In seinem Exerzitienbuch gibt Ignatius von Loyola (1491-1556) auch Hinweise für eine gelingende Seelsorge. Sehr fremd und scheinbar ganz vormodern weiten sie doch in hilfreicher Weise das Feld der Achtsamkeit. Ein Kommentar zur einleitenden Anmerkung 7 erschließt einige zentrale Elemente.

Trösten, ausrichten, warnen, befreien – Elemente ignatianischer Seelsorge

Beirtrag: Peter Hundertmark – Photo: Pexels/pixabay.com

Exerzitienbuch, Anmerkung 7: Wenn der, welcher die Übungen gibt, sieht, dass sich der, welcher sie empfängt, in Trostlosigkeit und Versuchung befindet, soll er sich ihm gegenüber nicht hart und mürrisch, sondern freundlich und sanft verhalten.  Er soll ihm für künftig Mut und Kräfte geben und ihm die Listen des Feindes der menschlichen Natur aufdecken und ihn veranlassen, sich auf die kommende Tröstung vorzubereiten und einzustellen.

Diese Anmerkung 7 ist den zwanzig Hinweisen für den/die Begleiter/in entnommen, mit denen Ignatius von Loyola sein Exerzitienbuch beginnt. Diese Hinweise sind für die Begleitung von Exerzitien, für Geistliche Begleitung, aber auch für jede Seelsorge hilfreich. In Anmerkung 7 beschreibt Ignatius die Beziehung zwischen Begleiter/in oder Seelsorger/in und dem/der, der/die die Exerzitien macht bzw. Seelsorge sucht.

Der erste Punkt und die Grundlage alles Weiteren ist die Zuwendung des/der Begleiters/in in Empathie und Compassion  – Worte die Ignatius natürlich noch nicht kannte. Wenn die Situation und das innere Geschehen des/der Gesprächspartners/in es erfordern, soll er/sie warmherzig, stützend, tröstend agieren, Mut machen, Hoffnung zeigen, beistehen. Das entspricht bis heute ganz der allgemeinen Erwartung an eine/n Seelsorger/in.

Mit dem Hinweis auf kommende Tröstungen erweitert Ignatius das Geschehen zwischen der/dem (mütterlich) tröstenden Begleiter/in und dem/der Seelsorge Suchenden jedoch um eine weitere Dimension. Tröstungen sind in der Sprache des Ignatius ein terminus technicus und immer Wirkung und Gabe Gottes, die ihre Basis in der Zuwendung eines Menschen hat, sich aber nicht darin erschöpft. Die Beziehung zwischen dem/der Begleiter/in und dem/der Übenden bzw. Seelsorge Suchenden ist auf das Handeln Gottes hin offen. Klemens Schaupp spricht deshalb, um diese spezifische Weise menschlicher Kommunikation zu beschreiben, von „Trialog“ – einem kommunikativen Geschehen zwischen drei Partnern.

Trost, Wandlung, neue Lebensperspektive… geschehen also, folgt man Ignatius, nicht ausschließlich durch die Beziehung zwischen den Gesprächspartner/innen. Im Gegenteil, der/die Begleiter/in soll sich zurücknehmen, soll sich quasi durchsichtig machen auf das Handeln Gottes hin. Deshalb wird er/sie auch so weit als möglich versuchen, wechselseitige Bindungen zu vermeiden, Übertragungen und Gegenübertragungen offen zu legen und auf diese Weise in ihren Auswirkungen so weit als möglich zu begrenzen. Unter anderem durch diesen Verzicht, das Spiel der Übertragungen zu nutzen, unterscheidet sich eine ignatianisch geprägte Seelsorge von vielen Therapiekonzepten.

