“Synodal” wird gerade zum neuen Zauberwort der Kirchenentwicklung – und damit leicht auch zur “Stopfgans”. Künftig sollen kirchliche Entscheidungen synodal in gemeinsamer geistlicher Entscheidung getroffen werden. Ohne Transparenz und Professionalisierung wird es dabei nicht gehen, wenn Beliebigkeit vermieden werden soll.
Professionell synodal
Text: Peter Hundertmark – Photo: n-region/pixabay.com
Geistliche Begleitung, überhaupt helfende Gespräche in Beratung, Seelsorge, Therapie…, unterscheiden sich von Alltagskommunikation durch Regeln, Methoden, Haltungen, Setting, Ausbildung… Gespräche von Christgläubigen in synodalen Prozessen der Kirche werden eine vergleichbare Profilierung durchlaufen müssen. Sie unterscheiden sich von Alltagsgesprächen, sie unterscheiden sich von Glaubensgesprächen in Bibel- oder Hauskreisen, sie unterscheiden sich aber auch von Debatten und parlamentarischen Beteiligungsformen. Ohne eine solche Präzisierung der Vorgehensweise wird sich rasch Ermüdung, Frustration und Wirkungslosigkeit einstellen. Einige Elemente dieser Professionalisierung liegen schon zutage.
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Unterbrechung
Gespräche in synodalen Prozessen von Kirche sind „Gespräche im Geist“. Diesen Begriff führt das „Instrumentum Laboris“ – das vorbereitende Arbeitspapier – der kommenden Weltsynode ein. Die englische Version ist noch präziser. Dort heißt es „spirit led conversation“: Vom Geist Gottes geleitetes Gespräch. Damit diese Leitung durch den Geist Gottes als entscheidenden Akteur nicht leerer Vorsatz und Wortgeklingel bleibt, muss sie operationalisiert und in Abläufe und Regeln umgesetzt werden. Dazu gehört an erster Stelle die Stille. Unterbrechungen schaffen eine „Lücke“ und damit die Bedingung der Möglichkeit, damit der Geist Gottes in den Beteiligten „zu Wort kommen“ kann. Das kann, je nach Situation, Thema und Zusammensetzung der Gruppe das zweiminütige Innehalten in einer hitzigen Debatte sein. Es kann aber auch, wie es für die Synode vorgeschlagen wird, eine längere – dreißig Minuten, sechzig Minuten… – persönliche Gebets- und Reflexionszeit vor der Beratung sein. Die Qualität der Stille prägt die Qualität der weiteren Beratung.
In die Managementtheorie hat Claus Otto Scharmer, ohne erkennbare geistliche Traditionim Hintergrund in seinem Buch „Theorie-U“ die gleiche Intuition mit dem „pre-sensing“ eingeführt: gemeinsam anhalten, schweigen, warten, entstehen lassen… Aber auch Einsichten, wie Menschen zu Entscheidungen kommen, legen die gleiche Vorgehensweise nahe: Entscheidungen sollten rational vorbereitet – und dann auch rational umgesetzt werden, sie fallen aber immer (!) relational. Relational, das heißt aus einem Beziehungsgeschehen heraus: Beziehung zu eigenen Emotionen, Wünschen, Leitbildern und Werten; Beziehung zu anderen Beteiligten und möglichen Betroffenen, Beziehung zu Regeln, Traditionen und kulturellen Prägungen; für Glaubende auch aus der Beziehung zu Gott. Solches relationales Geschehen jedoch braucht Zeit und ist eine „Tätigkeit“, die sich von den genauso notwendigen rationalen Klärungen klar unterscheiden lässt.
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Vierfache Aufmerksamkeit
Die Zeiten der Stille dienen in synodalen Gesprächen weniger der Erholung – diese sollte auch nicht zu kurz kommen – und auch nicht dazu, die eigenen Argumente nachzuschärfen. Vielmehr öffnen sie einen Raum für die Aufmerksamkeit auf die relationalen Bezugspunkte einer Debatte und anstehenden Entscheidung und darin auch auf die Gegenwart und das Wirken der Heiligen Geistkraft. Zeiten der Stille, die sich auf Zeiten des Hörens hin öffnen: Hören – aktives, wohlwollendes, aufmerksames Hören ist die Seele synodaler Entscheidungsprozesse: Hören auf den Geist Gottes und was er dem pilgernden Gottesvolk sagt. Hören auf die Geistträger*innen – auf alle Geisträger*innen. Es auf jede und jeden an. Solange auch nur eine Stimme fehlt, ist der “Leib Christi” nicht vollständig, das Wort Gottes noch nicht in diese Zeit zu Ende gesprochen. Hören deshalb besonders auf diejenigen, die normalerweise nicht zu Wort kommen. Ohne die Armen zu hören, ohne die Kinder, ohne die Frauen, ohne die Fremden, ohne die Queeren, ohne die kirchlich Ausgegrenzten… ist keine verlässliche Unterscheidung möglich.
