Die Pandemie hat dazu geführt, dass digitale Möglichkeiten auch im Raum der Seelsorge endgültig angekommen sind. Medial vermittelte und „unmittelbare“ Begegnungen folgen dabei einerseits den gleichen Regeln, andererseits erfordern die digitalen Rahmenbedingungen eine besondere Reflexion und Aufmerksamkeit seitens des/der Begleiter/in
Geistliche Begleitung in digitalen Räumen
Text: Siri Fuhrmann – Photo: vitamin/pixabay.com
Wir Menschen sind relationale, auf Beziehung ausgerichtete Wesen, die ihr Bewusstsein von sich selbst durch Widerhall erlangen.
Geistliche Begleitung findet immer in einem Raum zwischen zwei Individuen statt. Sie verortet sich als Resonanzgeschehen konkret in dem Raum, der zwischen Begleiter und Begleiteter entsteht. Für das Nachdenken über digitale Räume als Orte Geistlicher Begleitung ist meines Erachtens die Beziehung zwischen den Parteien bedeutsam. Der konkrete, mit GPS-Koordinaten lokalisierbare Raum, etwa ein Besprechungszimmer, wird als normale oder übliche oder typische Umgebung eines Geistlichen Gesprächs gesehen. Und sie wird es, weil es mehrheitlich so praktiziert wird, weil es als normal gilt, worin die meisten Erfahrungen vorhanden sind. Für das Nachdenken von digitaler Seelsorge scheint mir bedeutsam, unser menschliches „auf den Raum bezogen sein“ nachzudenken und „Raum“ als Begegnungsgeschehen zu verstehen, in dem sich eine Beziehung entwickelt und sie gepflegt wird.
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Theologische Einordnung
Theologisch ist davon auszugehen, dass Gottes Geist nicht Halt macht vor modernen Kommunikationsmitteln, ist doch die ganze Wirklichkeit – auch die Produktionen des Menschen – als Schöpfung auf Gott verwiesen. Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes „durch ihn wurde alles erschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, Könige und Herrscher, Mächte und Gewalten. Das ganze Universum wurde durch ihn geschaffen und hat in ihm sein Ziel.“ (Kol 1,15f) Was bedeutet es, wenn der Leib Christi online geht (Rei Lemuel Crizaldo, Digital Incarnation in: https://www.academia.edu/8803624/Digital_Incarnation pdf, 4 Seiten (20.07.2020), S. 1.) – für die Beziehungen, für die Gemeinschaften? Wenn der Leib Christi, die Kirche, Christus sinnenhaft erfahrbar macht, lebendig durch Menschen aus Fleisch und Blut, wie zeigt Gott sich gegenwärtig und wird erfahrbar in der digitalen Begegnung?
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Besonderheiten digitaler Begleitung
Worauf ist in der Begleitung besonders zu achten? Folgend einige Anmerkungen basierend auf meiner Arbeit mit digitalen Settings, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit der ausdrücklichen Einladung sie um andere zu ergänzen:
Mir scheint es geboten, die digitale Begegnung neben der analogen gleichberechtigt und als gleichwertig zu sehen trotz ihrer Unterschiede. Der digitalen Begegnung von Menschen fehlen den meisten technischen Voraussetzungen nach mindestens drei Sinneseindrücke: das Riechen, Schmecken und das Tasten. Anders gesagt: in der digitalen Begegnung konzentriert sich der Eindruck auf Sehen und Hören. Die Videotelefonie überbrückt eine große Distanz und rückt einen Menschen gleichzeitig sehr nah an unser Wahrnehmungsfeld heran. So wird unsere Aufmerksamkeit anders gebunden, als säße man beispielsweise in einem Besprechungszimmer auf zwei Stühlen. Digitale Medien verstärken und beschneiden zugleich unsere Sinne. (Crizaldo, a.a.O., S. 2)
Geistliche Begleitung stellt die Beziehung des/der Begleiteten mit Gott in den Mittelpunkt und verspricht einen sensiblen Umgang mit der (Glaubens-)Geschichte des/der Begleiteten. Dem dient die Begegnung der beiden Gesprächspartner/innen. Folglich muss diese in einem geschützten Rahmen stattfinden. Der/die Begleitete muss also auch unter digitalen Bedingungen die Sicherheit haben, dass nur er/sie im Fokus steht und dass niemand außer der Begleitperson Zugang zu dem Gespräch hat. Desgleichen gilt auch für die Begleiterin, die sich sicher fühlen sollte, dass dieses Gespräch unter zwei Menschen stattfindet und auch unter diesen beiden bleibt. Das Seelsorgegeheimnis ist im digitalen Kontext möglicherweise sensibler zu bewerten, da es von Voraussetzungen lebt, die nur partiell durchschaut und eingeordnet werden können. Es nötigt allen ein grundsätzliches Vertrauen in die Technik ab.
