Eigenartige Frage! Aber was geschieht eigentlich, wenn Menschen beten? Wie wirkt Gebet auf die Betenden? Nützt es Ihnen? Beten verheißt ein Mehr Format, ein Mehr Perspektive, ein Mehr Herzensbildung, ein Mehr Zukunft. Vielleicht sieht man das Betenden dann auch an.
Beten macht schön?
Text: Peter Hundertmark – Photo: umihir/pixabay.com
„Was bringt mir das?“ ist eine Frage, die die Theologen gar nicht mögen. Wenn es um Gott geht, dürfen Nutzenerwägungen doch keine Rolle spielen. Nun ist aber kein Ding ohne Nutzen. Nützt es also Gott, wenn wir beten? Da ist die Liturgie in Einklang mit der ganzen Tradition und der Heiligen Schrift sehr eindeutig: „Unser Lob kann deine Größe nicht mehren, doch uns bringt es Segen und Heil“ (Präfation zum Hochgebet). Gott ist nicht bedürftig. Er braucht unser Beten nicht für sich. Uns aber bringt es…
Seit der Antike gibt es zwei Antworten auf die Frage „Was bringt Beten?“ Die erste findet sich in nahezu allen antiken Religionen. Beten dient dazu da, die Götter gnädig zu stimmen. Nicht erst Martin Luther weist in seiner Rechtfertigungslehre diese Vorstellung weit aus dem Christlichen hinaus. Zwar lässt das Alte Testament noch die Frage anklingen: “…vielleicht ist der Herr mir gnädig?“ (2 Samuel 12,22), Jesus aber setzt hier eine absolute Eindeutigkeit durch. Gott ist Gnade, Gott ist Liebe – und muss nicht erst durch Gebete dazu gebracht werden. Dennoch lebt diese Vorstellung in der christlichen Frömmigkeit weiter, wohl auch, weil diese Vorstellungswelt biographisch eng mit unserer frühen Kindheit verbunden ist.
Eine zweite Antwort lebt aus der antiken Welt weiter, denn auch sie hat eine große Entsprechung im Reifungsweg jedes Menschen, entspricht sie doch der Weltsicht eines Grundschulkindes. „Ich gebe, damit du gibst“, bringt es auf den Punkt. Durch Beten, so diese vorchristliche Vorstellung, bringe ich Gott dazu, etwas zu meinen Gunsten zu tun, was er sonst nicht tun würde. Jesus kennt diese Praxis und weist sie scharf zurück. „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Mt 6,7-8)
Was bringt es also, zu beten? Eine erste Antwort ist, dass ich mich durch jedes Beten mit dem Urgrund meines Daseins verbinde. Ich nehme Fühlung auf zu dem letzten Halt, der mich und mein Leben trägt. Das kann mir Kraft geben. Denn ich bin schon wer. Ich bin Kind Gottes und tiefer als in Gottes Hand kann ich nicht fallen. Diese Gewissheit im Beten zu spüren, ermöglicht Selbstbewusstsein und aufrechten Gang. Weil ich mich um die letzte Sicherung meines Lebens nicht sorgen muss, bin ich freier, mein Leben zu gestalten.
Manchmal ist Beten ein „vor Gott erwägen“. „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19) lässt diese Weise des Betens anklingen. Durch diese Art des Betens gewinne ich langsam durch die hartnäckige Arbeit des Heiligen Geistes an meinem Verstand und Herz, mehr Klarheit und Profil. Geistliche Früchte sind: Ordnung und Orientierung im Leben, Motivation zu einem Leben und Handeln aus dem Glauben, ein Gespür für die nächsten Schritte, ein tieferes Durchdringen der Heilsgeheimnisse. Beten formt Menschen zu Christinnen und Christen.
Menschen, die zum Glauben gekommen waren, ruft Jesus im Evangelium in seine Nähe und in die Nachfolge. Und wie er es damals tat, so auch heute. Beten ist Antwort. Antwort auf den Ruf Jesu. Antwort auf sein Angebot von Beziehung und Freundschaft. Durch diese Art zu beten, gewinne ich einen Freund für mein Leben und wachse in der Vertrautheit mit ihm und durch ihn mit Gott. Und so wandelt sich mein Lebensweg in einen gemeinsamen Weg – ein wenig wie in einer menschlichen Partnerschaft. Diese Freundschaft Jesu wird mein Herz für jede menschliche Freundschaft öffnen, weit über den engen Kreis meiner Nächsten hinaus. Auf diesem Weg entdecke ich nach und nach meine Lebensberufung: das was ich, und nur ich, in diese Welt bringen kann und soll.
Ich werde aber im Beten noch weiter geführt. Die Passion Jesu, sein Kreuzweg, steigt nun über meinen Horizont. Und betend gewinne ich ein Mitfühlen. Ein Mitfühlen zuerst mit Jesus und seinem Schicksal. Ein Mitfühlen dann aber auch mit dem ganzen Leib Christi, mit meinen Glaubensgeschwistern und allen Menschen. Durch dieses Beten werde ich in eine tiefe Solidarität geführt mit allem, was lebt. Und gewinne so ein weises Herz, das um die Schönheit des Lebens weiß und um seine Bedrohung – ein Herz, das das ganze Leben, Anfang und Ende, umfangen kann.
Gott aber ließ Jesus nicht im Tod. Er ist auferstanden und lebt. Beten ist auch Ausschau halten. Ausschau halten nach dem lebendigen Gott, der sich auch mir in meiner Zeit zuwenden und mein Herz zu seiner Liebe hin umfangen will. Das Neue Testament wählt jetzt ganz große Worte: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5,17) Durch dieses Gebet, das auf die Gegenwart des Auferstandenen hinspürt, wird mir diese neue Existenz inwändig gegenwärtig. Ich werde je mehr „neue Schöpfung“ in Christus Jesus. Ich lerne aus der Auferstehung zu leben. Oder wie Paulus es für sich und für alle Christen formuliert: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)
Was bringt mir also das Beten? Macht es mich schön? Wer einmal einem großen Beter oder einer großen Beterin begegnet ist, mag diese Frage beantworten.