Zusammenleben ist manchmal eine ziemliche Herausforderung – schon gar wenn man sich nicht ausweichen kann. Ein „neutraler“, von außen vorgegebener Ablauf (inspiriert durch die „Gewaltfreie Kommunikation“ von M.Rosenberg) kann helfen, Konflikte anzusprechen – in Zeiten der Pandemie und auch sonst.

Wohlwollend miteinander reden – gerade, wenn es schwierig ist!

Text: Peter Hundertmark – Photo: fsHH/pixabay.com

Durch die Corona-Pandemie sind viele Menschen gezwungen, sehr viel mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Was in normalen Arbeitszeiten wie ein Wunschtraum aussieht, zeigt sich nun rasch auch von seiner belastenden Seite: Die Zeit vergeht quälend langsam; in vielen Wohnungen sitzen Familienmitglieder zu eng aufeinander; Kinder leiden, weil sie ihrem Bewegungsdrang nicht nachgeben dürfen; die normalen Ablenkungen sind weitgehend weg; viele Menschen sind angespannt und machen sich große Sorgen.

Da ist es ganz normal, dass es jetzt schwieriger ist als sonst, miteinander auszukommen. Kleinigkeiten können sich rasch zu einem dicken Krach aufschaukeln, alte Geschichten und „offene Rechnungen“ kommen auf den Tisch, die allgemeine Anspannung entlädt sich entlang bekannter Bruchstellen der Beziehungen…

Wenn „etwas in der Luft liegt“ und noch mehr, wenn es schon knirscht, gar der Streit schon hochkocht, harte Worte gewechselt wurden, ist es wichtig, erst mal auszusteigen und dann so wohlwollend wie irgend möglich miteinander ins Gespräch zu kommen. Denn die Versuche, schwierige Themen „unter den Teppich zu kehren“, machen es oft noch schlimmer.

Dafür gibt es eine bewährte Abfolge von sieben Schritten:

