Vierzig Tage Gebet: ein vielleicht extremes Beispiel. Gebet ist die Seele der Religion. Aber wenn es um kirchliches Planen und Strukturen geht, läuft Beten oft neben her. Gebet als Mitte jeder Kirchenentwicklung zu leben, fordert heraus, weist aber neue Chancen.

Vierzig Tage Gebet

Artikel: Peter Hundertmark – Photo: Pexels/pixabay.com

Vierzig Tage Gebet – da klingen die vierzig Tage Jesu in der Wüste an. Auch die Gebetserfahrungen des Propheten Elija in der Wüste und die vierzig Jahre Wüstenwanderung des Volkes Israel nach der Flucht aus Ägypten schwingen im Hintergrund mit. Wüste als Ort der Gotteserfahrung. Vierzig scheint eine biblische Maßeinheit für das Gebet in großer Verunsicherung – auf der Suche nach neuem Land, nach neuer Ausrichtung, nach neuer Sendung – zu sein.

Vierzig Tage Gebet ist aber auch eine pastorale Idee, auf die wir im Rahmen einer Studienreise nach England zufällig gestoßen sind. Wüste ist da eher im übertragenen Sinn zu verstehen. Rundherum ist es grün und weder Wasser, noch Nahrung, noch Hitze sind ein Problem. Aber für Kirche ist da viel „Wüste“. In England ist die Entkirchlichung noch viel umfassender als in Deutschland. Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung lassen sich in irgendeiner Weise von christlichen Angeboten ansprechen.

Dennoch sind die Kirchen in England sind seit mehr als zehn Jahren im Aufwind. Sie starten von ganz kleinen Zahlen, aber sie wachsen. Mehrere Reisen und eine Vielzahl von Begegnungen haben mir die Möglichkeit gegeben, den Erfolgsfaktoren nachzuspüren. Die Gründe sind sicher vielfältig, ein Element aber fällt immer wieder ins Auge: Es wird gebetet. Eine banale Aussage über Kirche? Eigentlich schon, aber auch nicht…

Vierzig Tage Gebet in der „Wüste“: Eine anglikanische Pfarrerin wird in eine ländliche Pfarreiengemeinschaft versetzt. Sechs Gemeinden – alle winzig, aber mit mehrhundertjährigen Traditionen. Es werden kaum Erwartungen an sie herangetragen. In allen Kirchen versammeln sich zwischen drei und zehn Personen zum Gottesdienst. Ganze vier Konfirmanden warten auf Ihren Unterricht. So beginnt sie ihre Tätigkeit mit einem vierzigtägigen Gebet – alleine. Wo ist Gott hier? Was will Gott hier tun? Was will Gott durch mich tun? Was wird gebraucht? Wo ist ein Anfang?

Szenenwechsel: Gottesdienst in einer großen, lebendigen Gemeinde in London. Gegen Ende finden sich im Seitenschiff Menschen ein, die für den individuellen Gebetsdienst weitergebildet sind. Gottesdienstbesucher/innen werden eingeladen, nach vorne zu kommen. Sie können jetzt in persönlichen Anliegen im Einzelkontakt für sich beten lassen. Die Gemeinde unterstützt durch eine betende Atmosphäre – im Gebet für die Beter/innen und für die, die Gebet suchen.

Andernorts kommen früh morgens Menschen zusammen, die im Dorf und seiner direkten Umgebung in irgendeiner Weise in Verantwortung für Kirche und kirchliche Aktivitäten übernommen haben. Fünf verschiedene Konfessionen sitzen da zusammen. Sie beginnen mit einem kurzen liturgischen Gebet, sie hören auf die Tageslesungen, sie halten eine Stille, sie beten in den Anliegen der Region. Beim anschließenden Frühstück vereinbaren sie Begegnungen, Projekte… Und enden mit Gebet und wechselseitigem Segen.

Drei von tausenden Situationen. Gebet begleitet das kirchliche Leben in England auf Schritt und Tritt: Planungssitzungen ebenso wie freundschaftliche Treffen, soziale Aktionen genauso wie Vorträge, Begegnungen und Entscheidungen. Gebetet wird in Gottesdiensten, aber das gemeinschaftliche Gebet ist auch aus den Kirchgebäuden ausgewandert und hat neue Orte in Privatwohnungen, Cafes, Dorfgemeinschaftshäusern, Schulen, Sozialprojekten… bezogen. Der Stil ist auf den ersten Blick von der charismatischen Erneuerung geprägt. Schaut man genauer hin, zeigen sich jedoch ganz unterschiedliche Gebetsformen.

Allen Formen gemeinsam ist, dass sie mit einer Ausrichtung auf Gottes Gegenwart beginnen. Gott wird als wirkende Kraft für den Alltag und in den Alltag  einbezogen. Von da aus trennen sich die Gebetsformen nach den konkreten Anlässen. Fürbittendes und segnendes Gebet – für Einzelne, Gruppen, Projekte… – spielt dabei eine große Rolle. Viel Zeit aber wird auch für erwägendes und unterscheidendes Beten aufgewandt – eine Weise, auf Gottes Wirken und Wollen hin zu horchen. Es wird aber auch betend geplant. Dafür wurde der Begriff des „prayerful thinking“ geprägt. Gebetet wird ausgehend von der Heiligen Schrift – Leitidee: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte“ (Ps 119,105) Gebetet wird, um es Gott leichter zu machen, die Betenden zu prägen, mit Charismen zu begaben, für seine Sendung einzusetzen. Gott zu loben und ihm zu danken, ist ebenfalls selbstverständliche, tägliche Praxis wo immer Christinnen und Christen zusammen kommen.

Was passiert dadurch? Kirche und alle ihre Lebensäußerungen, und seien sie noch so ausschließlich caritativ – sind in eine betende Atmosphäre getaucht. Es ist eine Atmosphäre, die Menschen einlädt, selbst auch ihr Leben mit Gott in Beziehung zu setzen. Beter/innen prägen das Erscheinungsbild von Kirche. Aber immer wieder stellen sich auch ganz praktische Effekte ein. Durch das fortwährende, bittende, wägende, achtsame Beten gelingt es, an die Kraft Gottes in seinem Geist anzuschließen: Klarheit stellt sich ein, „Türen“ gehen auf, Unterstützung taucht auf, Energie fließt und bringt Projekte voran. Gott wirkt. Wirklich. Manchmal mit ganz kleinen Zeichen, manchmal aber auch überwältigend groß und überraschend.

Aber zurück zum Ausgangsbeispiel: Nach dreißig Tagen kam eine Frau ins Pfarramt der oben erwähnten Pfarrerin. Sie wollte nach langer Abstinenz wieder Kontakt zu Glaube und Kirche aufnehmen, wusste aber nicht wie. Nur eine Einzige – aber Anlass für einen Glaubenskurs, für den sich weitere Menschen ansprechen ließen. Zehn Jahre später ist eine siebte Gemeinde aus Hauskreisen entstanden. Eine Frucht des Gebetes? Oder ein glücklicher Zufall? Längst nicht immer schließt sich eine Erfolgsgeschichte an. Manchmal aber doch.

Und so ist sind die Kirchen in England wieder vorsichtig optimistisch. Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist wohl, dass gebetet wird.

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