Der/die Begleiter/in dient auch nicht – wie in einigen Seelsorgekonzepten – als Rollenvorbild, er/sie ist kein Guru, kein/e spirituelle/r Lehrer/in, kein verehrungswürdige/r Heilige/r. Vielleicht ist er/sie all das auch, aber in Seelsorge, Begleitung und Exerzitien darf dies – so Ignatius – keine Rolle spielen. Übungen, Begleitung, Seelsorge zu geben und Übungen, Begleitung, Seelsorge zu empfangen ist und bleibt eine zeitlich eng begrenzte, freilassende Arbeitsbeziehung zwischen zwei Erwachsenen, die dem Handeln Gottes Raum geben soll. Anschließend gehen beide Gesprächspartner/innen wieder ihrer Wege und es bleibt keinerlei ein- oder wechselseitige Verpflichtung zurück. Es muss und soll keine (geistliche) Freundschaft entstehen. Es darf keine Bindung oder gar Abhängigkeit wachsen.

In der Anmerkung 7 klingt aber auch eine weitere, im modernen Kontext erst einmal befremdende Aufgabe des/r Begleiters/in an. Er/sie soll dem/r Übenden bzw. Seelsorge Suchenden helfen, die „Gegenseite“ zu durchschauen und so ihren Einfluss zurück zu drängen. Ignatius spricht vom „Feind der menschlichen Natur“ – von der Kraft, die den Menschen gegen seine eigenen tiefen Bedürfnisse und sein eigentliches Streben, gegen sein Leben und Glück, gegen seine Existenz und gelingende Gestalt in Stellung zu bringen sucht. Dass es solche Kräfte gibt, ist allgemeinmenschliche Erfahrung. Paulus beschreibt es in Röm 7, 9: „Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will.“ Sigmund Freud beschreibt ähnliche Tendenzen als „Todestrieb“, eine Grundkraft im Menschen, die sich gegen die Lebenskraft und den Lebenswillen wendet.

Ignatius folgt dabei vormodernen Vorstellungen von einer Kraft des Bösen als Eigenwirklichkeit, einer Vorstellung, der man ausgerüstet durch die Erkenntnisse der Psychologie heute sicher so nicht mehr folgen wird. Ihm kommt es aber primär auf das Erleben des/r Suchenden an: Sehr belastende Situationen werden – auch diesseits von psychischen Erkrankungen und ohne irgendeinen Zusammenhang mit exorzistischen Vorstellungen – immer wieder beschrieben, als agiere im Menschen eine von außen oder aus der eigenen Geschichte kommende, übergriffige Macht. Diese Kraft scheint den Menschen unfähig zu machen, gemäß seiner Einsicht oder seines erklärten Willens zu handeln. Ob dies nun aus dem Unterbewussten des Übenden selbst stammt, aus einem postulierten kollektiven Unterbewussten, eine externe Kraft eigener Wirklichkeit ist… kann dabei getrost offen bleiben.

Der/die ignatianisch geschulte Begleiter/in bzw. Seelsorger/in sollte um die Wirkungen des „Feindes der menschlichen Natur“ wissen, mit ihnen rechnen, die Wirkweise und Muster durchschauen können. Ziel ist dabei keineswegs, den/die Gesprächspartner/in aus der Verantwortung für sein/ihr Handeln zu entlassen. Ganz im Gegenteil geht es darum, ihm/ihr zu ermöglichen, sich aktiv von solchen negativen Mustern und (scheinbaren) Fremdbestimmungen distanzieren zu können, indem diese aufgedeckt werden. Ziel ist die je größere Freiheit und damit die je umfassendere Fähigkeit, Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen zu können.

Dabei ist das Seelsorgeverständnis des Ignatius grundsätzlich zukunftsorientiert und darin sehr optimistisch. Es kommen Tröstungen: Gott wird zugunsten des Menschen handeln und dieser kann sich darauf vorbereiten und durch seine innere Einstellung dazu beitragen. Freiheit, Verantwortung, Tröstungen… fallen dann in eins.

Ignatius bietet damit eine komplexe Perspektive auf seelsorgliche Kommunikation an. Beteiligt sind nicht nur die beiden Gesprächspartner/innen mit ihrem Verhalten, ihren Prägungen, ihrer Geschichte und ihrer Einbindung in ein soziales Umfeld, auch Gott selbst durch seinen Geist und der Feind der menschlichen Natur wirken in das Geschehen hinein. Der/die Seelsorger/in oder Begleiter/in soll alle diese „Beteiligten“ in seinem kommunikativen Verhalten im Blick behalten.

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