Aus Datenschutzgründen schließen sich derzeit Gespräche über WhatsApp und Facebook aus. Skype steht als Microsoft-Komponente ebenso im Verdacht, Sicherheitslücken aufzuweisen. Im kirchlichen Raum scheinen sich momentan Zoom, Big Blue Button und Jitzi meet durchzusetzen, wobei es sich hier um eine subjektive Einschätzung und nicht um das Ergebnis einer grundständigen Erhebung handelt. Eine Einordnung durch kirchliche und kundige Fachstellen wäre absolut nötig, da Fragen der Digitalität, des Datenschutzes usw. geklärt werden müssen.
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Digitale und analoge Begleitung
Es wird von manchen Begleiteten als hilfreich empfunden, wenn sich die Gesprächspartner/innen auch zwischendurch im analogen Setting treffen; es kann aber Begleiteten auch völlig gleichgültig sein und die Arbeitsbeziehung nicht wesentlich beeinflussen. Dann sollte sich auch der/die Begleiter/in auf diese Weise der Kommunikation einlassen können. Meines Erachtens hängt es davon ab, wie firm beide Gesprächspartner mit digitalen Medien sind.
Durch digitale Begleitung entfällt ein mitunter langer Anfahrtsweg bzw. werden große Distanzen überbrückt und im Gespräch vielleicht sogar Kontinente miteinander verbunden. Damit sollte innere Vorbereitung auf das Gespräch auf beiden Seiten nicht entfallen. Ich nehme mir vor dem Gespräch Zeit dazu und für die Reflexion im Nachhinein. Den Begleiteten empfehle ich es ebenso zu halten. Momentan begleite ich nur eine Person pro Tag, wenn ich mich digital treffe.
Ich habe mir angewöhnt, relativ ausführlich über die Grenzen dieser Medien zu sprechen, um dann die technischen Möglichkeiten der Begleiteten einbeziehend, die Begleitete eine Wahl treffen zu lassen, in welchem digitalen Raum wir uns sehen.
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Technische Bedingungen
Für beide Gesprächspartner gilt Sorge für Ruhe im Raum zu tragen. D.h. Geräusche von außen möglichst zu minimieren und Türen geschlossen zu halten. Genauso wie im analogen Raum stört das unvermutete Eintreten Dritter. Dafür sorgen beide Teilnehmer/innen dort, wo sie sitzen und ein verschlüsseltes Programm, dass nur den Gesprächspartnern Zutritt zum digitalen Raum eröffnet. Es hilft sehr, wenn alle Beteiligten mit Kopfhörern arbeiten. Außerdem sollten alle Programme, die nicht gebraucht werden auf dem jeweiligen Gerät geschlossen werden. Das hilft nicht nur der Geräuschvermeidung sondern dient auch der Selbstdisziplinierung, nicht doch noch mal verstohlen zu schauen, welche Email gerade reingekommen ist.
Eine stabile Internetverbindung unterstützt in hohem Maße eine ungestörte Gesprächsatmosphäre. Da die Möglichkeit, die andere Person wahrzunehmen auf den Bildschirmausschnitt beschränkt ist, kann eine instabile Verbindung z.B. zu einem eingefrorenen Bildschirm führen. Wenn ein wiederholtes Aufsetzen des Gesprächs nötig wird, kann das immens den Fluss der Unterhaltung stören.
Ein weiteres Thema, das während der Kontraktphase angesprochen sein sollte, ist die der Aufnahme. Es wird immer üblicher, dass Handys als Voice-Memory genutzt werden, um später Wichtiges nachhören zu können. Ich spreche das i.d.R. an und verabrede ausdrücklich, dass keine Partei Aufnahmen vom Gespräch macht.
