Die Gottesrede der Christen ist in der Moderne stumpf geworden. Die Bilder der Bibel sprechen nicht mehr. Aber lassen sich technische Gott-Bilder finden? Gelingt ein Transzendenz-Sprung aus der naturwissenschaftlichen Welt, wie er früher aus nomadischer oder bäuerlicher Welt möglich war?

Gott: Photon und Lichtwelle

Text: Peter Hundertmark – Photo: kangbch/pixabay.com

Vor gut achthundert Jahren formuliert ein Konzil im Lateran einen theologischen Satz, der einer der wichtigsten Treiber theologischer Entwicklung wurde: Wann immer etwas über Gott ausgesagt wird, ist die Unähnlichkeit bleibend größer als die Ähnlichkeit. Das bedeutet einerseits, dass mit Vergleichen aus der geschaffenen Welt sinnvoll etwas über Gott gesagt werden kann. Ein Vergleich ist möglich. Aus der Erfahrung mit dem Wirken Gottes können Bilder, Symbole, Metaphern, aber auch beschreibende religionsphilosophische Sätze abgeleitet werden, die wiederum anderen Menschen helfen, ihre Erfahrungen zu deuten. Zugleich bleibt die Unähnlichkeit jedes Vergleiches immer größer. Jeder Vergleich hinkt, denn Gott ist nicht Teil dieser geschaffenen Welt. Wer er in sich ist, wissen wir nicht und können wir nicht wissen. Kein Bild, keine Beschreibung, kein noch so durchdachter theologischer Satz fasst Gott. Kein Bild ist absolut. Jede Zeit und jeder Ort kann und muss mit ihren philosophischen Mitteln, mit ihrer Lebenserfahrung und aus ihrer Lebenswelt heraus, neue Bilder für Gott finden – und sie zugleich wieder relativieren.

Keine Beschreibung Gottes kann allein genügen. Es braucht immer eine Symphonie von Bildern, ein ganzes Mosaik… und auch dieses Mosaik fällt wieder unter den Analogiesatz des Laterankonzils. Aber „Gott“ nimmt Schaden, wenn darauf verzichtet wird, ihn stets mit neuen Bildern auszusagen. Natürlich, nicht Gott selbst nimmt Schaden, aber seine Möglichkeit, mit Menschen in Interaktion zu treten, wird unangemessen begrenzt, wenn keine Bildworte benutzt werden, die zeitgenössisch anschlussfähig sind. Die lange von der katholischen Kirche gehegte Abneigung gegen die Gedanken der Aufklärung, gegen Demokratie und moderne Naturwissenschaft hat zu einem solchen Bildverlust, zu einem faktischen Ikonoklasmus, geführt. Gott nicht mit Vergleichen aus Naturwissenschaft, Technik, Informatik und digitalen Welten auszusagen, ist ein theologischer Sündenfall. Die Weigerung, das naturwissenschaftliche Weltbild und Weltverstehen zu nutzen, um Gott zu beschreiben, hat Gott für einen Großteil der europäischen Menschen unerklärlich und unerreichbar gemacht. 

Klassische, aber vormoderne Bildworte für Gott haben ihren unmittelbaren Sinn verloren. Die Beschreibung Gottes als unbeschränkter Herrscher über Himmel und Erde zum Beispiel, breit biblisch und in der Tradition belegt, löst eher Unwohlsein aus. Unbeschränkte Herrscher sind heute Diktatoren mit ihren Unrechtsregimen. Aber wer mag schon mit einem Gott zu tun haben, dessen Beschreibung unwillkürlich an Hitler und Stalin, an Pinochet und Pol Pot denken lässt? König, Richter, Hirte, Burg… kennen ein ähnliches Schicksal. Leichter scheinen es die Bilder zu haben, die aus dem menschlichen Nahbereich entnommen sind: Freund, Bruder, Vater, Liebe… Aber am Beispiel des „Vaters“, des Bildwortes für Gott, das Jesus selbst am kostbarsten war, spürt man unmittelbar die Ambivalenz. Warum nicht Mutter? Und wenn die Vatererfahrung ganz schrecklich war? Wenn Gott Vater ist, bleiben wir Menschen dann immer unmündige Kinder? Ohne Ambivalenz hingegen verkommen diese Bilder leicht zum Kitsch und zur Vertröstung.

Diese vormodernen Bilder sind nicht falsch. Sie sagen Richtiges über Gott, auch wenn sie für heutige Menschen oft mühsam erschlossen werden müssen. Sie sind und bleiben wertvolle Steine des großen Mosaiks der Namen Gottes. Aber sie stammen aus einer anderen Welt. Um sie nutzen zu können, müssen Menschen des 21. Jahrhunderts einen intellektuellen Sprung vollziehen: aus ihrer natur- und humanwissenschaftlich, ökonomisch und demokratisch geprägten Alltagswelt in eine mythische Sonder-Bild-Welt. Das kann durchaus reizvoll sein, geschieht aber um den Preis, dass der eigene Alltag religiös stumm bleibt und nicht von Gott zu sprechen scheint.

