direkt mit einem Hinweis auf das Ergebnis der Wandlung an. Zur gleichen Stunde, folgt man der Dramaturgie der Erzählung im Dunkeln der Nacht, brechen die Beiden wieder auf, verlassen ihr Zuhause und kehren nach Jerusalem zurück. An dieser Stelle bringt der griechische Text ein nur auf den ersten Blick überraschendes Wort: anastantes. Dieses Wort kann das einfache Aufstehen von einem Stuhl bedeuten. Es ist aber der gleiche Wortstamm, mit dem die ersten Christ/innen zu beschreiben versuchen, dass der gekreuzigte Jesus in neuer Weise lebendig unter ihnen ist. Anastasis ist das theologische Wort „Auferstehung“ geworden. Der Kontext der Emmaus-Erzählung als Auferstehungserzählung und der direkte Anschluss an die Wandlungserfahrung des Brotbrechens, legen es dringend nahe, die theologische und nicht die alltagspraktische Bedeutung des Wortes hier zu vermuten.

Auferstehend also kehren sie nach Jerusalem zurück und bezeugen die Begegnungen mit dem Auferstandenen. Auferstehung ist durch das Brotbrechen ihre innere Wirklichkeit geworden. Es hat eine Wandlung in ihnen stattgefunden, die sich mit dem klassischen Instrumentarium der Transsubstantiationslehre so beschreiben lässt: Ihre Gestalt ist gleich geblieben, ihr Wesen aber ist in die Gegenwart des Auferstandenen gewandelt. Das ist es, was seither in jeder Eucharistiefeier sakramental geschieht. Durch die gewandelten Gaben von Brot und Wein, Leib Christi, wird die Gemeinde in die Gegenwart des Auferstandenen gewandelt, Leib Christi. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die beiden Jünger eben eine Jüngerin und ein Jünger sind – Mann und Frau werden in gleicher Weise gewandelt. Ihr Wesen ist Auferstehung, sie gehören zur Neuen Schöpfung.

 

Begegnung in der Gemeinschaft

Diese Wandlung erfahren weder die Christinnen und Christen heute, noch Maria und Kleopas damals einfach für sich, zur persönlichen Auferbauung, als mystisches Erleben, sondern als Zeugnis für die anderen. Das Brotbrechen ist auf die Wandlung der Gaben, die Gaben auf die Wandlung der Christinen und Christen hin geordnet. Die Wandlung der Christinnen und Christen aber konkretisiert sich im Zeugnis für die Auferstehung, in einem Leben aus der Auferstehung, in einem Leben im und für das Reich Gottes, unter neuen Werten, in neuer Gemeinschaft.

So stellt sich die fünfte Gegenwart des Auferstandenen ein, als die Jüngerinnen und Jünger versammelt sind und miteinander über ihre Erfahrungen im Glauben sprechen. Da trat Jesus in ihre Mitte. Und so bis heute.

 

Der Auferstandene aber ist unteilbar. Er ist immer ganz gegenwärtig, nie mehr oder nie weniger. Seine Gegenwart lässt sich nicht gewichten. Exemplarisch stellt die Emmaus-Erzählung also fünf verschiedene Weisen der Begegnung mit dem Auferstandenen gleichwertig nebeneinander – in der Begegnung im Alltag eines christlichen Paares, in der Aneignung des Wortes Gottes, im Brotbrechen der Eucharistie, als innere, gewandelte Wirklichkeit der Getauften und in der Gemeinschaft und im Austausch – und beschreibt so das neue Leben der Christinnen und Christen.

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