Manche Dinge, aus denen im analogen Raum einer Geistlichen Begleitung möglicherweise eine große Sache gemacht wird („Gibt es etwas zu trinken oder nicht?; Wie ist der Raum vorbereitet? (Kerze, Hl. Schrift, bebildert, nicht bebildert etc.) regelt sich auf leichte Weise: Wer zu trinken mitbringt vor den Bildschirm, kann trinken. Wer es mag und wem es hilft, kann den eigenen Sitzplatz dekorieren und ausstatten. Wer keinen Eindruck von seinem tatsächlichen Aufenthaltsort geben möchte, kann sich bei den meisten Programmen und Apps mithilfe eines Greenscreens einen virtuellen Bildhintergrund geben, wobei ich es hilfreich finde, mein Gegenüber räumlich einordnen zu können (und nicht als Sternschnuppe mit Orionhimmel oder neben einer Palme auf den Bahamas). Die meisten Programme bieten die Option an, den Hintergrund weich zu zeichnen. So bleibt man als Gesprächspartner.in „einordbar“ und schützt gleichzeitig die eigene Privatsphäre.
Entscheidet man sich gegen einen virtuellen Hintergrund erscheint es geboten und sinnvoll, das, was hinter mir zu sehen ist, in einer relativen Ordnung zu haben und ggf. Bilder, die unruhig gestaltet sind, abzuhängen. Ich empfinde es auch als hilfreich, den Tisch frei von Büchern, Zetteln, anderen To-Dos zu halten, um mich besser konzentrieren zu können. Und es hilft ein Blick in das Talkfenster, in dem ich mich in der Ansicht des Anderen sehen kann, um evtl. Störungen zu reduzieren. Das kann Gegenlicht sein, das mein Gesicht im Dunklen belässt. Man kann verschiedene Ansichten einstellen, bei manchen Programmen kann man die Eigenansicht auch wegklicken.
Apropos Eigenansicht: Ich finde es relevant, darüber nachzudenken, ob mir eine solche Ansicht im Gespräch hilft oder ob sie mich stört. Denn das ist vermutlich das Unähnlichste verglichen mit einem anlogen Gespräch, dass ich mich in der Zuwendung zu einer anderen Person selbst ansehe. In geistlicher Hinsicht mag das passieren, dass ich mich im Anderen wiedererkenne, zunächst wende ich mich ja aber vor allem dem Anderen zu und bin offen für ihn oder sie, und nicht gewahr dessen, wie ich gerade wirke (munter oder müde, ungekämmt, geschminkt, mit hängenden Lidern oder genervtem Blick…).
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Besondere Chancen digitaler Begleitung
Geistliche Begleitung im digitalen Raum erlebe ich meist kürzer und intensiver. Dafür gibt es verschiedene Indizien: Man sitzt einander direkt gegenüber und nimmt je nach Einstellung und Abstand zur Kamera viele Regungen deutlicher und unmittelbarer wahr; die Unmittelbarkeit entlässt die Gesprächspartner nicht aus ihren Emotionen und gibt weniger Gelegenheit sie zu verbergen. Auch Pausen, die zu einem geistlichen Gespräch dazu gehören, lassen sich im direkten vis à vis Kontakt häufig schlechter aushalten; es stellt sich nicht nur in Geistlichen Begleitungen, sondern auch in Videokonferenzen ein gewisser „Reaktionsdruck“ ein.
Wenn schwierige, leidvolle Themen angesprochen werden, können die vorgenannten Aspekte einen Widerstand ausmachen. Wie hinderlich dann die Unmittelbarkeit empfunden wird, hängt sicherlich auch von der Vertrautheit der Gesprächspartner.innen miteinander und dem Umgang mit solchen Medien ab. Digital Natives merkt man kaum einen Unterschied an, sie sind vertraut damit, ihr Leben mittels digitaler Mittel zu zeigen und zu teilen. Insofern empfinden sie die Arbeit an der Gottesbeziehung und die Reflexion des Glaubens im Netz als einen konsequenten Schritt.
Menschen, die eigentlich (noch) nicht selbstverständlich über diese Medien im Alltag verfügen, werden das digitale Setting für „unnatürlich“ halten. Hier kann es helfen, als Teil des Gesprächs, ich mache das in der Regel am Ende, wenn beide einen Eindruck vom Szenario gewonnen haben, über die Bedingung ins Gespräch zu kommen.