Die Aktivität der Geistkraft, da sie Gott ist und damit nicht zur stofflich-zeitgebundenen Welt gehört, lässt sich jedoch nicht unmittelbar beobachten. Menschen haben kein Sinnesorgan für Gott. Aufmerksam beobachtet werden können nur Spuren, die Gottes Wirken hinterlässt. Diese sind dabei, weil in materiellen Zusammenhängen auffindbar, immer im theologischen Sinne analog und niemals eindeutig.
Spuren hinterlässt Gott in der Innenwelt der Menschen, in den „Regungen und Bewegungen der Seele“, all den Verarbeitungsmechanismen, mit denen Menschen „Reize“ im weitesten Sinne verarbeiten: Dazu zählen Gedanken und Einsichten, vor allem aber der ganze affektive Bereich der Gefühle, Stimmungen und Empfindungen, dann innere Bilder, Tag- und Nachtträume und auch die Körpersensationen, die der Volksmund oft sehr treffend mit psychischen Gegebenheiten verbunden hat.
Sodann aber finden sich Spuren des Geistwirkens auch in den äußeren Gegebenheiten, Trends, Herausforderungen, Begegnungen, aber auch in dem realistischen Blick auf Ressourcen, Risiken und Chancen. Das 2. Vatikanische Konzil spricht von den Zeichen der Zeit, die das Gottesvolk je neu deuten und aufgreifen muss, um den Willen Gottes für die Gegenwart zu erkunden.
Seit jeher gelten aber auch die Wortmeldungen der anderen Glaubenden als mögliche „Träger“ des Wortes Gottes. Da allen Christinnen und Christen der Geist Gottes gegeben ist, kann ihr Sprechen, Ausdruck des Wirkens der göttlichen Geistkraft sein. In jeder Rede jeder Christin und jedes Christen kann der Geist sich aussprechen. Größte Vorsicht ist jedoch geboten, wenn Personen mit dem Anspruch auftreten, das Wirken der Geistkraft empfangen zu haben. Hier liegt oft ein Versuch von Manipulation und Machtmissbrauch vor. Wer unmissverständlich und ohne dass Deutung und Unterscheidung notwendig wäre, „gehört“ zu haben vorgibt, was Gott in diesem Moment will und unternimmt, irrt oder betrügt die anderen.
Die vierte Dimension, die aufmerksam in die Suche nach Spuren des Geistes Gottes für die Situation heute einbezogen werden muss, ist die Offenbarung. Dazu zählt natürlich allem anderen voran die Heilige Schrift. Aber die Selbstoffenbarung Gottes hat ja nicht im 2. Jahrhundert aufgehört. So sind auch die spirituellen und theologischen Traditionen der Kirche, das Lehramt, die Liturgie, kirchlich anerkannte Privatoffenbarungen, Gebetserfahrungen der aktuell beteiligten Glaubenden in die Aufmerksamkeit und auch sogenannte „Fremdprophetien“ – wesentliche Beiträge von Menschen, die außerhalb des christlichen Glaubens stehen – einzubeziehen.
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Unterscheiden
Aufmerksames Wahrnehmen – ohne gleich zu bewerten und damit mögliche „Kanäle“ der Selbstmitteilung Gottes „trocken“ zu legen – ist das Eine: schwierig genug. Aber dann stehen mehrere Eindrücke im Raum, weisen in verschiedene Richtungen, widersprechen sich vielleicht offen. Manchen Beiträgen ist eine Bindung an Interessen oder Persönlichkeiten anzuspüren. Andere scheinen auf den ersten Blick Echos traditioneller religiöser Formelsprache. Manche wirken phantasiert, andere kreativ, wieder andere ohne Bodenhaftung. Nun beginnt die mühsame Arbeit des Unterscheidens. Gespräche im Geist sind ganz zentral und notwendig Gespräche gemeinsamer Unterscheidung der Geister. Denn nie spricht nur der Geist Gottes, immer sind auch Zeitgeist, Gegenkräfte, Eigeninteressen, Irrtum, Eitelkeiten… mit im Spiel.
