Die Corona-Pandemie schüttelt unsere Welt durch. In vielen Bereichen wirkt sie als Beschleunigung von Veränderungsprozessen, die schon längst auf dem Weg waren – im Guten wie im Schlechten. Was passiert mit Kirche? In welche Zukunft weisen die Zeichen der Zeit?

Überfallartiger Wandel

Text: Christian Hennecke – Photo: sanjasy/pixabay.com

Wir sind überfallen worden. Von einem Virus, der uns die Verletzlichkeit unserer Welt und unserer Lebensform nur zu deutlich macht. Wer hätte gedacht, dass es einen völligen shutdown des öffentlichen Lebens gibt – und wer hätte gedacht, dass wir Ostern so anders feiern werden. Weniger? Besser? Anders!

Aber die Pandemie hat auch andere Konsequenzen. Möglicherweise führt das auch zu ökonomischen Einbrüchen – und das wiederum zu Brüchen im kirchlichen Kontext. Denn wahr ist ja auch: fast alles, was wir tun, hängt auch an einer durchfinanzierten Kirche. Und was ist, wenn uns das genommen wird?

Unheimliche Deutungen und Zeichen der Zeit

Es ist ausgemachter theologischer Blödsinn, Corona und ihre Folgen mit einem strafenden, rächenden oder sonstwie apostrofierten Gott zusammenzubringen. Das hat mit dem Gott des Evangeliums, der ja gerade jedes Leid, jede Unbegreiflichkeit, jede Katastrophe mit durchleiden wollte, um neues Leben zu schenken, nichts zu tun. Aber umgekehrt gilt ja auch, dass in dieser Apokalypse eine Offenbarung steckt, eine Freilegung des Weges Gottes mit uns Menschen. Jenseits oberflächlicher Kausalitäten ist doch auch wahr, dass das, was uns hier geschieht, Zeichen der Zeit sind, die im Licht des Evangeliums gedeutet werden wollen – im Licht der frohen Botschaft von einem Gott, der uns Seine heilschaffende Gegenwart schenkt.

„Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart und Absicht Gottes sind…“, so formuliert das II. Vatikanische Konzil für die katholische Kirche (Gaudium et spes 11) und öffnet damit einen wichtigen Horizont: es gilt genau hinzuschauen, um den Weg Gottes mit uns Menschen nicht zu verpassen.

Es ist also eine dringende gemeinsame Aufgabe, sich zu fragen, was hier eigentlich – mitten in den Herausforderungen der Coronakrise eigentlich geschieht – und in welche Zukunft uns dies als Kirchen weist.

Seht ich schaffe Neues, schon sprosst es auf, merkt ihr es nicht?

Wenn wir ehrlich sind: Veränderung und Wandel gehören zur Kirche, denn sie ist Frucht der Passion, dem Leiden und der Auferstehung Jesu. Der Wandel ist ihre DNA, die Wandlung ihr eigentliches Geheimnis. Und so wundert Wandlung nicht, auch nicht der Schmerz, die Verweigerung des Sterbens und die Trauer. Und doch sind wir mittendrin. Seit Jahrzehnten. Alle Versuche, eine bestehende Gestalt der Kirche zu erhalten und behutsam umzubauen gelingen nicht wirklich. Und das ist uns auch schon aufgegangen.

Aber alle Krisen konnte man überdecken. Bislang. Und das führte dazu, dass zuweilen gilt: Das Normale bleibt die Norm – the same procedure ad every year – und einige neue  Experimente darf man wagen. Aber vielleicht ist es umgekehrt: das Neue, das schon aufsprosst, will den künftigen Weg prägen? Es deuten sich nämlich seit einigen Jahren einige fundamentale Wandlungen an:
– Glaube ist nicht mehr selbstverständlich: Glauben gründet sich in eigenen Erfahrungen und Findungswegen und das wirkt sich auch aus auf die Orte und Weisen, sie zu leben:

– Gemeinde ist nicht mehr die alleinige und monopolistisch anmutende Gestalt der Kirche: immer mehr Menschen suchen ihren Ort, gründen eigene Initiativen, erfahren Kirche in neuer Weise. Die Erfahrungen der anglikanischen freshX-Bewegung werfen schon seit Jahren ein helles Licht auf Versuche und Aufbrüche, die vielen Orte, die oft unter dem Radarschirm kirchlicher Aufmerksamkeit liegen

– Ein klerikales Bild der Kirche, das von Pastor*innen und Hauptberuflichen in den Mittelpunkt rückt, ist in einer tiefen Krise. Kirche steht auf dem Kopf, weil immer mehr Christinnen und Christen ihre Verantwortung aus der Taufe wahrnehmen – mit viel Kompetenz und Leidenschaft, mit Charisma und Energie

– Das Bild einer Sammlungskirche, zu der man geht, in der man sich trifft, ist nicht mehr stimmig. Es reicht aber auch nicht, alles zu tun, damit Menschen wieder einen Platz finden in den bisherigen Settings. Nein, es geht um eine radikale Sendungsorientierung, die Kirche verflüssigt, das Evangelium wirksam macht in den verschiedenen Herausforderungen, mit den Menschen unserer Zeit. Und so wächst eine neue Kirche

– Brauchen wir noch so viele Gebäude, so viel Organisation, so viel Meetings, so viel Verwaltung, so viel pastoraler Planung –  wenn doch klar ist, dass die Erneuerung gar nicht von Oben kommt, sondern unverfügbare Kraft des Geistes ist. Müssen wir nicht fragen, wie wir mit leichtem Gepäck dieser Kraft des Geistes folgen können – und was wir dann als Kirche noch brauchen, damit wir diesem Feuer nicht im Wege stehen? Welche Veränderungen brauchen wir dann? Vor Ort, in den Zentralen?