  1. Erst mal runterkühlen. Gehen sie sich für wenigstens eine halbe Stunde so gut wie möglich aus dem Weg. Erinnern sie sich selbst daran, dass die anderen, die ihnen gerade so auf den Wecker gehen, Menschen sind, die sie eigentlich mögen und mit denen sie eine gute Geschichte verbindet. Sie haben schon einiges miteinander durchgestanden. Vielleicht hilft es ihnen, um aus der Hitze des Streits auszusteigen, wenn sie erst mal was ganz anderes machen: Musik hören, bügeln, lesen, Yoga machen, fernsehen, kochen, zum Fenster rausschauen… Schokolade in Maßen kann kleine Wunder bewirken.
  2. Schaffen sie ein förderliche Atmosphäre: Ein einigermaßen aufgeräumter Ort, ausreichend Zeit, genügend bequeme Sitzmöglichkeiten für alle. Bitten sie alle, die es angeht, in einem Raum zusammen zu kommen. Meist ist es gut, wenn die, die es gerade am schwersten miteinander haben, sich nicht unmittelbar Auge in Auge gegenübersitzen. Planen sie Pausen ein. Nach spätestens einer halben Stunde, sollten alle mal aufstehen, ein bisschen umhergehen und sich dann an einem anderen Platz wieder hinsetzen. Übrigens: Abends spät ist keine gute Zeit, um ernsthaft und wohlwollend Dinge miteinander zu klären.
  3. Versuchen sie zuerst, miteinander zu klären, um welchen Anlass und Sachlage es geht. Sachlage heißt dabei: Nur das, was man auch fotografieren, filmen oder unparteiisch beschreiben könnte. Beispiele: Ein falsch gewähltes Programm der Waschmaschine ist nur ein falsch gewähltes Programm. Laute Musik aus einem Zimmer ist nur laute Musik. Versuchen sie bei diesem Schritt möglichst alle Empfindungen, Vermutungen, Vorwürfe, früheren Erfahrungen… erst mal weg zu lassen. Sie werden erleben, dass das gar nicht so einfach ist, weil ja immer die Gefühle dazwischen schießen – sonst wäre es ja kein Krach.
  4. Wenn sie sich geeinigt haben, um welchen Anlass und Sachlage es geht – Juristen nennen es den „Streitwert“  – können sie den nächsten Schritt angehen. Nun bekommt jede und jeder reihum gleich viel Zeit (ein paar Minuten), um zu erzählen, wie es ihm und ihr mit dem Anlass und der Sachlage geht. Die anderen hören jetzt nur zu – auch wenn sie noch so gerne sofort etwas erwidern würden. Je mehr es gelingt, „ich“ zu sagen und nicht „du“, „mir geht es“ und nicht „du wolltest damit“… desto leichter können die anderen zuhören. Strikt verboten sind die Wörter: „immer“, „nie“, „grundsätzlich“, „alle“ und „früher“! Vielleicht braucht es noch eine zweite Runde bis alle von allen wissen, wie es ihnen gerade jetzt zu Mute ist.
  5. Dann brauchen alle ein bisschen Zeit, ohne zu reden, nur zum Nachdenken: Wenn ich mich so fühle, welche Bedürfnisse sind bei mir eigentlich gerade nicht befriedigt? Beispiele: Hinter einem Ärger steckt manchmal das Bedürfnis, ernst genommen zu werden; oder das Bedürfnis, dass die anderen respektieren, was mir wichtig ist; oder nach Ruhe; oder… Und hinter einer Traurigkeit liegt manchmal das Bedürfnis, gesehen zu werden; oder Halt und Nähe zu bekommen; oder etwas anderes… Jedes Bedürfnis ist erst einmal berechtigt. Sortieren sie möglichst kein Bedürfnis aus, „weil das doch komisch ist“, oder weil es die anderen nichts angeht, oder weil sie sich dafür schämen.
  6. Wenn jede und jeder für sich entdeckt hat, welche von seinen oder ihren Bedürfnissen in dieser Situation nicht befriedigt sind, dann finden sie wahrscheinlich auch das, worum sie die anderen bitten möchten. Beachten sie: Eine Bitte ist „nur“ eine Bitte, keine Forderung und kein Gesetz. Jede und jeder hat das Recht, eine Bitte zu haben. Und jede und jeder hat das Recht auf eine Bitte in seiner oder ihrer Weise zu antworten. Wenn die anderen dann auf ihre Bitte reagiert haben, fragen sie sich: Passt das, was die anderen anbieten, zu meinen Bedürfnissen? Lassen sie die anderen wissen, zu welchem Schluss sie kommen. Vielleicht eröffnet das noch ganz neue Möglichkeiten.
  7. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eine Vereinbarung für das zu finden, was den Krach ausgelöst hat. Es muss eine Lösung sein, bei der alle mitgehen können. Oft ist das jetzt ganz leicht. Und auch da gibt es einen Trick: Wenn eine Lösung vorgeschlagen wird, dann antworten sie: „Ja, und…“ und nicht „Ja, aber…“. Wenn aber dabei der Streit wieder aufflammt, dann waren noch nicht alle Gefühle, Bedürfnisse und Bitten auf dem Tisch: Pause machen, wieder runterkühlen – und dann eben noch mal ansetzen. Sie haben ja Zeit – und die anderen gehören zu den wertvollsten Menschen in ihrem Leben.

Dieser Ablauf klingt ziemlich aufwendig und irgendwie künstlich. Ist er auch. Aber er hat sich bewährt. Er hilft, das Tempo raus zu nehmen und sich gemeinsam an einen vorgegebenen Ablauf zu halten. Viele Familien, Paare, Wohngemeinschaften… entdecken dabei, dass sie von diesem Vorgehen weit über den konkreten Anlass hinaus profitieren. Im günstigsten Fall verändern sich die Atmosphäre und das Miteinander nachhaltig zum Besseren. Wenn die sieben Schritte mal wieder gebraucht werden, geht es dann auch etwas schneller und leichter, denn schließlich haben alle schon ein wenig Übung.  

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