Um die Geister gemeinsam zu unterscheiden, braucht es einige Vorkehrungen. Zuerst eine oder mehrere Personen, die das Charisma haben, die Geister zu unterscheiden, und die gelernt haben, die Regeln für die Unterscheidung anzuwenden. Ohne spezifisch geschulte geistliche Begleitung wird ein komplexer Entscheidungsprozess durch „Geistgeführtes Gespräch“ selten gelingen. Die Begleiter*innen müssen dazu außerhalb des Sachgeschehens stehen, aber zu jedem Zeitpunkt intervenieren können. Sie leiten den Prozess nicht, sondern beobachten achtsam – gestützt auf Intuition, Erfahrung, gute Kenntnis der Heiligen Schrift, der Tradition und der Regeln und Kriterien für die Unterscheidung – die Gespräche. Wenn Entscheidungen anstehen, die den Weg des pilgernden Gottesvolkes lenken werden, brauchen die Begleiter*innen auch ein gutes Gespür für die „Versuchungen unter dem Anschein des Guten“, dazu Kraft, Auftrag und Ausdauer, dagegen – auch konfrontativ – anzugehen. Sie müssen selbst damit rechnen und diese Erfahrung auch anschlussfähig kommunizieren können, dass der Weg des Gottesvolkes nicht immer von Erfolg und Wachstum bestimmt ist, sondern seinem Herrn auch auf den Kreuzwegen der Passion, des Scheiterns und sogar des Sterbens folgen kann. Dazu dürfen sie die Konfrontation mit den Optimierungserwartungen und -aufträgen, die in aller Regel Entscheidungsprozesse begleiten, nicht scheuen.
Gemeinsame Unterscheidung der Geister greift zudem auf die schon angesprochenen Regeln und Kriterien zurück. Diese müssen – je nach Tragweite der Entscheidung und geistlichen Erfahrung der Teilnehmenden – sorgfältig eingeführt und erläutert werden. Kriterien für den Trost, der mit einiger Wahrscheinlichkeit die Dynamik der göttlichen Geistkraft anzeigt, sind zuerst das Mehr Glaube, Hoffnung und Liebe – konkretisiert in einem Mehr Leben, Freiheit und Mündigkeit für alle Beteiligten und Betroffenen, in einem Mehr Nähe zu Gott, den Menschen, der Erde und zu sich selbst. Darin dann die Frage nach der je größeren Ehre Gottes und einem Mehr Ausrichtung auf die jeweilige persönliche oder kommunitäre Berufung und Sendung, sowie die größere Nähe zu den gegebenen Charismen. Der innere Kern der Unterscheidung aber ist der Anschluss an die Geheimnisse des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu. Liegt die Entscheidung auf einer Linie mit seinem Lebenszeugnis und seiner Verkündigung? Die Geistkraft Gottes ist immer der Geist Jesu Christi. Wenn das Geistgeschehen und das Christusgeschehen auseinander zu treten scheinen, ist es wahrscheinlich, dass das Gottesvolk auf Abwege geleitet wird.
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Vision
Einen qualitativen Sprung erlebt gemeinsame Unterscheidung der Geister, wenn es einen reflektierten Konsens darüber gibt, was Aufgabe, Berufung und Sendung der jeweiligen kirchlichen Sozialgestalt ist, für die beraten wird, und was die Vision und Verheißung ist, die Gott in sie gelegt hat. Hinweise auf dieses große Ziel und den umfassenden Auftrag findet sich oft in Formulierungen zum „Charisma“ einer Gemeinschaft, im Leitbild, manchmal im Namen oder im knappen „mission statement“. Im englischen Sprachraum hat sich für dieses Wirklichkeit der Begriff des „name of grace“ eingebürgert: Der Name, mit dem Gott an diese Gruppe, Institution, dieses Team oder Gremium denkt; Der Name, indem Auftrag, Verheißung, Charisma und Charismen… zusammengefasst sind. Dieser Gnadenname verpflichtet die Gemeinschaft. Einmal gefunden und in einem reflektierten Konsens bestätigt, orientiert er die weitere Debatte und wird das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung. Sicherheit im Ziel gibt dabei größere Freiheit in den Mitteln.
