Manchmal lobt Jesus ausdrücklich den Glauben seiner Gesprächspartner/innen. Aber in vielen Begegnungen scheint dieser Glaube “nur” Hoffnung auf Heilung zu sein. Andere Gesprächspartner/ innen fordert Jesus in ihrem Glauben heftig heraus. Gibt das eine pastorale Perspektive zwischen “alles” und “nichts”?
Was glaubten eigentlich die Menschen, die Jesus begegneten?
Text: Peter Hundertmark – Photo: geralt/pixabay.com
„Dein Glaube hat Dir geholfen!“ (Mt 9,22) sagt Jesus zu der Blutflüssigen Frau. Was ist das für ein Glaube, der ihr geholfen hat? Die Textstelle sagt nur, dass sie überzeugt ist, dass sie geheilt werden kann, wenn Sie auch nur das Gewand Jesu berührt. Aber was glaubt sie über Gott? Glaubt sie an Jesus als den Gesandten Gottes? Glaubt sie an den Schöpfer? Heiliger Geist? Wir erfahren nichts darüber. Ins Wort kommt nur ihr Glaube an die Heilungskraft Jesu. Ist das ein magischer Glaube? Der Text schließt das erst einmal nicht aus. Schließlich sucht sie nicht einmal die Begegnung, sondern nur die Kraft. Aber Jesus ist zufrieden damit. Er lobt ihren Glauben und verbindet die erfolgte Heilung nicht mit seinen Willen, sondern ausschließlich mit dieser Heilungshoffnung. Ihr Glaube ist ein eigenartig untheologischer Glaube. Was wird nach der Heilung aus der Frau? Wir wissen es nicht. Das Evangelium gibt ihr keinen Namen. Ein Hinweis darauf, dass sie in der jungen christlichen Gemeinde keine wichtige Rolle spielte. Es wird aber auch keine Bekehrung erzählt, schon gar nicht, dass sie Jesus folgt oder ihn bekennt. Wahrscheinlich ist sie einfach nach Hause gegangen.
Die Evangelien sind voll von Menschen, die in dieser Weise glauben. Sie sind gewiss, dass Jesus etwas für sie tun kann. Jesus lässt sich von dieser Gewissheit ansprechen, auf eine Weise auch einspannen. Er hilft, stellt aber keine weiteren Anforderungen. Er gibt, erwartet aber nichts dafür. Er lässt zu, dass eine Kraft von ihm ausgeht, verbindet aber mit der Begegnung keine Verkündigung. Jesus lebt eine große Verfügbarkeit. Manche dieser Menschen werden ihm sogar gefährlich, weil sie unüberlegt seinen Gegnern Auskunft geben, oder seinen Ruf als Wunderheiler verbreiten. Und dennoch zeigt Jesus keine Zurückweisung, keine Unterscheidung, keine Abgrenzung.
Davon unterschieden werden kann eine Gruppe, die aus einem ähnlichen Impuls auf Jesus zugeht, dann aber eine Bekehrung erlebt: Der eine geheilte Aussätzige, der zurückkehrt (Lk 17,12); die Frau, die Jesus salbt (Lk 7,50)… Jesus verbindet hier die Begegnung mit einem Gespräch über Gott und sein Wirken – und die Menschen stimmen dieser Verkündigung mehr oder weniger explizit zu. Ihr Glaube gewinnt so eine Dimension hinzu. Aber die wenigen Worte, die uns überliefert sind, geben keinen Hinweis darauf, ob und wie sie dieses eine Glaubenselement mit anderen Vorstellungen verbinden. Ihr Glaube bleibt unausdrücklich. Sie formulieren kein Bekenntnis. Wiederum bleiben viele von ihnen ohne Namen und verschwinden wieder aus dem Blickfeld der Jesus-Geschichte und –Bewegung.
Aus diesem Kreis treten einige wenige hervor, deren Namen festgehalten wird. Wahrscheinlich, weil sie weiterhin im Umfeld der Jesus-Gruppe blieben oder in den ersten Gemeinden eine Funktion übernahmen: Zachäus, Lazarus, Nikodemus, vielleicht auch Josef von Arimathäa.
Wieder andere erleben nicht nur eine Bekehrung, sondern legen auch Jesus gegenüber ein Bekenntnis ab. Sie geben Zeugnis von ihrem Glauben. Manche tragen die Botschaft von Jesus auch weiter und werden selbst zu Verkündigern. Auch da gibt es zwei Gruppen: diejenigen, die wieder verschwinden und namenlos bleiben, wie etwa die Frau am Jakobsbrunnen, andere bleiben der Jesus-Bewegung verbunden wie etwa Maria und Marta von Betanien. Aber auch diese Gruppe bleibt an ihrem Ort oder kehrt bald dorthin zurück. Sie ziehen nicht mit Jesus durch Galiläa oder nach Jerusalem hinauf.