Veränderungsbeschleunigung?

Nun ist es ja so: alle diese Veränderungen mögen ja naheliegen. Aber dem stehen nachhaltig wirkende Bilder und Grunderfahrungen im Weg; es soll eher bleiben wie es ist – und ja, einige Zukunftseliten lassen wir zu, die Experimente wagen. So dachten wir.

Und jetzt diese Corona-Krise. Auf einmal wirkt es seltsam erratisch, wenn herkömmliche Gottesdienste einfach nur gestreamt werden; auf einmal gibt es keine Gruppen mehr, die sich treffen könnten. Auf einmal wird deutlich, dass es neuer Wege bedarf: neue Liturgien werden erfunden – die Virtualität wird dichter Ort der Gegenwart Gottes. Neue Kreativität der Beziehungen zeigt sich: wieso können wir nicht miteinander beten, Mahl halten, segnen? Menschen entdecken neu, was ihre Nachbarn brauchen, lernen sich neu kennen.

Das ist keine machtvolle Kirche, sondern ein kleiner Beginn vor Ort, zwischen den Orten – in vielen konkreten Diensten der Liebe für die Menschen, die es brauchen. Und es könnte sein, dass wir hier vor einem neuen Anfang stehen: eine Kirche, die sich in kleinen, selbständigen Gemeinschaften organisiert; eine Kirche, Christen, die mit ihren Zeitgenossen kleine und große Zeichen des Reiches Gottes, des Heils, der Liebe, der Gerechtigkeit.

Und es könnte sein, dass wir nun erfahren dürfen, was schon lange im Werden ist.

Der katholische Theologe Christoph Theobald schreibt: „Müssen wir als Katholiken und Theologen – um zunächst nur von uns zu reden, nicht ein neues Verhältnis zu unserem Kontinent finden? Als Menschen in einem Land, das wir zwar gerne bewohnen, das uns aber nicht als Christen gehört? Ein Missionsland eher, in dem wir – wie die ersten Christen – für unseren Glauben um Gastfreundschaft werben müssen. Geht es doch darum, Herzen zu gewinnen und frei Mitbürger davon zu überzeugen, dass im Glauben an das Evangelium ungeahnte Lebenskraft verborgen ist.“

Kann es sein, dass die Corona-Apokalypse beschleunigt, was sich schon lange abzeichnet. Darf endlich ans Licht, was schon lange im Werden ist? Werden Fragen und Proteste auf einmal unwichtiger? Geht der Streit um Bestandswahrung zu ende, weil wir auf einmal merken, dass nun wirklich zu Ende ist, was wir verzweifelt am Leben zu halten versuchten? Rückt ins Licht, dass wir in einer neuen Weise als Christen in dieser Welt leben, nicht machtvoll, sondern demütig selbstbewußt, nicht klagend, sondern Salz und Licht, wenn auch in kleinen Zahlen. Wäre das wirklich eine Katastrophe, oder ist es eine Neugeburt?

Eine Zukunftsprophetie…

Dietrich Bonhoeffer ist für mich ein echter Prophet Auch er lebte eine Apokalypse, und schaute genau hin. Er meine, wir würden unfähig für die Zukunft, wenn wir weiterhin um Selbsterhalt kämpfen. Dann nämlich, so Bonhoeffer, sind wir unfähig, der Welt das Evangelium wirksam zu verkünden. „Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun… Die Umschmelzung ist noch nicht zu Ende, und jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen – , an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu…, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt“ (DBW 8, 435f).

Was es braucht…

Besser kann ich es nicht sagen, als Bonhoeffer es sagte. So ist es auch heute, in und nach der Pandemie. Bonhoeffer legt auch eine Spur für die Zwischenzeit, die dem Neuen vorausgeht: Er spricht vom Beten, vom Tun des Gerechten. Und das könnte konkret werden:

– Wir brauchen Orte des Gebetes, ja vielleicht vor allem Kirchen, in denen erfahrbar wird, was Gastfreundschaft und Mitnahme in das Geheimnis Gottes bedeutet.

– Vielleicht braucht es Orte wie Klöster, in denen wir Nachfolge lernen können, Askese, Gebet, Liebe und Gemeinschaft

– Und wir lernen neu, gemeinsam mit vielen Menschen den Armen und Schwachen zu dienen. Braucht es nicht ein uneigennütziges sich-einlassen in diese Liebe?

Dazu braucht es Mut. Aber dieser Mut ist in vielen schon da. Dazu braucht es Leidenschaft und Kreativität – aber auch all das ist reichlich vorhanden. Und es braucht ein neues Bewußtsein dafür, dass Gemeinschaft sich gründet in einer Liebe, die unsere Beziehungen erneuert, stärkt und kraftvoll macht – und so die Liebe sichtbar werden lässt. Die vergangenen Wochen machen aber schon deutlich, dass – auch auf Entfernung – diese Wirklichkeit des Auferstandenen unter uns da ist und lebt.

Und so wird aus dem Überfall des Virus, aus dem Leid und Schmerz, dem Tod und der Angst, auch eine Neugeburt. Diese Neugeburt ersehne ich.

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