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Erste Phase: Diversität
Synodale Beratungen sollen geistgeführte Gespräche sein. Damit müssen sie sich der Wirkweise des Geistes Gottes anpassen. Dieser wird erst „weltlich“ und damit relevant, indem er sich mit den Geistträgerinnen und Geistträgern, mit ihrer Biographie und Prägung, mit ihren Kompetenzen und Möglichkeiten, aber auch mit ihren Grenzen und ungeordneten Anhänglichkeiten verbindet. Ihre Talente erweitert er manchmal auf Charismen hin, aber auch da setzt die Gnade die Natur voraus. Diese Verbindung aus Geist Gottes und Geistträger*in ist nicht auflösbar. Es ist nicht möglich, „chemisch rein“ zu unterscheiden, was Geistwirken und was persönlicher Beitrag ist. Es existiert eine komplexe Wirklichkeit, deren zwei Quellen benannt, aber nicht getrennt werden können. Für die Christologie wurde für diese Wahrheit die Formel des „ungetrennt und unvermischt“ entwickelt. Durch diese innige Verbindung entstehen aber so viele von der Geistkraft Gottes mitbestimmte Wirklichkeiten, wie es Menschen gibt. In einem ersten Beratungsschritt kommt diese Weise der Geistführung besonders ans Licht.
In der ersten synodalen Phase der Beschäftigung mit einer Fragestellung oder einem Problem gehen die Eindrücke, Beiträge, Einschätzungen, Erfahrungen… auseinander, widersprechen sich, sind inkompatibel, tragen vielleicht sogar die Gefahr in sich, andere Geistträger*innen zu verwirren oder zu verletzen. Der Geist Gottes lässt, weil er sich mit den Geistträger*innen verbindet und verbinden muss, immer und notwendig Diversität entstehen. Fällt dieser Schritt aus, scheint von vorne herein eine sehr weitgehende Übereinstimmung im Raum zu sein, ist größte Vorsicht geboten. Wahrscheinlich greifen da Tabus, stehen „weiße Elefanten im Raum“, trauen sich Menschen nicht ihre Meinung zu äußern, verhindern macht- oder gewaltförmige Strukturen das offene Gespräch. Wenn der Geist Gottes wirkt, entstehen immer vielfältige, auch widersprüchliche „mociones“, Regungen und Bewegungen der Seele – darunter immer auch Widerstand. Wo kein deutliches affektives Engagement und wo kein Widerstand zu spüren ist, hat das Gespräch mit einiger Wahrscheinlichkeit noch nicht Anschluss an das Geistwirken gefunden. Dann müssen zuerst Hindernisse ausgeräumt, Ängste angesprochen, stumm machende Vorerfahrungen erzählt werden, nicht besprechbare Themen (weiße Elefanten) benannt werden… Diese erste Phase synodaler Prozesse kann, muss aber nicht konfliktiv sein. Aber sie bildet immer eine breite Diversität ab. Erst einmal scheint es unklarer zu werden, steht Streit im Raum, wächst die Verwirrung. Das ist unvermeidlich, weil es Geistgeschehen ist.
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Zweite Phase: Einmütigkeit
Nach einer weiteren Unterbrechung setzt dann eine zweite Phase an. Kommunikativ geht es darum, auf das in der ersten Runde Gehörte, zu reagieren, zu ergänzen, etwas dazu zu legen, Dinge zu benennen, die auf jeden Fall bedacht werden müssen… Pneumatologisch geschieht dabei eine Umkehrung. Da es der gleiche Geist ist, der in allen wirkt, wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise, kommt nun seine integrative, verbindende Wirkung zum Vorschein. Der Austausch bewegt sich auf eine gewisse Einmütigkeit hin, Beteiligte benennen Gemeinsamkeiten, die „unter“ der Diversität liegen, eine Ausrichtung wird sichtbar, hinter der sich viele versammeln können… Es entsteht ein geteiltes Gespür dafür, in welche Richtung es gehen könnte, welche Verwirklichungen, welches Handeln, in der jetzigen Situation vielleicht eher dem Willen Gottes entsprechen. Dabei ist nicht Konsens das Ziel, denn gedacht als eine 100% Übereinstimmung baut er sozialen Druck, der der Beratung menschlich und dem Ergebnis auch fachlich schadet. Jegliche Form gemeinsinniger Einmütigkeit, die jetzt erreicht werden kann, bleibt zudem noch relativ abstrakt. Sie liegt auf der Ebene der Prinzipien und Haltungen, der Theologie und Ethik.
