Diese Zusage ist einer der berühmtesten Sätze des Neuen Testamentes. Schaut man sich den Adressatenkreis, den spezifischen Auftrag des Auferstandenen und den vom Evangelisten inszenierten Schauplatz auf dem Berg näher an, öffnen sich überraschende Perspektiven für die Zukunft von Kirche.

Ich bin bei Euch

Text: Peter Hundertmark – Photo: /pixabay.com

Kein Ort ist gottlos. Es gibt unzählige Weisen der Gottesgegenwart. Christ/innen glauben Christus anwesend, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, wo die Heilige Schrift gelesen wird, in den Sakramenten, bei den Armen… Die Zusage am Ende des Matthäus-Evangeliums wirkt so betrachtet auf den ersten Blick banal. Nun gut, Christus ist wirklich bei denen, die an ihn glauben. Der Schluss des Matthäus-Evangeliums wird deshalb meist als Rückversicherung gelesen. „Ja wirklich, wir sind nicht von Gott verlassen. Er ist mit uns auf unseren Wegen.“ Literarisch würde man von einem schwachen Schluss sprechen. Allerdings wirkt die Komposition des letzten Kapitels des Evangeliums durchaus so, als wolle der Schreiber einen ausgesprochen starken Schlussakkord setzen.

Ein erster Schlüssel könnten die Adressaten sein. Matthäus 28 baut sie sorgsam auf – kontrapunktisch gegen die Vertreter der jüdischen Autorität, die versuchen, die Botschaft von der Auferstehung zu unterdrücken. Matthäus führt sie als Jünger/innen ein, als diejenigen also, die die ganze Zeit mit Jesus unterwegs waren, Schüler/innen besonderer Unterweisung waren und über denen in der Komposition des Matthäus das Wort Jesu steht: „Wer mein/e Jünger/in sein will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz und folge mir.“ Und auch: „Der/die Jünger/in ist nicht größer als der Meister.“ Es sind also nicht die „Einser-Schüler“, es sind diejenigen, die ihr Leben an das Schicksal Jesu gebunden haben.

Der Begriff „Jünger“ ist bei Matthäus ein Existential, kein Amt und schon gar nicht etwas, was einfach so weiter gegeben werden könnte. Voraussetzung ist das „alles zu halten, was ich euch geboten habe“: Da geht es natürlich um die öffentliche Lehre Jesu, aber aus dem Kontext erschlossen, notwendig auch um die spezifischen, „privaten“ Anweisungen an die Jünger: das eigene Leben nach dem Leben Jesu zu gestalten, das Kreuz auf sich zu nehmen und Zeug/innen der Auferstehung zu sein. Jünger/innen werden Menschen, indem sie mit ihrer ganzen Existenz in die Nachfolge eintreten und aus dem Beispiel Jesu leben.

Die Frauen, die ersten Zeuginnen der Auferstehung, berichten den anderen Jünger/innen von ihrer Begegnung und nehmen sie damit in den Kreis der Zeug/innen auf, auch wenn sie selbst bei Matthäus dem Auferstandenen noch nicht begegnen. Im Auftrag an die Frauen wertet Jesus den Adressatenkreis seiner letzten Rede nochmals durch die Bestimmung „zu meinen Geschwistern“ – die den Willen seines himmlischen Vaters erfüllen (Mt 12,50) – weiter auf.

Zuletzt wird der Adressatenkreis ausdrücklich auf die elf Jünger zugespitzt, die Jesus in besonderer Weise ausgewählt hat, die namentlich aufgezählt werden und die auch beim Abendmahl dabei waren. Ihnen vertraut Jesus als Zeugen der Auferstehung seine Vollmacht an. Sie beauftragt er, aus allen Nationen Jünger/innen für ihn zu gewinnen, indem sie lehren und taufen.

Der Akzent des Matthäus darauf, dass der Auferstandene bei DEN Jüngern ist, die sich an ihn gebunden haben, sein Leben teilen, mit ihrem Leben Zeugen der Auferstehung sind, das Brotbrechen feiern und nun eigenverantwortlich in seine Sendung hineingenommen werden, ist nicht zu übersehen. So kann man das „bei Euch“ auch mit einem starken „Euch“ statt mit einem starken „bei“ lesen – also quasi als Ortsangabe für die Gegenwart Christi.

Diese Spur wird durch den Schauplatz verstärkt, an dem Matthäus die Szene ansiedelt: In Galiläa auf einem Berg. Aus der ganzen Komposition, spezieller aber noch einmal durch die kontrapunktische Profilierung der Jünger/innen gegen die Hohenpriester und Ältesten, deren Ort der Tempel ist, legt sich nahe, dass dieser Berg als Alternative zum Tempelberg inszeniert wird. Matthäus unterstreicht es sogar noch einmal, in dem er Jesus mit den klassischen Attributen einer Gotteserscheinung auftreten lässt. Die Jünger werfen sich zu Boden. Jesus präsentiert sich als göttlicher Herrscher über Himmel und Erde. Matthäus schreibt nach der Zerstörung des Tempels und bearbeitet deshalb immer wieder die Frage nach dem Ort Gottes. Übersetzt man also in dieser Linie, so endet das Evangelium mit einer „Ortsaussage“: So wie Gott früher im Tempel gegenwärtig war, so ist er nun bei den Jüngern. Die Jünger sind der neue Tempel.

Dabei geschieht ein weiteres auf der Bildebene. Die Jünger waren bisher als diejenigen definiert, die hinter Jesus her folgten. Nun schickt Jesus sie von sich weg zu allen Völkern. So wird aus dem „bei ihm“ als hinter ihm her, ein „bei euch“ als vor Jesus her. Der Auferstandene wechselt symbolisch den Platz und tritt hinter die Jünger. Da wo sie hingehen, da ist er mit ihnen, hinter ihnen her. Der Ort seiner Gegenwart wandert mit ihnen. Matthäus knüpft damit an die Frühzeit Israels an, als die Bundeslade als Ort der Gegenwart Gottes mit dem Volk durch die Wüste zog. Ging es damals jedoch darum, das verheißene Land zu finden, ist jetzt das Ziel, das verheißene Reich Gottes überall voran zu bringen, indem Menschen in die Nachfolge Jesu gerufen werden.

Diese neu zu gewinnenden Jünger/innen aus allen Völkern sind die neue Verheißung. Sie sind die Parallele zum gelobten Land, sind Gottes besonderes Eigentum und der Ort seiner Gegenwart. Damit geschieht nicht nur eine territoriale Ausweitung, sondern ein Paradigmenwechsel: Gottes Gegenwart ist keine geographische, sondern eine personale Wirklichkeit. Sie ist auch nicht an ein Gebäude oder sonst eine Struktur gebunden. Sie bindet sich an die Nachfolge und die Zeugenschaft für die Auferstehung. Damit öffnen sich heute durchaus spannende Perspektiven für eine kirchliche Wirklichkeit, die weniger material in Besitz und Dominanz und mehr personal auf die Nachfolge gegründet ist.

Der Auferstandene spricht in alle Zeiten hinein, auch heute: Ich bin bei EUCH. Ich bin dort, wo meine von mir ausgesandten Jünger/innen leben, wirken, lehren, taufen und wieder Menschen für die Nachfolge Jesu zu gewinnen suchen.

 

 

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