Jede Zeit nutzt ihre Alltagserfahrung, um Bilder zu schaffen, die von Erfahrungen mit Gott sprechen. Heute leben wir in einer Welt, die wesentlich von Technik und Naturwissenschaft geprägt ist. Höchste Zeit in unserem Alltag nach Worten für Gott zu suchen.

Gott, der Erlöser: das passende Lösungsmittel für jeden

Text: Margit Maar-Stumm – Photo: JalynBryce/pixabay.com

„Gleiches löst sich in Gleichem, Ähnliches in Ähnlichem…“  lautet ein Grundprinzip in der Chemie seit Jahrhunderten. Wenn passende Einzelstoffe miteinander reagieren, kann etwas Neues und Faszinierendes entstehen.

Ein Lösungsmittel als Bild für Gott, den Erlöser?

Es ist verlockend, dieses Grundprinzip der Chemie „Gleiches löst sich in Gleichem“ als Metapher für unsere Beziehung zu Gott zu betrachten. Mein Ansatz ist dabei unsere Gottesebenbildlichkeit. Als Bild Gottes sind wir geschaffen, ihm ähnlich.

Stoffe lösen sich sehr gut in Lösungsmitteln, die ihnen vom chemischen Aufbau und der Polarität ähnlich sind. Beim Prozess des Lösens tritt die Substanz mit dem Lösungsmittel in Wechselwirkung. Ich stelle mir vor: Gott tritt wie ein Lösungsmittel in Wechselwirkung zu dem Geschaffenen je nach dem Fassungsvermögen des Geschaffenen. Es gibt Stoffe, die in jedem Verhältnis miteinander mischbar sind wie Alkohol und Wasser. Es gibt aber auch Stoffe, die sich nur bis zu einem gewissen Grad ineinander lösen wie Mehl in Wasser. Die persönliche Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf entspricht dabei der spezifischen Wechselwirkung, entsprechend dem Charakter, der Struktur des Einzelnen.

Man unterscheidet zwischen polaren Lösungsmitteln wie Wasser und unpolaren Lösungsmitteln wie Öl. Je unähnlicher Struktur und Polarität der Stoffe zueinander sind, desto weniger lösen sich Stoffe ineinander. Denken Sie an ein Salatdressing, bei dem sich Essig und Öl kaum zu einer homogenen Sauce verarbeiten lassen, wohingegen sich Wasser und Wein gut zu einer Schorle mischen.

Im Blick auf Gott könnte man analog sagen: Er ist das passende Lösungsmittel für jede*n. Er kommuniziert so mit dem Menschen, dass jede*r ihn verstehen kann,  obwohl die Charaktere und Ansichten verschiedener Individuen diametral entgegengesetzt sein können. Ich denke, für Gott gibt es keine wertende Unterscheidung zwischen Polarität und Nicht-Polarität. In ihm sind alle scheinbare Gegensätze, unterschiedliche Polaritäten vereint – eine Spekulation, die sich mit zentralen Aussagen der klassischen Trinitätslehre zu treffen scheint.

….genauer betrachtet

Greifen wir uns einmal zwei zwischenmenschliche Aspekte des Bildes von Gott als Lösungsmittel heraus:

Zwischen polare und unpolare Substanzen kann eine „Brücke“ eingefügt werden. In der Chemie sind das Hilfsstoffe wie zum Beispiel Tenside, die von ihrer Struktur her sowohl einen polaren Teil als auch einen unpolaren Teil aufweisen. Sie können wie ein Verbindungsstück zwischen beiden Substanzen sitzen und zwischen den Polaritäten vermitteln. Ein zauberhaftes Beispiel dafür sind Seifenblasen, bei denen eine dünne Wasserhaut (polar) in Form einer Blase Luft (unpolar) umschließt.  Seifenmolekülen stabilisieren eine Zeitlang diese Wasserkugel, indem sie an der Innenseite der Blase zur eingehüllten Luft und an der Außenseite zur Umgebungsluft zwischen den Polaritäten vermitteln.

Solch eine „Brücke“ wird gebraucht, wenn menschliche Charaktere aufeinander prallen, um die unterschiedlichen Temperamente zu einem gelingenden Dialog zu führen. Es gibt Menschen, die diese Gabe der Vermittlung als ihr besonderes Charisma gegeben ist. Sie handeln durch den Geist Gottes im Sinne Gottes, der alle miteinander verbinden will, Versöhnung und Einheit schaffen.