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Dritte Phase: Alternativen und Entscheidung
Um zu operationalisierbaren Zielen und Maßnahmen zu kommen, braucht es eine dritte Phase, die wiederum aus mehreren Schritten besteht. Es beginnt mit einer weiteren Unterbrechung, die einerseits der Besinnung und dem Gebet dient, aber auch eine kreativ tätige Zeit umfassen muss. Für die sich abzeichnende Ausrichtung müssen alternative Verwirklichungskonzepte entwickelt werden. Klassisch sind dafür Formen wie zum Beispiel Brainstorming. In diesem Schritt geht es darum, möglichst viele, durchaus auch (scheinbar) verrückte Ideen zu entwickeln: „Think out of the Box“. Vorschläge schnell auszusortieren, weil „wir das noch nie so gemacht haben“, „die Leute es nicht verstehen werden“… nimmt dem Geist Gottes Spielraum und schadet der Kreativität des Gottesvolkes. Gott kommt aus der Zukunft auf uns zu.
Die sich daran anschließende Unterscheidung der Geister hat aber eine Eigenart: Sie scheidet nie gute von schlechten Alternativen, sondern fragt danach, welche der guten Alternativen eher „im Rückenwind der göttlichen Geistkraft“ liegt. Sie setzt deshalb nach dem kreativen Schritt eine Menge rationaler, theologischer und ethischer Klärungen voraus. Alternativen, die ethisch nicht verantwortbar sind, die sich nicht an Jesus, sein Leben und seine Verkündigung anschließen lassen, aber auch Alternativen, für die nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, die nicht mit guter Wahrscheinlichkeit umsetzbar sind, die keine „Bodenhaftung“ haben, müssen aussortiert sein, bevor die Unterscheidung durch „Gespräch im Geist“ beginnen kann. Die Qualität der Unterscheidung und damit des Ergebnisses hängt ganz wesentlich an der Qualität dieser kreativen und prüfenden Vorarbeiten.
Nach der rationalen, theologischen und ethischen Arbeit müssen mehrere, in der Regel möglichst drei oder mehr, potentiell gute, konkrete und operationalisierte Alternativen vorliegen. Oft benötigt die dritte Phase dann wiederum zwei Austauschrunden: eine, die mehr die Diversität sichtbar macht, und eine weitere, die eher Einmütigkeit entstehen lässt.
Abgeschlossen werden kann die Suche nach einem gemeinsinnigen Ergebnis, wenn die finale Entscheidung beim Gremium selbst und nicht bei einem*r Verantwortungsträger*in liegt, mit der Methode des Konsentierens, indem nicht mehr nach Zustimmung, sondern nur noch nach fundamentaler Ablehnung der mehrheitlich präferierten Alternative fragt. Eine einzige nachvollziehbar begründete Ablehnung genügt dann, um das ganze Verfahren an den Ausgangspunkt zurück zu bringen.
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Vorarbeiten
Vor diesem eigentlichen Entscheidungsgeschehen in drei Phasen liegen aber notwendig weitere Arbeitsschritte: Die rationale Vorbereitung der relationalen Entscheidung. Hier ist der Ort für Sachkenntnis, für Debatte und die Anstrengung des Arguments. Es geht um Analyse der Situation und Diagnose der Problemstellung; nötig sind Beschreibungen des komplexen Umfeldes und Auseinandersetzung mit Prognosen, Zukunftsforschung, Mega-Trends…; es geht um Ressourcenklärung und um fundiertes Abschätzen möglicher Konsequenzen und der Reichweite möglicher Entscheidungen. Zu klären ist auch, wer in die synodalen Beratungen wie einbezogen werden muss, damit der scholastische Grundsatz „was alle angeht, muss von allen beraten werden“ eingehalten werden kann. Wie also entsteht der richtige, der Fragestellung angemessene „gemeinschaftlich unterscheidende Korpus“? Und wer ist berechtigt, die Entscheidung zu treffen: das Gremium, ein*e Verantwortungsträger*in, eine andere, „außen“ liegende Instanz? Natürlich ist auch die Zeitschiene zu bedenken: Bis wann müssen Ergebnisse vorliegen? Welche Zwischenschritte sind bis dahin möglich, ohne der Entscheidung vorzugreifen? Welche Schritte müssen unbedingt vermieden werden, weil sie unumkehrbare Veränderungen bewirken würden, die die Beratung obsolet machen?