Nur eine kleine Gruppe wird ausdrücklich zu Schülern Jesu. Das deutsche Wort „Jünger“ transportiert diese Bedeutung nicht auf den ersten Blick. Es sind diejenigen, die mit Jesus unterwegs sind, die sein Leben längere Zeit teilen, die ihn in verschiedenen Situationen erleben. Ihr Glaube wird durch zahlreiche Gleichnisse, Begegnungen, Lehrgespräche bereichert. Sie mühen sich aktiv darum, Jesus und seine Botschaft vom Gottesreich zu verstehen. Manche werden nur summarisch erwähnt, an zwei, drei Stellen wird der Name wahrscheinlich einer Frau aus schlechter patriarchaler Tradition verschwiegen, die meisten aber haben einen Namen und sind auch wenigstens anfanghaft mit ihrem Charakter und ihrer Geschichte erkennbar. Zu ihnen gehören Männer und Frauen: Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses, Salome, Kleopas, Bartimäus, Levi… Von einigen wird auch nach dem Tod Jesu berichtet. Sie sind quasi das Rückgrat der Jesus-Bewegung. Sie lassen sich von ihm formen, sie stehen zu ihm und für ihn ein. Aus ihnen wählt Jesus auch den symbolischen Zwölferkreis und auch die drei – Petrus, Johannes und Jakobus, mit denen ihn noch einmal eine besondere Freundschaft verbindet und die er in den schwierigsten Situationen bei sich haben will. Irritierend ist, dass Jesus auch Judas in diesem innersten Kreis sieht und bis zum letzten Moment auch hält. Was glaubt Judas? Offensichtlich etwas, das ihn in der Gefahrensituation beim Paschafest in Jerusalem in Gegnerschaft zu Jesus bringt. Selbst da lebt Jesus keine Abgrenzung. Er schließt nicht aus, er schützt sich nicht gegen Missverstehende, er akzeptiert Verrat und Schwäche.
Wo sich eine Gelegenheit ergibt, versucht er als guter Lehrer pädagogisch zu handeln, etwa wenn Petrus ihn vom Passionsweg abbringen will. Andere bleiben in ihren Überzeugungen und verbinden sie mit dem, was sie von Jesus glauben: etwa Simon, der so offen Zelot ist und bleibt, dass sogar die Liste des Zwölferkreises ihn ausdrücklich so einführt.
Mindestens um einen Mann bemüht sich Jesus ausdrücklich, weil er in ihm einen starken Glauben sieht – und scheitert, denn dessen Bindung an sein Vermögen hindert ihn (Mt 19,22). Aber auch einer der Schriftgelehrten bleibt kurz vor diesem Schritt in die Nachfolge. Jesus sagt ihm zu: Du bist nicht fern vom Reich Gottes (Mk 12,34). Und über Johannes, den Täufer: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. (Mt 11,11) Ihr Glaube beeindruckt Jesus und doch fehlt ihnen in Jesu Sicht der entscheidende Schritt. Warum Jesus von Ihnen etwas fordert, dessen Fehlen ihn bei so vielen anderen nicht zu stören scheint? Weil er in ihnen ein größeres Potential sieht? Es bleibt sein Geheimnis.
Und dann gibt es noch die Nicht-Juden, die in unterschiedlich umfassender Weise ein Bekenntnis zu Jesus ablegen: Die Syrophönizierin (Mk 7,29), der römische Hauptmann, der für seinen Knecht bittet (Lk 7,9), der Hauptmann, der die Kreuzigung leitet. „Dieser war Gottes Sohn“ (Mk 15,39)– ein Bekenntnis, das durchaus in einer Reihe mit den Messias-Bekenntnissen des Petrus und der Marta von Bethanien zu sehen ist. Aber welchen Glauben hat dieser Hauptmann und was bedeutet darin dieses Bekenntnis des Gottessohnes?
Tritt man einen Schritt zurück, um dieses ganze Tableau unterschiedlicher Glaubensformen zu betrachten, legt sich nahe, dass Orthodoxie keine Sorge war, die Jesus umtrieb. Er lebt mit dieser bunten Mischung von Motivationen und Vorstellung in seinem Umfeld. Manchmal sucht er einen Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung zu einem umfassenderen und geklärteren Glauben, manchmal gelingt es, manchmal nicht. Immer wieder bemüht er sich die Glaubensvorstellungen seiner Zuhörer/innen anzureichern. Dabei sind selbst die Worte, die viele Exegeten gemeinsam für authentische Jesus-Worte halten, nicht auf einen theologischen Nenner zu bringen. Er predigt und erzählt Gleichnisse, die für das breite Publikum sehr offen für verschiedenste Deutungen bleiben. Einige deutet er dem engeren Schülerkreis aus und versucht so eine Vereindeutigung zu schaffen. Er scheint sich dabei mehr für die Entwicklung, denn für das Ergebnis zu interessieren.
Dieser Befund irritiert. Was bedeutet das für die Frage nach dem Glauben der Christ/innen heute, was für den Glauben derer, die sich nicht bekennen? Die Intuition sagt, dass da ein noch ungehobenes pastoraltheologisches Potential schlummert – ein Potential für Verunsicherung und ein Potential für Neuausrichtung. Und auch die Neuausrichtung zeigt schon auf den ersten Blick nochmals in wenigstens zwei verschiedene Richtungen: offene Gastfreundschaft für alle, die irgendetwas bei Jesus suchen; und umfassender Anspruch an die, die zur Jüngerschaft gerufen werden, die gerufen sind, Jesu Leben zu teilen, sich von ihm formen zu lassen und so zum Rückgrat der bunten Gemeinde der Glaubenden zu werden.