Der zweite Aspekt betrifft das Bild „Gott als Lösungsmittel“ für eine Gemeinschaft. In der Chemie spricht man von einer homogenen Lösung, wenn der im Lösungsmittel gelöste Einzelstoff und das Lösungsmittel wie eine Einheit aussehen. Nur auf molekularer Ebene erkennt man weiterhin einen Unterschied zwischen beidem. Gleiches gilt für homogene Vielstoffgemische wie Weine. Sie lassen sich in einem ihnen in Struktur und Polarität ähnlichen Lösungsmittel mischen, ohne dass man die einzelnen Stoffe makroskopisch unterscheiden könnte.

Je nach Grundsubstanzen in den Vielstoffgemischen können bei gleichem Lösungsmittel (Wasser) ganz unterschiedliche Getränke resultieren wie zum Beispiel Wein oder Kaffee. Ebenso wirkt Gott als das einende Lösemittel in Gruppen. Durch ihre persönliche Gottesbeziehung wird Gott zum einenden Lösungsmittel. Nach außen hin spürbar wird diese Unterschiedlichkeit der Gemeinschaften und Gruppierungen bei gleichem Lösungsmittel, durch andere Ausprägungen und Ziele, einen anderen „Geschmack“.

Meiner Meinung nach sind zwei Dinge nötig für ein erfolgreiches Zusammenleben und –wirken von Gruppen: die Menschen in der jeweiligen Gruppe besitzen eine relativ hohe strukturelle und polare Ähnlichkeit – und sie werden von einem Lösungsmittel gleicher Polarität geeint. Gerade das Lösungsmittel ist es, das die immer auch vorhandene Unähnlichkeit der Gruppenmitglieder in sich aufnehmen und verbindend bewahren kann.

Gott, in dessen Gegenwart hinein ich mich lösen darf.

Gott arbeitet unablässig dafür, sich uns verständlich zu machen, in Austausch mit uns zu treten. Mit chemischen Begriffen ausgedrückt: wenn jemand eine „unpolare“ Struktur aufweist, dann findet er Gott in Form eines unpolaren Lösungsmittels vor; zeigt jemand eine eher „polare“ Struktur, dann wird sich ihm Gott als polares Lösungsmittel offenbaren. Das Hineinwachsen des Menschen in Gott, oder anders ausgedrückt: die Umwandlung in Christus, ist abhängig von dem sich miteinander Verständigen und damit von der Gemeinsamkeit, der ähnlichen Struktur. „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“. (Kol 3,10) Diese Grundidee klingt bei Ignatius von Loyola bei der Unterscheidung der Geister an (EB 335): „ Die Ursache dafür ist, dass die Einstellung der Seele den genannten Engeln entgegengesetzt oder aber gleichartig ist.“

Friedrich Dörr hat dies 1971 in einem Lied wunderbar auf die Beziehung zwischen Christus und uns Menschen angewendet: „…wie Wein und Wasser sich verbinden, so gehen wir in Christus ein…“ Je mehr wir in der Beziehung zu Gott seinem Wesen ahnend auf die Spur kommen, desto mehr kommen wir auch unserer eigenen „Struktur“ und unserer eigenen „Polarität“ auf die Spur. In diesem Prozess werden wir empfänglicher für Gottes Weg mit uns und sensibler und offener für die Reaktionen mit Anderen und Anderem, um Neues zu schaffen.

Experimentelle Erfahrung

Unsere geistliche Existenz lebt vom Glauben – und Chemie lebt vom Experiment. Eines meiner Lieblingsexperimente ist einfach in der Handhabung und auch bei mehrfacher Durchführung nie identisch. Deshalb als Anregung und zur tieferen Auseinandersetzung mit diesem Thema ein Experiment:

Material:  1 Wasserglas, Wasser, Speiseöl, Tinte (Tintenfass oder Tintenpatrone)

  • das Wasserglas mit ca. 2 cm Speiseöl füllen
  • ca. 5 cm Wasser darauf geben
  • wahrnehmen und beobachten bis keine Bewegung mehr sichtbar ist
  • in die Mitte der Flüssigkeit  2-3 Tintentropfen geben
  • mit Geduld wahrnehmen und beobachten (die für diesen Schritt nötige Zeitspanne kann zwischen Sekunden und bis zu Stunden variieren!)
  • das Glas nach Möglichkeit bis zum nächsten Tag stehen lassen und schauen, was sich verändert hat

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