Nun sind nie Fakten einfach nur eindeutig. Sie sind immer gedeutete Fakten, denen die Wirkung des hermeneutischen Zirkels in denen anzuspüren ist, die sie erarbeitet haben. In aller Regel wird es deshalb auch während der rationalen Vorarbeiten notwendig sein, Rückmeldeschleifen einzubauen. Die Macht liegt beim legitimen Beratungs- bzw. Entscheidungsgremium, liegt in der Gruppe und nicht bei den Fachleuten und nicht bei (dominanten) Einzelpersonen. Ist die Darstellung der Ausgangslage Konsens? Ist die Beratungsfrage richtig formuliert? Ist das Problem wirklich ein Problem, das gelöst werden muss und kann? Wer ist entscheidungsberechtigt? Dabei ist sicherzustellen, dass das beratende Gremium nicht zu Problemstellungen befragt wird, gar in Mithaftung für Entscheidungen genommen wird, die außerhalb seiner Kompetenz und seines Verantwortungsbereiches liegen. Wegen der spezifischen Wirkweise des Geistes Gottes werden diese Rückmelderunden in aller Regel ebenfalls zwei Schritte – Diversität und Einmütigkeit – umfassen müssen. Bevor kein weitgehender Konsens über Ausgangslage, Problemstellung, Frage, Entscheidungsberechtigung und Verantwortung erreicht ist, macht es keinen Sinn in die eigentlichen synodalen Beratungen einzusteigen.
Zu beachten ist auch, dass die Vorarbeiten das mögliche Ergebnis nicht vorwegnehmen. Gott überrascht und deshalb ist jeder Prozess, der sich dem Willen Gottes unterstellen will, darauf angewiesen, dass genügend Raum für Überraschung in die Beratungen hinein organisiert ist. Zukunftsfähige Entscheidungen sind emergent. Sie entstehen erst während der Beratung, reichen über die Vorarbeiten hinaus, können nicht abgeleitet werden, springen aus dem Prozessgeschehen hervor, kommen nicht selten aus einer unerwarteten Richtung oder werden von Personen eingebracht, denen „weniger zugetraut wird“ – siehe die Benediktsregel und ihre Mahnung immer auch die Schwächsten und Jüngsten zu hören. Die Bereitschaft aller Beratenden, sich überraschen zu lassen, die Bereitschaft zu einem wirklich offenen Prozess, die Bereitschaft, auch Ergebnisse zu akzeptieren, die sich nicht aus den eigenen Präferenzen ergeben, der „Gehorsam“ gegenüber Gott, der je neu kreativ und immer jung ist, sind Bedingung der Möglichkeit synodaler Entscheidungsprozesse.
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Indifferenz
Aber damit noch nicht genug. Alle, die zu einer Fragestellung einbezogen werden, alle, die an synodalen Entscheidungsprozessen beteiligt werden, alle Fachleute, die die Beratungen vorbereiten… sind von ihren früheren Erfahrungen geprägt, sind bestimmten Zielbildern und Visionen verbunden, tragen Vorurteile und eine Verletzungsgeschichte in sich, sind durch Loyalitäten oder Vertretungsaufträge begrenzt… Diese sogenannten „ungeordneten Anhänglichkeiten“, ungeordnet, weil sich nicht ausschließlich aus der Suche nach dem besten Ergebnis, in theologischer Sprache nach dem Willen Gottes bestimmt sind, nicht eindeutig auf den „Gnadennamen“ hin geordnet sind, verzerren die Beratung. Ohne Reflexion, Veröffentlichung und Relativierung dieser Prägungen und „Anhänglichkeiten“ bleibt die Suche nach einer Lösung dem Problem verhaftet. Die „DNA“ des Problems wird in die Lösung hineingetragen. C.-O. Scharmer spricht in seiner Theorie U von „downloading“: Teile des Problems sollen unmittelbar Teile der Lösung werden; die Orientierung wird in der Vergangenheit gesucht.
So ist die Arbeit an einer je größeren Indifferenz aller an den Vorarbeiten, wie an den synodalen Beratungen Beteiligten absolut notwendig, um zu zukunftstauglichen Ergebnissen zu kommen. Indifferenz meint hier die Freiheit von einschränkenden Bindungen und Erwartungen aus dem Umfeld, Freiheit in der Wahl der möglichen Mittel, Freiheit von emotionalen Verstrickungen und Vorurteilen, von der Wirkung von Sympathie und Antipathie… Indifferenz gibt die Kraft, bisherige Lösungen loszulassen, bewährte, aber nicht mehr effiziente Maßnahmen aufzugeben, Ziele aus der Zukunft und nicht aus der Vergangenheit zu gewinnen – Scharmers „letting go“.