Gott ist Licht

Als Beispiel für einen modernen, naturwissenschaftlichen Versuch Gott neu zu sagen, möchte ich einen Vorschlag von Markolf Niemz in seinem Buch „Die Welt mit anderen Augen sehen“ aufgreifen und theologisch weiterdenken. Niemz weist darauf hin, dass entgegen unserer Alltagwahrnehmung für Licht jede räumliche und zeitliche Distanz null ist. Mathematisch ist es zwar herausfordernd darzustellen, aber die Relativitätstheorie ist eindeutig: ein Photon ist jedem Zeitpunkt und jedem Ort gleichzeitig gegenwärtig. Diese Null ist eine absolute Konstante. Möglich ist das, da Photonen masselose Energie sind. Hätten sie Masse, wäre diese unendlich groß. Sie besitzen also selbst keine Materie, können aber mit Materie interagieren und Veränderungen bewirken.  

Dass Gott Licht ist, im Licht wohnt… ist eine traditionelle Gottesrede, die weit über den biblisch-christlichen Kontext hinaus weist. Die Verehrung des Lichts in Gestalt der Gestirne greift ähnlich weit in der Menschheitsgeschichte zurück, wie die Verehrung der Fruchtbarkeit. Die Anlage von Stonehenge möge als bekanntes Beispiel genügen. Zugleich findet sich diese Metapher an zentraler Stelle der neutestamentlichen Verkündigung im Johannesprolog: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“

Physikalisch lässt sich Licht als Welle und Photon beschreiben, wobei dieses „und“ weder additiv noch alternativ zu verstehen ist. Entscheidend ist die Frage, die an das Licht gestellt wird. Damit bietet sich Licht an, um die christliche Lehre, dass Jesus ganz Gott und ganz Mensch ist – „unvermischt und ungetrennt“  – durch eine physikalische Metapher zugänglich zu machen.

Photonen

Nimmt man nun die Eigenschaften von Photonen her, um die Rede von Gott als Licht modern theologisch zu entschlüsseln, so bieten sich gleich mehrere Vergleichspunkte an.

Dass jedes Photon zu jedem Ort und jeder Zeit in einer Null-Distanz steht, ermöglicht es im Bild auszusagen, dass Gott zu jeder Zeit, von jedem Menschen und jedem Ort der Welt aus in gleicher Weise erreichbar ist. Er ist nicht dem Vergehen der Zeit unterworfen. Er ist nicht räumlich beschränkt. Er ist jedem Datum gleichzeitig und an jedem Platz gegenwärtig. In ihm sind zudem alle Wirklichkeit und alle Erfahrung in einem „Nu“ gesammelt. Und dieses „Nu“ ist nichts, nichts Weltliches, nichts Materielles, keine zeitliche Erstreckung. Wäre es etwas, wäre es zugleich alles. So lässt sich nebenbei das mittelalterliche christliche, wie kabbalistische Problem auflösen, wie Gott etwas schaffen konnte, wenn er doch alles ist. Gott braucht in diesem Bild gesprochen keine willentliche Selbstbegrenzung, um schöpferisch werden zu können. Er ist Energie ohne Masse, transzendente Wirklichkeit ohne Dinglichkeit, oder scholastisch-ontologisch gesagt: Gott ist reines Sein ohne Seiendes. Die Eigenschaften der Photonen erzählen von Gott.

Die Null-Distanz in der alle Wirklichkeit gesammelt gegenwärtig ist, lässt sich nun auch eschatologisch weiterdenken. Was geschieht mit Menschen, wenn sie sterben? Im antiken Weltbild kommen sie in eine Anders-Welt, vielleicht auch in einen Zwischenzustand. Was aber mag das sein? In einem aufgeklärten Weltbild ist das schwierig. Die traditionellen Himmelfahrtsbilder wirken für naturwissenschaftlich denkende Menschen unfreiwillig komisch. Christliche Kernaussage ist jedoch nicht die Anders-Welt, sondern dass die Verstorbenen bei Gott sind. So wird von Jesus gesagt, dass er als Auferstandener „sein Leben bei Gott lebt“. Könnten wir also sagen, dass die Verstorbenen in die Null-Distanz Gottes, in diese gesammelte Gleichzeitigkeit und Allgegenwart Gottes eingehen, dass sie dem Vergehen und dem damit gegebenen Leiden nun entzogen sind, zugleich aber an allen jemals gemachten Erfahrungen,  Begegnungen, Beziehungen… teilhaben? Dass wir so auch wieder in Einheit mit unseren früher verstorbenen Lieben sind und zugleich auch mit denen verbunden, die uns überleben? Natürlich zeigt auch dieses Bild nur einen Teil der Wirklichkeit. Dass wir im Sterben mit uns selbst identisch bleiben, der Auferstandene an den Wundmalen erkannt werden kann… diese Überzeugung unseres Glaubens braucht weitere, andere Bilder. Kein Steinchen ist das ganze Mosaik. Aber Photonen sprechen von unserer Hoffnung.