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Kultur der Freiheit
Nur in Freiheit kann der Ruf Gottes gehört und sein Wille „gefunden“ werden. Nur Freiheit ermöglicht überraschende, aus der Zukunft zukommende, emergente Entscheidungen. Wie eingewurzelt eine Kultur der Freiheit und Indifferenz jeweils ist, entscheidet deshalb mit über die Qualität der Ergebnisse. Eine völlige Freiheit ist dabei unter irdischen Bedingungen illusorisch, aber jedes Mehr Freiheit verbessert die synodalen Entscheidungsprozesse und das mögliche Ergebnis. Die Arbeit an der Indifferenz geht jede*n an, ist von jede*r Beteiligten zu leisten. Sie einzufordern und zu fördern ist Aufgabe der geistlichen Prozessbegleitung. Ihr kommt es auch zu, den Beratungsbeginn zu verzögern, wenn keine hinreichende Freiheit wahrgenommen werden kann.
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Geistlich-unterscheidende Leitung
Eine Kultur der Freiheit, Indifferenz und Unterscheidung ist aber auch zentrale Aufgabe der Leitung. Ohne die Entsprechung in einer „gehorsamen“, geistlich-unterscheidenden Leitung, ohne die Entsprechung in Verantwortungsträger*innen, die sich persönlich aktiv dem Wirken des Geistes Gottes unterstellen, können synodale Prozesse gemeinsamer Unterscheidung und Entscheidung nicht gelingen. Verantwortung ist so immer auch Verantwortung für die eigene geistliche Reifung, für eigene geistliche Indifferenz, Verantwortung für die eigene Fähigkeit zum Gehorsam gegenüber den Überraschungen Gottes. Geistliche Leitung braucht Stille, Muße, Gebet… und eigene geistliche Begleitung, die durch ihren Echo-Raum, die Unterscheidung der Geister stützt.
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Geschäftsordnung
Wie sachbezogene Vorarbeiten, Rückmeldeschleifen, synodal-ergebnisoffene Entscheidungsprozesse, parlamentarische Verfahren, Abstimmungen, Entscheidungskompetenzen, geistliche Begleitung und geistlich-unterscheidende Leitung im gemeinsamen Gehorsam gegenüber dem Willen und Wirken Gottes zusammen wirken, ist oft in einer „Geschäftsordnung“ zu präzisieren. Eine solche Ordnung versachlicht die Debatte, gibt Sicherheit, ist notfalls gegenüber allen Beteiligten einklagbar. Sie entlastet die Verantwortungsträger*innen und den beratend-unterscheidenden Korpus. Dabei ist gleich in der „Präambel“ ein Missverständnis auszuräumen: Geistlich, geistgeführt können und sollen alle diese Elemente sein. Geistführung ist nicht auf das synodale Geschehen im engeren Sinn beschränkt und schon gar nicht auf eher rahmende Elemente liturgischer Feiern und die Zeiten schweigender Unterbrechung.
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Umsetzung
Ein Weiteres ist vor dem Einstieg in die synodalen Entscheidungsprozesse zu bedenken: Wie kann und soll die Umsetzung der Entscheidung voran gebracht werden? Liegt die Umsetzung dann bei Verantwortungsträger*innen, Fachstellen, beauftragten Pioneer*innen, autorisierten Gruppen, bei allen Menschen guten Willens innerhalb und außerhalb des sichtbar pilgernden Gottesvolkes…? Wie sind dann Rückmeldeschleifen für alle Betroffenen und für die, an der synodalen Beratung Beteiligten eingeplant? Welche Rechte und Verantwortung liegen in den Rückmeldeschleifen? Wann, wie und durch wen wird evaluiert? Soll auch die Umsetzung wieder synodal begleitet, gar verantwortet werden? In einer komplexen Umwelt gibt es keine Entscheidung, die nicht im Umsetzungsprozess nachgesteuert werden muss. Rückmeldeschleifen sind deshalb unerlässlich. Je klarer aber vorab Vorbereitung und Umsetzung sind, desto effizienter ist die relational-synodale Beratung.