Auch glauben Christinnen und Christen, dass Gott in die Welt hinein wirken kann. Physikalisch ist das schwierig, da es scheinbar mit dem Energieerhaltungssatz kollidiert. Könnten wir die Fähigkeit der Photonen, Energie auf Masse zu übertragen, ohne selbst Masse zu sein, nutzen um das Wirken eines transzendenten Gottes auf die Wirklichkeit der Welt, Gott also wirkmächtige Energie zu bebildern? Kraft und Energie sind immerhin zentrale Worte des Neuen Testamentes für Gott („dynamis“ und „energeia“). Wiederum lässt sich damit nicht alles sagen, denn Gott ist nicht eine neutrale kosmische Energie, sondern eine gerichtete Kraft, die das Gute will und das Gute vollbringt. Gott kann auch nicht angezapft und verwertet werden, denn er ist auch souveräner Wille. Er ist auch personales Gegenüber. Wieder müssen die Bilder ergänzt werden, um sich gegenseitig zu korrigieren. Und doch können Photonen uns erklären, wieso wir Gott erfahren können.

Wellen

Licht ist aber auch Welle. Im Gegensatz zur Photonenwirklichkeit des Lichtes ist der Wellencharakter unserer Wahrnehmung leichter zugänglich. Wir können Entfernungen zu anderen Sternen in Lichtjahren aussagen, können die Ausbreitung des Lichts in der Dunkelheit beobachten, wissen mit wie wenig Aufwand Licht ausgesperrt werden kann, dass es sogar lichtlose Räume gibt, freuen uns an den vielen Farben des Lichts, die auf die unterschiedlichen Wellenlängen zurückzuführen sind, erleben Licht als wesentlich für unsere psychische Befindlichkeit.

Aus diese physikalischen Eigenschaften des Lichtes können uns von Gott sprechen, von seiner Gegenwart und seinem Wirken in unserer Welt. „Das Licht kam in die Welt, aber die Finsternis hat es nicht ergriffen.“ Wir wissen, wie leicht Gottes Wirken aufzuhalten ist, wissen um die Macht der Sünde, wissen um den Widerstand, den die Materie und die an die Materie gebundenen Menschen Gott entgegensetzen. Die Heilige Schrift erzählt, wie langsam und unter Rückschlägen sich Gott in der großen, wie in der je individuellen  Geschichte durchsetzt, wie unermüdlich er daran arbeitet, Unheilsgeschichte in Heilsgeschichte zu wandeln. Um daran festzuhalten, dass Gott sich letztlich durchsetzt, das Leben über den Tod triumphiert, braucht es weitere Bilder, denn physikalisch ist das unentscheidbar. Dennoch: Lichtwellen sind eine sprechende Metapher für die Ausbreitung Gottes in der Welt, für Gott der sich den Bedingungen der Welt unterwirft und in ihr zu handeln sucht. 

Wenn wir um der menschlichen Freiheit willen, an der Denkmöglichkeit einer Hölle festhalten, also an der Möglichkeit, sich gegen Gott zu entscheiden und einen gottlosen Ort zu wählen, so kann das vielleicht zeitgenössisch sprechender mit einem vollkommen lichtlosen, und auch allen anderen sensorischen Möglichkeiten entzogenen Raum beschrieben werden, denn mit den Bildwelten von Dantes Höllenfahrt oder mit den Schreckensvisionen eines Pieter Breughel. Dass Christus in seinem Hinabsteigen in die Unterwelt die Hölle als ungöttlichen Ort zunichtemacht, lässt sich damit nicht sagen. Aber Lichtwellen als Bild können uns vor den radikalen Konsequenzen unseres Handelns warnen.

Das Schönste am Licht sind die Farben. Lichtwellen können unendlich differenziert moduliert werden. Sie erzählen damit ganz physikalisch von der Vielfalt Gottes und von seiner Schönheit. „Doxa“, die Herrlichkeit Gottes – wörtlich eigentlich der Lichtglanz, ist ein weiteres Zentralwort des Neuen Testamentes für Gott. Zugleich entstehen die Farben erst im Zusammenspiel von Lichtreiz mit den Fotorezeptoren unseres Auges. Farben sind radikal individuell. So kann jede Farbe zum Anstoß werden, um das je individuelle, partnerschaftliche Zusammenwirken von Gott und Mensch zu meditieren.  

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